Mülheim. . Das große Erwachen am Fluss: Die Lebensbedingungen für Tiere sind so gut, dass seltene Arten zurückgekehrt sind. Es gibt aber einen Risikofaktor.

Wenn der Grünspecht wiehert, wissen Thomas Brüseke und Walter Flaum: Der Frühling ist da. Der Vogelexperte des Nabu und der ehrenamtliche Landschaftswächter gehen täglich an der Ruhr spazieren. Dort lassen sich zu Beginn des Frühlings zahlreiche Tierarten beobachten: Von der Nilgans über Nutrias, Mauswieseln und Grasmücken bis hin zu Rehen und Rotkehlchen. Wer ganz still ist, kann hören, was die Natur uns röhrt und zwitschert. Ein Rundgang durch die Tierwelt der Ruhrauen.

700 Gespräche mit Bürgern an der Ruhr

Werner Flaum (67) ist seit fünf Jahren als ehrenamtlicher Landschaftswächter für die Stadt aktiv. Täglich streift er durch ein 156 Hektar großes Revier zwischen Saarn und Mintard. Im vergangenen Jahr habe er rund 700 Gespräche mit Menschen geführt, meist, weil sie ihre Hunde nicht angeleint oder ihren Müll nicht weggeräumt haben. „Oft sind es aber auch nette Gespräche, man kennt viele bereits.“

Thomas Brüseke (51) ist seit vielen Jahren als Vogelexperte beim Naturschutzbund (Nabu) aktiv. Regelmäßig führt er Gruppen durch die Ruhrauen und erklärt ihnen die Vogelarten und ihre Lebensräume. Sein Lieblingsplatz an der Ruhr: „Am Kellermannsloch. Dort gibt es satte Wiesen und Bäche, man kann Rehe beobachten und hat Ruhe pur – und das mitten im Ruhrgebiet. Das ist einzigartig.“

„Pssst“, flüstert Thomas Brüseke. „Hören Sie das?“ Wir lauschen: „Glü-Glü-Glü-Glü“ schallt es aus dem Geäst gegenüber der Florabrücke. „Da ruft der Grünspecht, der das Wiehern aus dem Wald aufgreift. Deshalb nennt man ihn auch Buchholzener Hengst.“ Seine Höhle lässt sich im Totholzstamm gut erkennen, „darunter sind Baumläufer zu sehen“, sagt Werner Flaum. „Hier in den Ruhrauen lebt ein gemischtes Vogel-Völkchen“, ergänzt Thomas Brüseke. Man kann sie nicht nur hören, sondern auch entdecken. Rotkehlchen und Singdrossel flattern durchs Geäst. Etwa 15 bis 16 Singvogelarten zählt der Experte in diesem Gebiet, weitere zehn sind es, wenn man die Wasservögel mitzählt. „Und im Sommer werden es noch mehr werden, dann sind die Zugvögel wieder da.“ Dort drüben im Wasser haben sich Rallen, Nilgänse, Kormorane und Haubentaucher auf Steinen niedergelassen. „Die Stockente fängt jetzt außerdem an zu brüten“, sagt Brüseke. Jedoch habe die Anzahl der Wasservögel an der Ruhr in den vergangenen Jahren stark abgenommen. „Durch Krankheiten, Bejagung und vor allem, weil ihre Habitate zerstört werden.“ Freilaufende Hunde stören Gänse und Schwäne zudem beim Brüten. „Im vergangenen Jahr hatten die Schwäne keinen Nachwuchs“, weiß Werner Flaum.

Tierisch was los an der Ruhr

Eisvogel, Foto: Karl-Heinz Weissenberg  
Eisvogel, Foto: Karl-Heinz Weissenberg  
Nutria, Foto: Martina Makolla
Nutria, Foto: Martina Makolla
Nutria, Foto: Martina Makolla
Nutria, Foto: Martina Makolla
Foto: Werner Müller
Foto: Werner Müller
Foto: Karl-Heinz Weissenberg  
Foto: Karl-Heinz Weissenberg  
Foto: Karl-Heinz Weissenberg  
Foto: Karl-Heinz Weissenberg  
Foto: Volker Flecht Bickenborn 
Foto: Volker Flecht Bickenborn 
Foto: Volker Flecht Bickenborn 
Foto: Volker Flecht Bickenborn 
Foto: Klaus Schleser
Foto: Klaus Schleser
Foto:  Joachim Singendonk
Foto: Joachim Singendonk
Foto: Siegmund Heinrich  
Foto: Siegmund Heinrich  
Foto: Siegmund Heinrich  
Foto: Siegmund Heinrich  
Foto:  Siegmund Heinrich  
Foto:  Siegmund Heinrich  
Foto: Siegmund Heinrich  
Foto: Siegmund Heinrich  
Foto: Hubertus Lemke
Foto: Hubertus Lemke
Foto: Hubertus Lemke
Foto: Hubertus Lemke
Foto: Hubertus Lemke
Foto: Hubertus Lemke
Foto: Hubertus Lemke
Foto: Hubertus Lemke
Foto:  Wim Schuppe
Foto: Wim Schuppe
Foto:  Wim Schuppe
Foto: Wim Schuppe
Foto: Doris Bröker
Foto: Doris Bröker
Foto: Doris Bröker
Foto: Doris Bröker
Foto: Wim Schuppe
Foto: Wim Schuppe
Foto:  Reinhild Möller    
Foto: Reinhild Möller    
Foto:  Volker Flecht  
Foto: Volker Flecht  
Foto:  Volker Flecht  
Foto: Volker Flecht  
Foto:  Volker Flecht  
Foto: Volker Flecht  
Foto: Dr. Michael Götze
Foto: Dr. Michael Götze
Foto: Dr. Michael Götze
Foto: Dr. Michael Götze
Foto: Dr. Michael Götze
Foto: Dr. Michael Götze
Foto: Dr. Michael Götze
Foto: Dr. Michael Götze
Foto: Dr. Michael Götze
Foto: Dr. Michael Götze
1/32

Wasserralle und Eisvogel sind wieder da

Dennoch: Generell sind die Lebensbedingungen für die Tiere an der Ruhr prima. Das zeigt sich auch in den seltenen Arten, die sich dort (wieder) angesiedelt haben, etwa die Wasserralle oder der Eisvogel. Letzterer gilt als Star der Vogelkundler-Szene und lockt täglich zahlreiche Profi- und Hobby-Fotografen in die Ruhrauen. Auf der Holzbrücke drängen sie dicht nebeneinander mit ihren langen Teleobjektiven und warten auf eine perfekte Pose des Vogels. Die Rotkehlchen stört der Rummel um ihren Artgenossen wenig. Sie bedienen sich lieber am Futter-Büffet, dass Spaziergänger ihnen auf dem Geländer der Brücke bereitet haben. „Das schadet den Tieren nicht. Nur auf Futter in Plastiknetzen sollte man verzichten, die fallen vom Ast und dann verheddern sich die Vögel darin“, sagt Brüseke.

Kanadagänse sind unbeliebt

Auch interessant

Vorbei geht es Richtung Mendener Brücke an weniger beliebten Vögeln: Den Kanadagänsen. „Viele mögen die Tiere nicht“, wissen die beiden. „Wir haben sogar schon Gänse mit abgetrennten Köpfen gefunden.“ Dabei haben auch sie ihre Daseinsberechtigung. Gegenüber am Kahlenbergweg grast ein Nutria. „Diese sollten Spaziergänger besser nicht füttern.“ Da die Nager keine natürlichen Feinde haben, können sie schnell zur Plage werden. „Sie fressen und untergraben Deiche.“ Über dem Nutria landen Graureiher in ihren Nestern. „Es sind nicht mehr so viele wie es einmal waren, weil die Weichholz-Bäume unter ihrem Gewicht teilweise eingestürzt sind“, sagt Brüseke. Aber auch das sei Teil der Natur. „Sie suchen sich dann andere Brutplätze.“ Aber auch abgestorbene Baumstümpfe sollten stehen bleiben, rät der Experte, denn anderen Tiere nutzen diese als Lebensraum. „In dieser alten Spechthöhle etwa nisten später Wespen. Und wenn sie größer ist, kann sie von Fledermäusen genutzt werden.“

Hunde anleinen, Müll nicht in die Landschaft werfen - und diese auch nicht zubauen

Rund um die Ruhr gebe es aber nicht nur intakte Lebensräume zu beobachten, sondern auch problematische Entwicklungen: „Die Wiesen in den Ruhrauen werden alle gedüngt“, sagt Werner Flaum. Die Flächen gehören der Stadt, die diese an Bauern verpachtet, die dort zweimal im Jahr Gülle austragen. „Dort wächst deswegen keine Blume – und wo nichts blüht, gibt es keine Insekten, die wiederum Futter für Vögel sind. Das eine bedingt das andere“, gibt Flaum zu Bedenken. Ebenso würden sich die beiden Naturschützer wünschen, „dass die Menschen achtsamer mit ihrer Umwelt umgehen“. Sprich: Ihren Abfall nicht hinwerfen, ihre Hunde anleinen und die Ruhrauen möglichst unbebaut bleiben. Der Eröffnung des Ruhrbadestrandes im nächsten Jahr blicken sie daher mit Sorge entgegen. „Das wird mehr Leute und ihre Hinterlassenschaften in die Auen ziehen.“ Dennoch: Die meisten Spaziergänger wissen die Natur zu schätzen. Thomas Brüseke: „Zu viele Verbote sind auch nicht gut.“ Denn sonst „verlieren die Menschen ihre Freude an der Natur“.

Die Ruhr in Mülheim von oben

weitere Videos