Mülheim. Vor fast genau einem Jahr ging der Unverpacktladen am Mülheimer Löhberg an den Start. Wie das Frauentrio die Corona-Krisen meistern konnte.
Wenn Lara Weyers an 2020 denkt, leuchten die Augen über dem Maskenrand mit dem „Riot Grrl“-Sticker: „Wir sind stolz, dass wir es geschafft haben“, spricht sie nicht nur für sich. Mit Schwester Jana und Ariane Gerke hat sie „Püngel und Prütt“ durch hohe See gesteuert: Zwei heftige Corona-Wellen hat der Unverpacktladen überstanden, seit fast genau einem Jahr führt das Trio das alternative Geschäft. Wie ist das eigentlich, über Nacht zu Chefinnen zu werden?
„Immer noch eine Herausforderung“, meint Jana Weyers verschmitzt, „weil es immer auch ums Zwischenmenschliche geht“. Ein Team aus neun Mitarbeitern, teils auf 450-Euro-Basis, betreut inzwischen den Laden. Die drei Frauen sind vorne mit dabei. Als Kauffrau für Marketingkommunikation will Jana aber eine andere Führung als in vielen Unternehmen üblich. „Es soll bei uns familiär zugehen, auch wenn es mal Spannungen gibt. Aber wir wachsen an der Rolle, ich kann viel davon mitnehmen.“
Chefin sein - eine Herausforderung: "Uns ist das Team wichtig"
Mit dem wachsenden Geschäft steigt allerdings ebenso die Verantwortung für das Personal. Und gerade in diesen Zeiten: „Beklemmend, weil für uns das Team wichtig ist“, sagt Jana. Denn am stärksten drückt – wenig überraschend – aktuell Corona auf Püngel und Prütt. Staatliche Unterstützung gibt es nicht – „wir können die November-Hilfe nicht in Anspruch nehmen, weil wir erst im Januar eröffnet haben“, meint Ariane Gerke.
Das Café am Löhberg mussten Püngel und Prütt schließen, es hat immerhin ein gutes Drittel des Umsatzes ausgemacht. „Es lief am Anfang viel besser an, als wir das erwartet haben. Manchmal war es so proppenvoll – man kann es sich heute kaum vorstellen“, steht Lara inmitten der leeren Stühle und Tische. Auf einem liegen Kreide und die Tafel mit den Tagesangeboten.
Alles steht bereit, als könnte es gleich wieder losgehen. Doch das wird wohl noch dauern, ist auch den drei Frauen klar. Die anderen gut 60 Prozent des Ladens jedoch brummen noch – das war im ersten Lockdown im März 2020 noch ein großes Fragezeichen. Dabei hatten die drei Frauen just Wochen zuvor eine komplizierte Eröffnung gestemmt.
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Eröffnung vor einem Jahr: Bis um drei Uhr morgens noch Ware eingerichtet
„Wir wollten ja schon im November starten, aber mussten mehr umbauen... dafür, dass wir eigentlich gar nichts ändern wollten“, schaut Lara Weyers zurück. Der Grund? „Brandschutzauflagen – aber das Bauamt hat sich wirklich gut für uns eingesetzt“, lobt Lara. Trotz verspätetem Start wurde es doch noch eng: Stunden vor der Eröffnung am 14. Januar klebte das Trio noch Etiketten, „bis drei Uhr nachts. Auch viele Freunde und die Familie haben uns dabei geholfen, die Waren für die Erstbefüllung reinzubringen“, lacht die Soziologie-Studentin.
Als dann die ersten Nachrichten über Covid-19 auftauchten, glaubten die Drei noch, das ginge schnell vorüber, „wie die Schweinegrippe“, meint Jana, „aber dann sind wir nervös geworden: Was ist, wenn sich jemand im Team ansteckt?“ Und doch sorgte die Corona-Zeit auch für schöne, große Emotionen: „Mich hat am meisten gefreut, wie viele Menschen uns unterstützt haben mit Gutschein-Käufen, uns beim Aufbau des Lieferservice geholfen haben – es gab superviel positive Resonanz“, erinnert Ariane.
Das Geheimnis ihres Erfolges? Authentizität
Die meisten Kunden kennen Lara, Jana und Ariane inzwischen mit Namen. Und die Treue hält offenbar auch während der zweiten Welle an: Das Weihnachtsgeschäft lief gut, berichten die drei Geschäftsfrauen.
Ein Geheimnis ihres Erfolgs liegt sicher auch in dem Zungenbrecher „Authentizität“ – alle Drei leben das, was sie verkaufen: Nachhaltigkeit. Sie sind im Klimaschutz aktiv, forschen etwa nach nachhaltiger und fair bezahlter Kleidung, engagieren sich bei Greenpeace und räumen mit am Ruhrufer auf. Was noch? „Ich glaube, dass die Menschen es satt haben, gestresst durch Supermärkte zu rennen. Sie wollen Entschleunigung und nachhaltige Produkte kaufen. Und viele Leute in Mülheim haben Bock darauf, etwas zu ändern“, sieht Lara eine Bewegung in der Stadt.
„Wir haben das Gefühl, schon Jahre hier zu sein“
So hat sich am Löhberg, abseits der klassischen Einkaufsmeile Schloßstraße, eine alternative Szene eingefunden. „Wir haben das Gefühl, schon Jahre hier zu sein“, fühlt sich Ariane auf der Achse zwischen Rathaus und Altstadt – an dessen Fuße alternative Läden wie das Kaff, Isi Baba und Mode Wichtig liegen – angekommen.
Übrigens auch, was das unmittelbare Umfeld der Geschäfte betrifft: „Während der Corona-Pandemie haben wir uns untereinander besser kennengelernt und unterstützt. Es gibt viele gute Läden abseits der Schloßstraße“, hat Jana Weyers festgestellt. „Wir und viele andere haben den Aufschwung geschafft, es wäre schade, wenn wegen Corona nun Läden am Löhberg für immer zumachen müssten.“