Mülheim. Mirko Hentrich entwickelt Soundsphären und hat ein eigenes Musik-Label gegründet. Warum Mülheim ein Szene-Ort für Klangexperimente ist.
Das Pulsieren ist nur leicht zu hören, wie ein sachtes Vortasten durch Blätter drückt sich der an- und abschwellende Sound voran, ein Beat taucht daraus auf wie unregelmäßige Regentropfen – und dann strahlt das Keyboard herein als stünde man nach diesem Spaziergang auf einer Lichtung. „Solar Luminosity“ hat Mirko Hentrich seine erhellende Komposition genannt. Und die kommt aus Mülheim.
Ein Versteck für elektronische Klang-Experimente ist die Ruhrstadt schon längere Zeit: Im Makroscope und AZ haben sie ihre Zufluchtsorte und Publikum gefunden. Doch Hentrich ist gewissermaßen ein „alter Hase“ in dieser Szene. Sein Solo-Projekt „Spherical Disrupted“ verfolgt der Klang-Düsentrieb seit fast drei Jahrzehnten, hat einige Veröffentlichungen und ein eigenes Label herausgebracht. 2020 feiert das Projekt ein großes Jubiläum. Genau 25 Jahre ist es her, dass der 47-Jährige seine erste „Scheibe“ veröffentlichte – auf Kassette.
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Klänge aus dem „Brotkasten“ in den 80er Jahren
Denn in den 80ern und 90ern war das Digitale noch so eine Sache: „Ich hatte meinen ersten Computer mit dem man Klänge programmieren und damit rumspielen konnte – den Commodore 64.“ Oder damals, ob seines klobig-mausgrauen Erscheinungsbilds, liebevoll „Brotkasten“ genannt. Also experimentierte Hentrich mit Sägezahn, Dreieck und anderen elektronischen Schwingungsformen, nahm diese auf Vierspur-Tonband auf, spielte dazu wieder ein.
So konstruierte er seine Klangarchitekturen Stück für Stück ineinander und ein Name entstand: „Spherical Disrupted“ – was so viel wie „unterbrochene Sphären“ heißen mag. Aber es geht dabei mehr um das, was das Klang-Bild überlagernder Sounds, Rhythmen und ineinander geschnittene Geräusche aus der Natur und dem Alltag, die Hentrich wie ein Jäger auf seinen „Field-Trips“ sammelt, assoziieren lässt: rätselhafte Räume, fremdartige Welten und unendliche Weiten. Zwischen Zeitmaschine und Enterprise.„Rock und Gitarre haben mich gelangweilt“
Kind der 80er und 90er: Depeche Mode, OMD und Kraftwerk
Es ist unschwer zu hören, das Hentrich ein Kind der 80er und 90er Jahre ist. Auch musikalisch gesehen: „Ich habe Depeche Mode, OMD und Kraftwerk gehört, Synthi-Pop, Electronic Body Music, Gothic. Manchmal auch Pink Floyd, die viel mit Klängen experimentiert haben. Aber Rock und Gitarre haben mich damals gelangweilt.“
Also erforschte er analoge und digitale Geräusche. „Sie müssen für mich interessant sein. Die Samples können von fallenden Steinen stammen, die ich später auf dem Computer verändere“, schildert der Mülheimer seine Suche nach immer neuen Klangkörpern. Oder von Rohrteilen, die Hentrich im Keller lagert. Ausgangspunkt seiner Kompositionen ist immer ein bestimmter Klang, um den sich dann die „Sphären“ entfalten.
"Die Astrophysik fasziniert mich einfach"
"Analoges" Schlagzeug hat Hentrich zwar auch drauf, spielte das aber in anderen Bands. Spherical Disrupted war dagegen stets eine Solo-Sache. 1995 erschien schließlich sein Debüt „Zerschellt, zersplittert“ und seitdem rund zehn Alben in unterschiedlichen Zeitabständen. Und die fanden Anklang auf Festivals nicht nur auf der „destruktiva“ im Mülheimer AZ oder bei den Tüftlern des Shiny Toys Festival. Zum Berliner „Schlagstrom!“ trat Hentrich auf, mit „Haujobb“ im Oberhausener Kulttempel, am Frankfurter Institut für Neue Medien.
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Bei den Auftritten mischt er eigene Videos und historisches Material atmosphärisch hinzu, „oft sind es Bilder und Sequenzen der Nasa. Die Astrophysik fasziniert mich einfach. Ich lege aber Wert darauf, dass man sich auf den Sound konzentriert“. Der Eros seltsamer physikalischer Zusammenhänge schimmert in den Titeln durch: Quarsar, Periapsis.
Jubiläums-Box ist fast vergriffen
Und selbstredend ist bei den regelmäßigen „Audiophob“-Konzerten dabei - das Label, das der 47-Jährige vor gut 16 Jahren mit seinem Freund Carsten Stiller gründete. Weil es für die Musik-Sparte nur wenig Plattformen gibt. Gut ein Dutzend Bands und Projekte sind bei ihnen inzwischen unter Vertrag. „Wir veröffentlichen ihre Alben, unterstützen sie und zahlen auch etwas. Leben kann man davon allerdings nicht“, verrät Hentrich. Auch der Label-Chef und Musiker muss sich das Experimentieren anderweitig finanzieren.
Selbst wenn das Label auch unter Corona-Zeiten noch veröffentlichen konnte, „aber das Live-Spielen ist nicht nur für die Bekanntheit wichtig, es hat mir gefehlt. Das Wichtigste ist eben nicht, Geld zu verdienen, sondern die Musik und die Freunde, die ich auf den Festivals kennen gelernt habe. Das ist ein Teil meiner Familie.“