Mülheim. Auf welche Energien soll Mülheim setzen, um die Klimaziele 2030 zu erreichen? Warum der Politik die Planungsgrundlage fehlt, um handeln zu können.

Die Aussicht klingt verlockend: Schon 2030 soll Mülheim nicht nur sympathisch grün sein, sondern auch seinen CO2-Ausstoß halbiert haben – dank sparsamer und regenerativer Energien für Wärme und Strom. So legte es ein Konzept zur Klimaanpassung bereits 2011 fest. Doch wie nah die Stadt diesem Ziel ist, in welchem Maße alternative Energien vorangetrieben werden müssten, kann das Umweltdezernat nach neun Jahren nicht aktuell beantworten – „eine Bearbeitung ist bis Ende 2022 vorgesehen“. Verschläft die Stadt die Antwort auf den Klimawandel?

Dezernent Peter Vermeulen musste auf Anfrage der SPD im Umweltausschuss einräumen, keinen Sachstand vorlegen zu können. Der Grund? Der Energetische Stadtentwicklungsplan würde die Frage nach den Maßnahmen für eine Klimaneutralität zwar umfassend behandeln. Der Plan sei aber „in die Jahre gekommen“, die Aktualisierung dauere, kündigte Vermeulen an, bis Ende 2022.

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Klimawandel: Der Politik drohen zwei Jahre Blindflug

Demnach blieben Stadt und Politik nur noch knappe sieben Jahre, um notwendige Maßnahmen für das ambitionierte Ziel zu entwickeln und auf die Beine zu stellen. Wie viel Photovoltaik-Kapazität, wie viele Windenergieanlagen, welche weiteren Erzeugungsmöglichkeiten sind noch zu erschließen, um Klimaziele und -neutralität zu erreichen? Dazu keine Antwort des Dezernats. Einigermaßen fassungslos reagierte die SPD, die diese Fragen im Ausschuss stellte, angesichts der drohenden zwei Jahre Blindflug.

Schließlich hatte die Stadt bereits im Energetischen Stadtentwicklungsplan von 2015 Ansätze für die Klimaanpassung formuliert. Und dies war beileibe nicht das erste Mal: 2011 stellte die Stadt einen mit Bundesmitteln geförderten „Integrierten Klimaschutz“ auf die Beine, der die CO2-Einsparpotenziale benannte: 53.000 Tonnen weniger CO2 pro Jahr hielt man bei der Wärme, 50.000 weniger beim Strom für möglich.

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Umweltdezernat sieht sich überfordert, Planungsgrundlagen bereitzustellen

„Genau diese Jahrzehnte sind es, in denen sich zeigen wird, wie sehr wir mit der Emission der Treibhausgase unsere Lebensgrundlagen, unser Wetter und unser Klima beeinflusst haben. Jetzt müssen wir Vorsorge treffen! Wichtig sind gute Planungsgrundlagen, an denen sich Verwaltungshandeln und politische Entscheidungen orientieren können“ – so zumindest ging Vermeulen noch im ersten Bericht des Energetischen Stadtentwicklungsplans von 2015 voran.

Heute allerdings sieht Vermeulen seine Mitarbeiter offenbar genau damit überfordert, Planungsgrundlagen für politische Entscheidungen zu erstellen: „Es handelt sich um eine freiwillige Aufgabe. Dafür haben wir keine personellen Kapazitäten“, hielt er der Politik im Ausschuss entgegen. „Wenn Sie Geld finden und uns auch bereitstellen, geht das schneller.“

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Klimaschutzmanager sind seit rund zwei Jahren aktiv

Doch sticht die Karte „Leere Kasse“ immer? Schließlich hat Mülheim inzwischen zwei weitere Klimaschutzmanager eigens für die Umsetzung des Energetischen Stadtentwicklungsplanes im Rahmen des Bundes-Förderprogramms „Kommunalrichtlinie“ eingestellt. Fördersumme laut Antrag: 602.640 Euro für drei Jahre, rund 100.000 gab die Stadt dabei.

Drei Fachkräfte sind nicht viele, um die notwendige Energiewende in der gesamten Stadt anzutreiben, Betriebe, Gewerbe und Private zu beraten, Projekte und Kampagnen zu betreuen. Und auch manches Vorzeigeprojekt entstand in dieser Zeit mit ihrer Hilfe.

Mülheim muss drastische Schritte unternehmen, um CO2 bis 2030 zu senken

Regenerative Energien: So ist der Stand

Wie steht es um die regenerativen Energien in der Ruhrstadt? Die Verwaltung konnte im Umweltausschuss einen Überblick geben: Die gesamte installierte Leistung der Blockheizkraftwerke (BHKW) der Medl beträgt 11.481 kW elektrische Leistung. Es ergibt sich daraus ein Anteil von 77,8 Prozent Biogasanteil der Leistung.

2019 wurden in den BHKW 79,3 Prozent und einschließlich der Kessel 56,4 Prozent Biogas eingesetzt. Der Anteil werde aber sinken, da neu in Betrieb genommene Module mit Erdgas betrieben werden. Wie sich das auswirkt, ist der Verwaltung noch nicht bekannt.

Laut Umweltdezernent Peter Vermeulen „können drei Windkraftanlagen in den Vorrangflächen errichtet werden. Bisher steht eine Anlage. Die anderen Flächen gehören dem Ruhrverband. In den bisherigen Gesprächen mit dem Ruhrverband zeigte dieser noch kein Interesse.

Ein Ausbau der Photovoltaik an den Hängen der Kolkerhofdeponie ist beabsichtigt. Hierzu ist ein Bebauungsplan notwendig, der jetzt eingeleitet werden soll, damit zeitnah nach Beendigung aller Auf-schüttungen eine Photovoltaikanlage errichtet werden kann.

Dabei liegen offenbar auch Ergebnisse vor. Zumindest konnte Ulrike Marx, Stabstellenleiterin Klimaschutz, im gleichen Ausschuss darlegen, dass die Stadt noch 2018 gut eine Millionen Tonnen CO2 jährlich einsparen musste. Um aber schon 2030 bei etwa minus 95.478 Tonnen, also nur noch einem Zehntel Einsparungen landen zu können, müssen erwartungsgemäß drastische Schritte unternommen werden. Nur welche?

Der umweltpolitische Sprecher Daniel Mühlenfeld fragt, warum die Erfolge der vergangenen vier Jahre offenbar nicht in Form eines aktuellen energetischen Stadtentwicklungsplan evaluiert wurden. „So viel Arbeit kann das nicht sein.“

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