Mülheim. Mülheim will seinen CO2-Ausstoß bis 2030 halbieren und dennoch bezahlbaren Wohnraum schaffen. Kann eine neue Energie GmbH die Aufgabe meistern?
Wie kann Mülheim eine klimafreundliche und digital „smarte“ Wohnstadt werden, ohne dass gleichzeitig die Mieten in den Himmel schießen? Die Verwaltung schlägt für den Hauptausschuss ein neues „Rezept“ vor: die Gründung einer Energie GmbH. Sie soll sich – der Aufgabe entsprechend – aus drei Mülheimer Unternehmen speisen: dem Energiedienstleister Medl sowie den Wohnungsunternehmen MWB und SWB. Nicht nur die sind altbekannt – auch die Herausforderungen.
Denn bereits seit einem knappen Jahrzehnt verfasst die Stadt Leitgedanken, Eckpunkte, Konzepte und Handlungsansätze zur drängenden Frage, wie künftig gewohnt, gefahren und dabei Energie und CO2 gespart werden kann. Bis 2050 sollen die Kommunen in Deutschland CO2-neutral sein – so zumindest will es das Pariser Abkommen.
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Ehrgeizige Ziele hat sich Mülheim schon 2011 gesetzt
Im Ausschuss für Umwelt und Energie 2011 hatte die Verwaltung Ansätze für die Klimaanpassung formuliert. Vier Jahre später, im Energetischen Stadtentwicklungsplan von 2015, erklärte Hans-Gerd Bachmann, damals Medl-Geschäftsführer, ehrgeizig: „Das Ziel der Stadt Mülheim an der Ruhr, bis 2030 die CO2-Emissionen zu halbieren, haben wir auch für uns als Ziel erkannt. Als Partner der Stadt fühlen wir uns verpflichtet, hier mit großen Schritten voranzugehen.“
Beschlossen wurden konkrete Ziele und Maßnahmen sogar im Rat der Stadt (Antrag V 16/0027-01). Pro Kopf sollen die Emissionswerte von 11,2 Tonnen (2012), auf 7,15 (2030) und 2,5 Tonnen (2050) gesenkt werden. Wie groß diese Schritte in Richtung Klimaneutralität bislang waren?
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Einige Leuchtturm-Projekte sind seitdem entstanden
Manche Großprojekte sind seitdem entstanden: In Heißen ist der SWB dabei, etliche hundert Wohnungen etwa der Siedlung Kleiststraße/Amundsenweg sowie der Eichbaumsiedlung energetisch zu sanieren oder nach aktuellen Standards neu zu bauen. Am Bottenbruch haben Medl und MWB ein Pilotprojekt mit einer Kraft-Wärme-Kopplungsanlage und Photovoltaik gestartet. Ein umstrittenes Windkraftwerk entstand an der Stadtgrenze zu Oberhausen.
Das sind Pluspunkte. Doch die Aufgabe für eine Energie GmbH – „die Ausrichtung von Immobilien für den Klimaschutz (Energie- und Wärmewende) im Hinblick auf eine CO2-Reduzierung und die zunehmende Digitalisierung von Wohnungen und des Wohnumfelds“ – bleibt auf die Stadt betrachtet weiterhin monströs.
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Gerade einmal 12,4 Prozent des Wohnungsbestandes ist jünger als 30 Jahre
Kein Wunder: Denn gerade einmal 12,4 Prozent des Mülheimer Wohnungsbestandes (93.461) dürften den aktuellen Energiestandards entsprechen. Sie sind in den vergangenen 30 Jahren (seit den 1990ern) entstanden. Das sind gerade einmal 11.589 Wohnungen, die nach Niedrigenergie- und Passivenergierichtlinien gebaut wurden.
6000 der 30.922 Wohngebäude in der Stadt stammen aus den Jahren 1957 bis 68 und haben die höchsten Energieverbräuche – jedes fünfte Wohngebäude besitzt demnach Schwachstellen wie fehlende Dämmung an Fassaden und im Dachstuhl, veraltete Heizkörper sowie Einfachverglasung von Fenstern und Türen. Und auch sonst scheint der Sanierungsbedarf bei gut zwei Dritteln aller Mülheimer Wohnungen schon anhand des Gebäudealters enorm.
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Wohnungsunternehmen sollen Klimakosten auffangen
Hier kann eine Energie GmbH ansetzen: „Vielfältige Investitionen in den Wohnungsbestand und den Wohnungsneubau sind notwendig, um Gebäude zukunftsfähig an sich immer schneller verändernde Rahmenbedingungen anzupassen“, heißt es im Verwaltungsentwurf zur Gründung der Gesellschaft.
Und: „Die Veränderungen bzw. Herausforderungen der Rahmenbedingungen betreffen die Ausrichtung von Immobilien für den Klimaschutz (Energie- und Wärmewende) im Hinblick auf eine CO2-Reduzierung und die zunehmende Digitalisierung von Wohnungen und des Wohnumfelds.“ Die Wohnungsunternehmen trügen die gesellschaftliche Verantwortung, bezahlbares Wohnen trotz steigender Kosten zu ermöglichen.
MWB und SWB gehören etwa 14 Prozent aller Mülheimer Wohnungen
SPD will über mehr Windkraft und Photovoltaik sprechen
Den Genossen geht die Entwicklung hin zur Klimaneutralität zu langsam. Im Umweltausschuss fragt die SPD nach den bislang umgesetzten Maßnahmen zur Klimaneutralität – und den Prognosen. Etwa: Wie viele Windkraft- und Photovoltaikanlagen muss die Stadt noch schaffen? „Wir müssen anfangen, über Standorte zu sprechen.“
Die Gründung der Energie GmbH stellt für den umweltpolitischen Sprecher der SPD, Daniel Mühlenfeld, nur die Spitze des Eisbergs dar. Um die Klimaziele zu erreichen, sei es aus seiner Sicht unter anderem notwendig, die öffentlichen Liegenschaften der Stadt einzubinden. „Hier tut die Stadt keinen Handschlag, die Pläne liegen seit vier Jahren auf Eis“, kritisiert Mühlenfeld.
Die zögerliche Umsetzung hält der SPDler für fatal: Wenn ein höherer CO2-Preis für Immobilien, wie im Bundestag beschlossen, eingeführt werde, kämen auf die Ruhrstadt auch höhere Strafzahlungen zu. „Dann muss man kalkulieren, ob es sich nicht lohnt, mehr Geld in die Sanierung kommunaler Liegenschaften zu investieren, und nebenbei Ressourcen und damit Geld durch Maßnahmen einzusparen.“
Doch welche Schwerpunkte kann eine Energie GmbH hier setzen? Die Vorstände der beteiligten Unternehmen MWB und SWB waren für Fragen leider nicht zu erreichen und verweisen auf die eigenen Gremien, in denen das Vorhaben noch besprochen werden müsse. Ist dieser Vorstoß der Verwaltung übereilt?
Zumindest Geschäftsberichte und das Handlungskonzept Wohnen der Verwaltung legen nah, dass der Beitrag der GmbH in der Stadt begrenzt sein dürfte. Denn die meisten Wohnungen sind in privater Hand, nur etwa 23 Prozent des Mülheimer Wohnungsbestandes werden von Wohnungsunternehmen verwaltet. MWB mit rund 5000 Wohnungen und SWB mit etwa 8300 halten davon gerade einmal einen Anteil von 60 Prozent, also knapp 14 Prozent aller Mülheimer Wohnungen.
Ob die notwendigen „großen Schritte“ für die Stadt durch eine Energie GmbH zu erwarten sind? Prognosen und Potenziale gibt auch die Vorlage der Stadt nicht an. Im Hauptausschuss am Donnerstag (10. Dezember) wird das von der Politik zu debattieren sein.