Mülheim. Angst vor Ansteckung, soziale Isolation: Die Mülheimer Familienhebammen haben viele verunsicherte Schwangere beraten. Zwei Mütter berichten.

Die Coronapandemie ist für viele Menschen eine belastende Zeit. Vor allem Schwangere und junge Eltern sind verunsichert: Besteht ein besonderes Infektionsrisiko für Neugeborene? Könnte eine Infektion das Ungeborene schädigen? Auch soziale Isolation macht besonders Alleinerziehenden zu schaffen. Die Familienhebammen der Stadt ziehen Bilanz.

Suraiya Fatema und ihr Mann Mashiur Rahman stammen aus Bangladesch und leben seit acht Jahren in Deutschland. Seit fast vier Monaten ist der kleine Zavier Rhine bei ihnen. „Der Rest der Familie wohnt in Bangladesch und kann wegen Corona nicht zu uns kommen“, sagen die Eltern. Eigentlich sollte die Schwiegermutter hier sein, um die junge Familie im Alltag zu entlasten. Doch durch Corona kam alles anders.

Eltern stärken und über Corona aufklären

Familienhebamme Kerstin Brähler kümmert sich seitdem um Familie Rahman. Dieses Jahr unter erschwerten Bedingungen. Denn Hausbesuche werden nur gemacht, wenn es wirklich nötig ist. „Sie hat uns dennoch Sorgen genommen und ein gutes Gefühl gegeben“, berichtet die Mutter. Etwa habe sie ihnen auf Englisch erklärt, was sie bei der Geburt erwartet, bei Behördenanträgen geholfen oder gezeigt, wie die Babymassage funktioniert.

Ängste nehmen durch Aufklärung, Eltern stärken und ihnen praktische Tipps für den neuen Alltag mit Baby geben – so lautete die Devise in diesem Jahr für die drei Familienhebammen. Sie betreuen Eltern, die besondere Unterstützung brauchen und beraten sie in ihrem Hebammenladen an der Wallstraße.

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„In diesem Jahr haben sich viel mehr unsichere Schwangere beraten lassen“, berichtet Jennifer Jaque-Rodney, Leiterin der Familienhebammen. „Während des ersten Lockdowns standen die Telefone nicht mehr still“, erinnert sich auch Kerstin Brähler. Zahlreiche werdende und junge Mütter waren verunsichert: Wie läuft die Geburt unter Corona-Bedingungen ab, kann sich das Neugeborene schneller anstecken? Und: „Gerade Alleinerziehende haben sich allein gelassen gefühlt, hatten mit Überforderung zu kämpfen“, weiß Kerstin Brähler.

Mit Eltern spazieren gegangen oder im Park getroffen

„Ich bin mit den Familien viel spazieren gegangen, wir haben uns über Videochats unterhalten oder uns im Park getroffen“, sagt Brähler. Es sei erstaunlich, wie die Eltern sich offen auf kreative Lösungen eingelassen haben. Denn auch die Angebote im Ladenlokal an der Wallstraße konnten nur reduziert und mit eingeschränkter Teilnehmerzahl angeboten werden.

„In diesem Jahr war es für uns dennoch schwieriger, einige Familien zu erreichen“, bilanziert Jennifer Jaque-Rodney. Dabei sei der Bedarf an Unterstützung hoch, gerade in Stadtteilen wie Styrum oder Eppinghofen. Und wie sieht es mit der vor- und nachgeburtlichen Versorgung durch freiberufliche Hebammen aus?

Schwierige Suche nach einer freiberuflichen Hebamme

Eine freiberufliche Hebamme zu bekommen, ist für werdende Mütter weiterhin aufwendig – nicht erst seit der Pandemie. Schließlich sind die meisten völlig ausgelastet. „Bevor wir zu den Familienhebammen gekommen sind, haben wir 59 Hebammen abtelefoniert, keine von ihnen hatte Zeit“, berichten Suraiya und Mashiur. Ein zentrales Hebammen-System – wie etwa in Bochum – gibt es in Mülheim bislang nicht. „Dabei wäre das sehr sinnvoll und würde uns Frauen entlasten“, findet auch Marie Christin Kreutzer.

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Die 32-Jährige, ihr Mann und Tochter Friederike (neun Monate) wurden ebenfalls in diesem Coronajahr von Kerstin Brähler betreut. „Ich hatte eine traumatische Geburt, nach der ich mehrfach operiert werden und mir am Ende die Gebärmutter entfernt werden musste“, berichtet sie. Im Krankenhaus erfuhr sie von dem Angebot der Familienhebammen – die im Gegensatz zu originären Hebammen zusätzlich psychosoziale Unterstützung für die Eltern anbieten. „Das hat mir unheimlich geholfen“, sagt sie.

Mütter sollten sich auf ihr Bauchgefühl verlassen

Jennifer Jaque-Rodney (r.), Koordinatorin des Netzwerks Frühe Hilfen und Familienhebammen, mit ihrer Kollegin Kerstin Brähler (mit Babypuppen) vor dem Ladenlokal der Familienhebammen an der Wallstraße.
Jennifer Jaque-Rodney (r.), Koordinatorin des Netzwerks Frühe Hilfen und Familienhebammen, mit ihrer Kollegin Kerstin Brähler (mit Babypuppen) vor dem Ladenlokal der Familienhebammen an der Wallstraße. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

„Kerstin Brähler hat mir viele Ängste genommen und war eine mentale Stütze für mich, gerade was das Thema Bindung angeht.“ Durch die längere Zeit im Krankenhaus war die Sorge groß, keine enge Bindung zum Kind aufbauen und nicht stillen zu können. „Doch gemeinsam haben wir das gut hinbekommen“, sagt Marie Christin Kreutzer, während ihre Tochter sie fröhlich anstrahlt.

Auch bei der Beikost-Einführung habe die Familienhebamme der jungen Mutter Infomaterial an die Hand gegeben und ihr in Gesprächen den Druck genommen, alles richtig machen zu wollen. „Manchmal braucht es eben jemanden, der einem sagt, dass man es gut macht – und sich auf sein Gefühl verlassen soll“, findet Marie Christin Kreutzer.