Mülheim. . Bei einer Expertenrunde wird deutlich: Steigende Baupreise und hohe gesetzliche Energie- wie Umweltauflagen schließen günstige Mieten aus.

So etwas habe er in den vergangenen 25 Jahren noch nie erlebt, sagt Harald Bartnik, Geschäftsführer des Mieterschutzbundes Mülheim und Umgebung: Leute in der Beratung sagten ihm, dass sie jetzt in Duisburg eine Wohnung suchten, etwas Passendes sei in Mülheim für sie nicht zu finden. In Mülheim mangelt es vor allem an bezahlbarem Wohnraum, so eine Analyse. 2370 Bürger müssen mehr als 40 Prozent ihres Einkommens für Wohnen ausgeben. Vor allem Single-Haushalte sind betroffen. Dass sich an der Misere bald etwas ändert, glauben Fachleute, die sich zu einer Expertenrunde in der Stadthalle trafen, nicht.

„Das Problem in den nächsten fünf bis sechs Jahren in Mülheim zu lösen, ist nicht machbar“, sagt Andreas Timmerkamp, Chef des kommunalen Wohnungsunternehmens SWB, das rund 8400 Wohnungen in Mülheim besitzt. Um einkommensschwache Haushalte zu bedienen, bräuchte man Mieten um die drei Euro pro Quadratmeter. „Das wären unsanierte Wohnungen mit Kohleofen ohne jeden heutigen Standard. Das gibt es nicht mehr“, sagt Timmerkamp. Insbesondere bei Mietpreisen zwischen vier und fünf Euro sei der Bedarf groß, erklärt auch der Chef der Mülheimer Wohnungsbau Genossenschaft (MWB), Frank Esser. Er ist überzeugt: „Über Neubauten bekommen wir diesen Bedarf nicht gedeckt.“ Die Preise klettern eher.

Energetische Sanierung treibt Mieten in die Höhe

SWB wird noch in diesem Monat mit dem Abriss der Häuser an der Kleiststraße/Ecke Amundsenweg beginnen und dort ein neues Quartier mit einem hohen energetischen Standard errichten.
SWB wird noch in diesem Monat mit dem Abriss der Häuser an der Kleiststraße/Ecke Amundsenweg beginnen und dort ein neues Quartier mit einem hohen energetischen Standard errichten. © Zoltan Leskovar

Es sind die steigenden Baukosten, die hohen gesetzlichen Anforderungen an energetische Ausstattung und Umweltauflagen, die die Preise auf dem Wohnungsmarkt deutlich schneller steigen lassen, als es die Einkommen tun. Timmerkamp macht die Rechnung auf: Bei der energetischen Sanierung eines Hauses muss mit 600 Euro pro Quadratmeter gerechnet werden, davon entfielen 400 Euro auf reine Modernisierungskosten. Würde man die auf die Mieter umlegen, würde sich der Quadratmeter um 2,60 bis 2,80 Euro verteuern. „Überhaupt nicht denkbar“, so der SWB-Chef, maximal 1,50 Euro seien noch verkraftbar.

Dass sich die Preisentwicklung ändert, darauf deute nichts hin, sagt der Präsident des Verbandes der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft, Alexander Richter. Mieten unter sieben Euro bei Neubauten hält er für unrealistisch. Und doch sieht der Verbandspräsident Chancen auf Besserung, weil das Land NRW wie kein anderes in dieser Legislaturperiode den Wohnungsbau fördere.

Quersubventionierung

Die beiden Mülheimer Wohnungsunternehmen setzen auf Förderung: Qualifizierter Neubau kann zumindest Entlastung schaffen, so sieht es Esser. Dahinter steckt auch eine Mischkalkulation: Man bringt öffentlich geförderten Wohnraum mit Mieten von 5,65 Euro auf den Markt, finanziert dies aber unter anderem durch Bauträgergeschäfte und nicht preisgebundene Wohnungen gegen. Bei SWB verfährt man ähnlich: Preiswerter öffentlich geförderter Wohnraum für 5,55 Euro wird kombiniert mit preisfreiem Wohnraum, der zwischen 8,50 und 10 Euro liegt, und gleichzeitig nimmt das Unternehmen aus dem Altbestand wieder Wohnraum in eine Preisbindung – irgendwo zwischen 4,70 und 5,10 Euro. Eine Quersubventionierung, zu der Timmerkamp derzeit keine Alternative sieht. Wichtig ist für beide Geschäftsführer, dass Wohnquartiere sich nicht einseitig entwickeln, dass eine soziale Mischung bleibt. Mit Sorge sieht Esser daher Entwicklungen in Eppinghofen und in der Innenstadt, wo eben diese soziale Mischung gefährdet ist.

Der im Gutachten genannte Leerstand in Mülheim von rund 2400 Wohnungen wird von den Experten nicht als große Entlastung gesehen, vielmehr sehen sie darin eine rechnerische Größe. Gerade durch den Zuzug der Flüchtlinge habe sich der Markt völlig gedreht, so der MWB-Chef. Effektiv habe die Genossenschaft vielleicht eine Hand voll Wohnungen, die als frei zu bezeichnen seien.

Privateigentümer lassen Wohnungen bewusst leerstehen

Bei den privaten Vermietern – immerhin sind 60 Prozent aller Wohnungen in ihren Händen – existierten sogar Leerstände, die bewusst in Kauf genommen würden, berichtet der Geschäftsführer von Haus & Grund, Andreas Noje. „Es gibt Vermieter, die lassen ihre Wohnungen lieber leer stehen, weil sie sich Ärger ersparen wollen.“ Auch die Abwicklung von Mietverhältnissen, die über die städtische Sozialagentur liefen, seien für Vermieter keineswegs immer konfliktfrei, ließ Noje durchblicken.

Es gibt Mietergruppen, die besondere Sorgen bereiten: Alleinstehende Senioren, und darunter oft die Witwen mit kleinsten Renten. Sie lebten häufig am Ende in viel zu großen Wohnungen, die wiederum andere gut gebrauchen könnten. Doch sie zum Umziehen zu bewegen, sei keineswegs einfach, berichtet Timmerkamp aus Erfahrung. „Die würden zwar gerne in eine kleinere Wohnung ziehen, hätten diese dann aber auch gerne behindertengerecht und modern ausgestattet.“ Doch diese könnten sie wiederum nicht bezahlen.

Unterm Strich, so Bartnik, sei es für viele schwieriger geworden, eine passende, bezahlbare Wohnung zu finden. Das liege auch an den Nebenkosten. Hier sieht er auf der Vermieterseite eine Verantwortung. Doch Nebenkosten haben diese längst nicht immer im Griff. Aktuelles Beispiel ist in Mülheim die nun drastisch steigende Grundsteuer. Wollen sie davor den Mieter bewahren, hieße das, dass sie selbst die Kosten tragen müssten.

>> WOHNUNGSUNTERNEHMEN INVESTIEREN

Sowohl MWB als auch SWB investieren seit Jahren stark in den Wohnungsbestand. So saniert etwa MWB für 8,8 Millionen Euro seine Gebäude an der Lerchenstraße. 2020 sollen dort alle 105 Wohnungen barrierearm sein.

SWB will in den kommenden fünf Jahren vier neue Wohnquartiere schaffen mit etwa 300 öffentlich geförderten Wohnungen. Weiterhin werden 100 Wohnungen für rund 8,5 Millionen Euro modernisiert.