In einigen Mülheimer Stadtteilen ist jeder Fünfte hoch verschuldet, andere Viertel glänzen als „Best of Ruhrgebiet“. Corona macht große Sorgen.

Mülheim. Die Stadt am Fluss steckt tief in den roten Zahlen, doch für ihre Einwohner gilt das in dieser Schärfe nicht. Im Gegenteil: Verglichen mit anderen Ruhrgebietskommunen ist die private Überschuldung in Mülheim noch harmlos. Dies geht aus dem Schuldner-Atlas 2020 hervor, den die Wirtschaftsforscher von Creditreform jetzt veröffentlicht haben.

Ruhrgebiet in den roten Zahlen

Deutschlandweit liegt die private Überschuldung laut Erhebung von Creditreform bei 9,87 Prozent, in Nordrhein-Westfalen aktuell bei 11,63 Prozent.

Das Ruhrgebiet ist hier traditionell ein Ausreißer im negativen Sinn: Hier beträgt die Quote derzeit 14,27 Prozent.

Dabei rangieren die Städte bzw. Kreise zwischen 18,21 Prozent (Herne) und 11,07 Prozent (Ennepe-Ruhr-Kreis). Mülheim mit einer Schuldnerquote von 11,63 Prozent steht vergleichsweise gut da.

Ganz allgemein stellen die Forscher fest, dass sich Männer (12,27 Prozent) deutlich häufiger verschulden als Frauen (7,58 Prozent), diese jedoch seit Jahren kontinuierlich aufholen.

Die Überschuldung bei jungen Leuten unter 30 Jahren geht tendenziell deutlich zurück und beträgt jetzt 9,63 Prozent. Auf der anderen Seite sind immer mehr ältere Menschen massiv verschuldet - eine Folge der wachsenden Altersarmut .

Erfasst werden Personen, deren Einkommen nicht mehr ausreicht, um in absehbarer Zeit ihre offenen Rechnungen zu bezahlen oder Kredite zu bedienen. In Mülheim betrifft dies momentan 11,63 Prozent der Bürger. Blick in die Nachbarstädte: In Duisburg sind es 17,53 Prozent , in Oberhausen 15,23 und in Essen 14,17 Prozent.

In Mülheim steigt die Schuldnerquote seit Jahren - schon vor der Coronakrise

Die weniger gute Nachricht für Mülheim lautet: Hier steigt die Quote seit Jahren, wenn auch nur geringfügig, während der allgemeine Trend rückläufig ist - bislang. Bald wird wohl allerorten die Verschuldung zunehmen: Die Fachleute von Creditreform fürchten, dass die Corona-Pandemie sehr viele private Haushalte bald in finanzielle Schwierigkeiten bringt .

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Auch bei der Awo-Schuldnerberatung in Mülheim rechnet man damit, obwohl im bisherigen Verlauf von 2020 nicht ungewöhnlich viele Beratungsanfragen kamen . Bislang habe es rund 600 Neuaufnahmen gegeben und etwa 1200 Kundenkontakte, berichtet Carsten Welp, Leiter der Beratungsstelle. „Damit liegen wir im Bereich der Vorjahreszahlen.“ Noch seien nicht viele Menschen gekommen, die explizit durch Corona in Schieflage geraten sind. „Wir erwarten es aber im nächsten Jahr.“ Und in Einzelfällen hatten sie tatsächlich schon mit Freiberuflern zu tun, „denen die Auftragslage komplett weggebrochen ist“.

In einigen Stadtteilen ist jeder fünfte Haushalt verschuldet

Der Schuldneratlas 2020 zeichnet auch ein kartographisches Bild der Kommunen (siehe Grafik), denn die Daten werden nach Postleitzahl-Bereichen erfasst: Von blassblau (unter fünf Prozent) bis tiefrot sind die Bezirke eingefärbt. Hier zeigt sich einmal mehr das soziale Gefälle in Mülheim, wie etwa auch bei der Kinderarmut . Besonders viele Bürger - teilweise jeder fünfte Haushalt - kämpfen in den PLZ-Bereichen 45476 und 45468 gegen die Schulden, dazu gehören Styrum und der Bereich Eppinghofen/Innenstadt.

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Ungleich besser sieht es bei denjenigen aus, die eine 45481 oder 45470 in der Adresse führen. Stadtteile wie Saarn, Holthausen oder Menden mit Schuldnerquoten von nur sechs bis sieben Prozent schaffen es im neuen Schuldneratlas sogar in die Top 20 „Best of Ruhrgebiet“.

Arbeitslosigkeit und gescheiterte Selbstständigkeit gehören zu den Hauptursachen

Bei der Awo-Schuldnerberatung in Mülheim klopfen Menschen aus dem gesamten Stadtgebiet an und „aus allen sozialen Schichten“, berichtet deren Leiter. „Der größte Teil von ihnen bezieht allerdings Arbeitslosengeld oder Alg II.“ Grundsätzlich sind Arbeitslosigkeit und gescheiterte Selbstständigkeit zwei der Hauptgründe, die Menschen in die Überschuldung treiben, das gilt auch hier in der Stadt.

Die Verschuldung ist in Mülheim sehr ungleich verteilt.
Die Verschuldung ist in Mülheim sehr ungleich verteilt. © funkegrafik nrw | Denise Ohms

In Folge der Corona-Pandemie werden wohl noch zahlreiche Menschen in Mülheim ihren Job verlieren - oder haben ihn bereits verloren. Carsten Welp weiß aus langjähriger Beratungspraxis, dass sich viele lange scheuen, ehe sie die Hilfe seines Teams in Anspruch nehmen. „Natürlich ist es unangenehm, zu uns zu kommen. Dabei gibt es viele Gründe, warum man in finanzielle Schieflage rutscht. Wir bewerten das überhaupt nicht.“

Um Betroffenen die Schwellenangst zu nehmen, empfiehlt er den umgekehrten Weg und beschreibt ein Angebot der Awo-Schuldnerberatung, das vielleicht nicht jeder kennt: „Zu uns kommen auch Leute, denen vielleicht erst im nächsten Monat Kurzarbeit droht. Dann führen wir klassische Budgetgespräche, zum Beispiel: Wie kommt man aus Verträgen heraus?“ Ehe es zu spät ist - und ein neuer Fall in der Schuldnerstatistik auftaucht.

Wegen der Corona-Pandemie bietet die Awo-Schuldnerberatung in Mülheim persönliche Gespräche nur nach telefonischer Terminvereinbarung unter 0208/45003-154 .