Mülheim. Die Pandemie setzt vielen Einzelhändlern in Mülheim zu. Vor allem die Textilbranche leidet, auch der Verkauf von Schuhen ist derzeit hartes Brot.
Jeden Monat ums Überleben kämpfen: Das ist mittlerweile traurige Realität für Sabine Leiding, die in Speldorf das Fachgeschäft „Sport Blank“ führt. Auf Schwimmsachen ist man dort spezialisiert; zu Corona-Zeiten ist das alles andere als einfach. Die Bäder waren lange geschlossen, bis heute läuft der Schwimmbetrieb noch nicht normal.
Es kommen zwar Kunden in den Laden an der Duisburger Straße, doch es gibt es kaum Wettkämpfe für die Schwimmer. Und wenn doch mal einer stattfindet, darf Leiding ihren Verkaufsstand dort nicht aufbauen. Dabei waren es früher gerade die Einnahmen am Rande der Wettkämpfe, „die das Salz in der Suppe waren“, sprich: das Leben als Geschäftsfrau schön machten.
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„Ich bin ein positiv denkender Mensch“, sagt Leiding, „und froh, dass wir noch alle gesund sind.“ Doch der Alltag ist härter geworden: „Das, was wir im Laden umsetzen, reicht gerade, um die Kosten zu decken.“ Den Ehemann, der normalerweise mithilft, musste sie in Kurzarbeit schicken; eine 450 Euro-Kraft kann noch kommen. Zum Glück halten ihr die Kunden in Speldorf die Stange. „Noch kommen wir über die Runden – doch das darf kein weiteres Jahr mehr dauern.“
Das Virus wirkt wie ein Brandbeschleuniger
Die Pandemie setzt vielen Einzelhändlern in Mülheim zu. Vor allem die Textilbranche leidet und auch der Verkauf von Schuhen ist derzeit hartes Brot. „Wir hatten früher schon einen schweren Stand“, sagt Frank Prümer, Vorstand der Werbegemeinschaft Innenstadt und Inhaber zweier Damenmodegeschäfte in der City. Er nennt Stichworte wie TV-Shopping und Internet. „Das Virus wirkt jetzt wie ein Brandbeschleuniger.“
Es sei deutlich zu spüren, dass weniger Menschen in der Fußgängerzone unterwegs sind. Die Läden mit Alltagsbedarf wie Lebensmittel verdienten trotzdem weiterhin. Prümer aber verzeichnet einen deutlichen Rückgang. Da fast niemand in den Urlaub fährt, kaum Feste stattfinden oder kulturelle Veranstaltungen, bestehe kein Bedarf, sich neu einzukleiden. „Für den Alltag reicht aus, was schon im Kleiderschrank hängt.“
Die Miete muss bezahlt werden und das Personal
Noch hält er durch, „doch die Situation tut verdammt weh“. Wie viele seiner Kollegen werde er in diesem Jahr wohl rote Zahlen schreiben, sagt der Geschäftsmann, „doch wir waren gesund genug, um das zu verkraften“. Der Blick in die Zukunft jedoch macht unsicher: „Keiner weiß, was vor uns liegt.“ Die hohen Fixkosten laufen weiter. Die Miete muss bezahlt werden – obwohl manche Vermieter kulant seien – und das Gehalt fürs Personal fällt an. Gleichzeitig bleibt die Herbst- und Winterware, die schon im Februar geordert worden ist, liegen.
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Die Lieferanten hätten Stornierungen nicht akzeptiert. Viele Geschäftsleute räumten daher ungewöhnlich hohe Rabatte ein. „Die Marge geht enorm in den Keller.“ Und zu allem Übel sei die Ware zum Teil verspätet geliefert worden; für den Verkauf blieb wenig Zeit.
Bald könnte es auch mit Bankkrediten schwierig werden
Jeder Unternehmer müsse sich fragen, ob und wie viel er noch investiert, welches Risiko er eingeht. „Man muss das Gefühl haben, dass das Geld, was man einschießt, auch wieder herauskommen kann.“ Wenn sich die Situation nicht bald bessert, könnte es auch bei Krediten schwierig werden, meint Prümer. „Auch die Banken werden nachfragen, wie das Geschäftsmodell für die Zukunft aussieht.“
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Dass die Firma 4330 Mülheim in der Nachbarschaft bald pleite sein könnte, bedauert er. Der Laden von Jörn Gedig habe Aufbruchstimmung verbreitet. Auch andernorts in Mülheim könnte es schwierig werden, ahnt Prümer. Und doch: „Wenn es erst wieder eine Normalität nach Corona gibt, hat unsere Innenstadt auch wieder eine Chance.“
Gewinner der Krise sind Lebensmittelläden, Drogerien, Fahrradgeschäfte, Möbelhäuser
Werbekampagne für den stationären Handel
Der Einzelhandelsverband Ruhr hat die Kampagne „Nicht nur klicken, auch anfassen!“ ersonnen, mit der man auf Vorzüge des stationären Handels hinweisen möchte.
So ist ein Imagevideo entstanden, das den Einkauf vor Ort als Erlebnis für alle Sinne darstellt: einen kuscheligen Pullover anfassen, an Blumen riechen, die neue Scheibe im Plattenladen anhören. . . Via Social Media, Anzeigen, Plakaten wird die Botschaft verbreitet.
Und auch im Internet gibt es Informationen auf www.nichtnurklicken.de.
Mit Sorge schaut auch Marc Heistermann, Geschäftsführer des Einzelhandelsverbandes Ruhr, auf die Ruhrstadt. „Wir haben eine enorme Spreizung im Handel. Manche machen in der Krise starke Umsätze, zum Beispiel Lebensmittelläden, Drogerien, Fahrradgeschäfte oder Möbelhäuser.“ Andere hingegen erlebten enorme Einbrüche. Ausgiebig Shoppen mit Maske ist halt kein Vergnügen. Klassische Innenstadt-Läden drohen wegzubrechen. „Und wir wissen nicht, wie sich der Kunde nach Corona verhält – auch das ist etwas, wovor wir Angst haben müssen.“
„Reinpowern“ ist das Gebot der Stunde, sagt Sarah Kunath, Filialleiterin im Comicladen „Bilderwelten“ an der Viktoriastraße in der Innenstadt. So langsam nämlich trauten sich die Kunden wieder in die Innenstadt, klingelten die Kassen häufiger. „Die Schließung im Frühjahr aber war anstrengend.“ Zwischenzeitlich empfand Kunath „komplette Panik“. Immer wieder stand die Frage im Raum: Schaffen wir das überhaupt noch? Die Sorgen um den Job waren riesig. Lege man sich aber jetzt ins Zeug, könne es durchaus wieder aufwärts gehen. Trotzdem: „Für 2020 landen wir bei einem Umsatzminus von 50 Prozent.“
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Umsatzminus von bis zu 50 Prozent befürchtet
Von halbiertem Umsatz im ersten Halbjahr spricht auch die Inhaberin von „Greenline Hockey Sport“ in Broich. „Gegenüber manch anderem stehen wir damit noch gut da“, glaubt Eva Moritz. So viele müssten aktuell kämpfen. Noch immer ist beispielsweise unklar, ob es eine Hockey-Hallensaison geben wird, ob also überhaupt Bedarf an klassischer Winter-Ausrüstung besteht. Die Artikel liegen längst in den Regalen.
„Überleben werden wir wohl“, sagt Moritz. Eine große Sorge aber gilt den steigenden Coronazahlen. Die Hockey-Ausrüsterin befürchtet, dass die Sportvereine zu den ersten zählen könnten, die den Betrieb wieder einstellen müssten – „jedenfalls deutlich eher als Schulen und Kitas“.
Die Zeiten sind auch ohne Corona nicht rosig
Ariane Hüfing vom Käse-Meister am Löhberg leidet lang schon unter dem Niedergang der Innenstadt. „Die Zeiten sind auch ohne Corona nicht rosig.“ Aktuell aber kommen wieder einige Kunden; „da haben wir in manch heißem Sommer oder zu Urlaubszeiten mehr zu kämpfen“. Und so fällt ihre Bilanz halbwegs positiv aus: „Im Moment ist es nicht ganz so katastrophal.“
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Positiver spricht Torsten Lennermann, Inhaber von Lenny’s Bahnshop in Styrum. „Uns geht’s besser als zuvor.“ Fans von Modelleisen- und Carrerabahnen gehören zu seiner Klientel. „Und die haben in diesem Jahr Geld übrig und Zeit, weil sie ja nicht wegfahren.“ Lennermann ist Gewinner der Krise: „Uns hat Corona einen Boom beschert.“