Mülheim. Seit mehr als drei Wochen haben Einzelhändler wieder geöffnet. Wieso es gerade Mülheimer Stadtteil-Läden außerhalb des Zentrums schwer haben.
Mit dem Coronavirus kam die Zwangspause: Der Einzelhandel öffnete nach mehreren Wochen am 20. April erstmals wieder für den tägliche Betrieb. Wie es den kleinen Läden außerhalb des Stadtzentrums geht – ein Blick in die Mülheimer Stadtteile Styrum, Heißen, Broich, Dümpten, Saarn, Speldorf und Selbeck.
Styrum: Boom der Carrera-Bahnen in Corona-Zeiten
Auch nach der Corona-Zwangspause für den Einzelhandel ist es noch immer ruhig in Styrum. Das zumindest, erzählt Georg Meurer. Er ist Vorsitzender der Interessensgemeinschaft des Stadtteils und betreibt eine Fahrschule. Er selbst hat seine Arbeit wieder aufgenommen – unter Auflagen: „Die Arbeit hat sich komplett verändert.“
Im Modelleisenbahn-Geschäft von Torsten Lennermann läuft alles wieder in geregelten Bahnen. Die Stammkunden kommen seit der Corona-Zwangspause wieder regelmäßig vorbei. „Bei gutem Wetter ist aber weniger los“, erzählt Lennermann. 90 Prozent der Besucher in dem Laden an der Oberhausener Straße seien Stammkunden.
Der Ladeninhaber merke schon, dass einige Kunden zurückhaltender einkauften als sonst, „große, teure Anschaffungen versuchen die meisten aktuell zu vermeiden“. Dennoch: Seit der Corona-Krise verkauft der Einzelhändler deutlich mehr Carrera-Artikel: „Da gab es einen regelrechten Boom.“
Heißen: Anstieg der Einnahmen frühestens ab 2021
Michael Reichwald, Vorsitzender der Heißener Werbegemeinschaft, beschreibt die Lage im Stadtteil als „nach wie vor schwierig“. Schweren Herzens habe schon das diesjährige Winzerfest abgesagt werden müssen. Von den Heißener Einzelhändlern sei zu hören, dass nach wie vor eine Kaufzurückhaltung herrscht.
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„Die Leute leisten sich aktuell keinen Luxus und halten ihr Geld zusammen“, schildert etwa Augenoptikermeister Jens Schulz seine Beobachtungen. Auf Laufkundschaft müsse er seit Aufhebung der Corona-Beschränkungen ganz verzichten, Kunden kämen nur mit vereinbartem Termin vorbei. „Das Tagesgeschäft besteht aktuell aus Reparaturarbeiten und medizinisch notwendigen Brillenkäufen“, sagt Schulz. Im Vergleich zum Vorjahr sei der Umsatz um die Hälfte gesunken. Mit einem Anstieg der Einnahmen rechne Jens Schulz frühestens ab 2021.
Etwas positiver ist die Lage ein paar Häuser weiter im Bekleidungsgeschäft „Mode & Home“. Dort haben Eva Benninghoff und ihre Tochter Paula während der Zwangspause auf die Treue ihrer Stammkunden gesetzt.
„Wir haben über die sozialen Medien Kleidung angeboten und zur Anprobe ausgeliefert. Eigentlich ein unverhältnismäßiger Aufwand“, erzählt Eva Benninghoff. Das scheint sich nun auszuzahlen, denn der Laden an der Honigsberger Straße sei gut besucht. „Unser Stammpublikum kommt weiter vorbei, auch wenn sie mal auf der Straße anstehen müssen“, berichtet Benninghoff.
Broich: Höhere Umsätze im Buchladen
Auch in Broich gehören Warteschlangen vor Ladenlokalen nun zum Alltag, erzählt Sabine Tischler. Sie betreibt den Wollladen „Wollfühlräume“ und muss auf ihre Strick-Treffen im Laden verzichten. Beklagen möchte sie sich dennoch nicht: „Das Geschäft ist – trotz Auflagen – wieder super angelaufen. Viele scheinen das Stricken für sich entdeckt zu haben.“ Einige Kunden erzählten, dass sie bewusst den lokalen Handel unterstützen wollen. „Statt online zu bestellen, kaufen sie die Wolle nun hier. Da scheint ein Umdenken stattzufinden“, sagt Sabine Tischler.
Petra Büse-Leringer hat ebenfalls ein verändertes Kaufverhalten in ihrem Broicher Buchladen „Bücherträume“ festgestellt. „Einige Kunden wählen bewusst die Randzeiten, vor allem ältere Menschen“, erzählt sie. Entgegen dem allgemeinen Trend, fährt der Buchladen im Vergleich zum Vorjahr mehr Umsatz ein. Grund dafür möge auch der eingeschränkte Buchverkauf des Online-Versandhandels Amazon sein, wie Büse-Leringer vermutet: „Weil Amazon Bücher verzögert verschickt, kommen nun viele neue Kunden zu uns.“
Während der Corona-Zwangspause konnte „Bücherträume“ den Kundenstamm zusätzlich erweitern – mit einer simplen Idee. „Wir haben Beschäftigungstüten für Kinder verkauft und ausgeliefert.“ Im Wert eines bestimmten Betrags wanderten unter anderem Stickerhefte und Malbücher in die Tüten, die den Kindern die Zeit zu Hause angenehmer gestalteten. „Viele der Familien kaufen seitdem weiter bei uns ein“, erzählt die Buchhändlerin. Sie habe das Gefühl, dass die Neukunden die lokalen Händler in der Corona-Krise zu schätzen lernten.
Dümpten: Viele Aufträge im Handwerk
In Dümpten hingegen laufe der Handel langsam an, berichtet Martina Keimer, Geschäftsführerin der Stadtteil-Werbegemeinschaft. „Manche Branchen kämpfen besonders, zum Beispiel die Reisebüros. Das ist hier nicht anders“, sagt Keimer. Andere Branchen hingegen trotzen der Corona-Krise – etwa das Handwerk, wie Marco Landsmann erzählt. Er ist Inhaber eines Ladens für Parkettfußboden und musste bis jetzt noch keine Einbrüche der Verkaufszahlen verzeichnen, im Gegenteil: „Scheinbar fällt den Leuten in der Zeit zu Hause erst so auf, was ihnen nicht gefällt und sie renovieren.“
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Seinen Kollegen aus der Handwerker-Branche ginge es da nicht anders, auch sie erhielten Aufträge. Einzig ein Angebot habe Landsmann einschränken müssen: Beratungen gäbe es nur noch auf Termin.
Saarn: Tee an die Stammkunden geliefert
„Die Menschen sind doch noch sehr verhalten“, sagt Marcel Leydag, 1. Vorsitzender der Werbegemeinschaft Saarn. „Es ist nicht mehr das Einkaufserlebnis, wie es vor Corona war.“ Die Situation für die Händler sei nach wie vor sehr schwierig. Aufgrund ihrer geringen Verkaufsfläche dürften sich in vielen Geschäften gerade mal zwei Kunden gleichzeitig aufhalten.
Auch Petty Theile merkt, dass die Stimmung unter den Kunden ihres Saarner „Theehauses“ teils noch sehr von Unsicherheit geprägt ist. „Natürlich haben sich unsere Kunden wahnsinnig gefreut, dass wir wieder persönlich für sie da sind, aber es ist doch teils eine komische Atmosphäre.“ Während des Corona-Shutdown hat das Team von „Theiles Theehaus“ die Kunden weiterhin mit ihren liebsten Teesorten beliefert. „Jetzt weiß ich zwar, wie und wo viele unserer Stammkunden wohnen, das war auch mal ganz interessant“, findet die Teeexpertin und muss lachen. „Aber man ist einfach nicht so nah am Kunden dran, und das fehlt uns und unseren Kunden sehr.“
Denn ein Einkauf in Petty „Theiles Theehaus“ ist normalerweise ein Einkaufserlebnis mit allen Sinnen. Am Tee riechen, beim Ausschank neue Teesorten probieren, zu schmecken, all das ist in Theiles Theehaus momentan nicht erlaubt, bedauert Theile. „Es ist nicht mehr das lustvolle Einkaufen, sondern eher bedarfsorientiert.“
Speldorf: Positiver Trend, aber kein Normalzustand
Für Ludger Schweinsberg lief die erste Woche nach dem Shutdown sehr erfreulich. „Als dann aber die Maskenpflicht kam, wurde es dann wieder verhaltener“, so der Inhaber von „Mode Klucken“ auf der Duisburger Straße in Speldorf. „Die Kundinnen tun sich mit der Maske beim Einkauf doch etwas schwer.“ Aber auch daran hätten sich die meisten Kundinnen mittlerweile gewöhnt, sie kommen wieder gerne zum Einkaufen in das Speldorfer Traditionsgeschäft.
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Dass Läden in Stadtteilzentren durch Corona mehr betroffen sind, als die in der Innenstadt, glaubt Schweinsberg nicht. „Das kann man nicht am Standort festmachen, sondern muss es individuell sehen.“ Etwa welche Ware ein Geschäft anbiete oder wie groß die Fläche eines Ladens sei. Ludger Schweinsberg sieht trotz Corona zuversichtlich in die Zukunft, auch wenn er großen Respekt davor hat, wie sich die Situation weiter entwickelt.
Von einem Normalzustand sei noch nicht zu sprechen, sagt auch Thomas Kroll, Geschäftsführer der Interessengemeinschaft Speldorf. „Dennoch zeichnet sich ein positiver Trend ab. Es zeigt sich, dass vielen Menschen die persönliche Beratung und der direkte Kontakt gefehlt hat.“
Selbeck: Emotionales Verhältnis zu den Kunden
Sabine Walder nimmt die Coronazeit als Herausforderung an. „Ich hatte auch während des Shutdown viel zu tun, da ich einen ganz anderen Bezug zu meinen Kunden habe, als viele andere Geschäfte“, erklärt die Inhaberin des Kindermodegeschäfts „Kinderstolz“ an der B1 in Selbeck. „Das Verhältnis ist emotionaler, als in anderen Geschäften, was auch daran liegt, dass mein Geschäft eine ganz andere Lage hat, als etwa die Geschäfte im Dorf Saarn.“
Auch Sabine Walder hat in der Zeit, als das Geschäft coronabedingt geschlossen bleiben musste, ihren Kunden die Ware nach Hause gebracht. Auch jetzt, in der Übergangsphase, können Kunden den Lieferdienst noch nutzen. „Auf Dauer kann ich aber nicht parallel alles auf einmal stemmen“, sagt Walder.
Dass nach dem Shutdown zunächst viele Leute einen Nachholbedarf in Sachen Shopping haben, sei ja klar, so Walder. Doch irgendwann seien die Leute gesättigt. „Die eigentlich realistische Situation, in der man eine wage Prognose in Richtung Zukunft geben kann, wird wahrscheinlich erst im Oktober oder November kommen.“