Mülheim. Lauschige Strände und pittoreske Städte entlocken dem Mülheimer Künstler Laas Abendroth nur ein Gähnen. Was Langeweile über uns selbst verrät.
„Boah, mir ist voll langweilig!“ Nichts will bei Künstler Laas Abendroth so richtig schnackeln: nicht die lauschigsten Strände, nicht die pittoresken Stadtansichten, keine Biergärten, rauschende Partys, Basare, Fahrten übers Land, nicht mal blaue Augen ... Abendroth bleibt kühl – kein Gefühl. Der Betrachter der neuen Ausstellung im Kunstmuseum Temporär „Langeweile heute“ allerdings hat dabei mächtig Spaß.
Wann schlägt die eitle Muße um, ein lähmendes Loch zu werden? Abendroth hat bislang nicht nur mehr als 1500 Orte für das Projekt „Tempo povero“ heimgesucht, nur, um ihnen gähnende Ödnis zu attestieren. Kulissenartig klackert diese irrwitzige Bildershow des vermeintlichen Überdrusses am Betrachter vorbei mit Abendroths reglosem Ausdruck und der immergleichen Replik: Alles ist „voll langweilig“.
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Das neue „In“ ist out
„Langeweile ist keine Müßigkeit, es ist das Gegenteil von Flow, bei dem man in einer Tätigkeit aufgeht. Man fühlt sich unwohl dabei“, überlegt Kunstmuseumsleiterin Beate Reese, die das Thema schon plante, als von Lockdown und Corona noch längst keine Rede war. Doch jetzt erst recht trifft die Ausstellung den Nerv der Zeit.
Nichts geht mehr? Und doch regt sich beim Zuschauer angesichts dieses scheinbar endlosen Check-Zettels behaupteter Monotonie etwas: ungläubiges Lachen oder gar innerer Widerstand? „Das ist doch nicht langweilig“, möchte man entgegnen oder man stellt vielleicht infrage, was uns gesellschaftlich von der Werbung als „in“ vor die Nase gesetzt wird. Hier ist einfach alles „out“, und Abendroth ein selbstinszenierter Anti-Influencer. Und bestenfalls gelangt der Betrachter über seine Provokationen wieder zu einer neuen Bewertung der Dinge, von Orten und Räumen.
Langeweile führt zurück zur eigenen Existenz
Aber es ist nicht nur ein Aufbegehren, das der Künstler erreichen will. „Langeweile führt zurück zur eigenen Existenz“, hat Abendroth nicht nur Philosophen wie Martin Heidegger abgelauscht, sondern immer wieder am eigenen Leib erfahren. Ein Jahr lang hat er seine Tristesse jeden Tag mit einem A1-Plakat dokumentiert: „Langeweile heute: Kunstakademien“ oder „Eigenkapitalismus“ oder gezeichnete Wellen oder einfach nur ein leeres Blatt.
Ausstellung „Langeweile heute“ im Museum Temporär
Die Ausstellung von Laas Abendroth „Langeweile heute“ ist bis zum 22. November im Kunstmuseum Temporär, Schloßstraße 28 zu sehen. Öffnungszeiten: Di-Fr, 10-18 Uhr, Sa & So, 10-14 Uhr.
Zu sehen sind ebenfalls das Filmprojekt „Tempo povero“, Urnen sowie Multiples, die in den vergangenen 25 Jahren entstanden sind.
Am Sonntag, 18. Oktober, stellt sich Laas Abendroth vor Ort einem Künstlergespräch. Beginn: 11 Uhr.
Denn Langeweile hat viele Gesichter. Zwischen Schrift und Bild bewegen sich aber auch Laas Abendroths weiteren Werke immer wieder. Als Sprachspiel und gleichzeitig Inszenierung von Schrift. Für Christoph Schlingensief entwarf er etwa schmuckvolle „Optionsscheine“ für die Kunst-Partei „Chance 2000“, mit der man Aktien an der Partei erwerben konnte.
„Es gibt noch immer das Klischee vom lustvollen Künstlerleben“
Auch vor Urnen macht Abendroth nicht halt: Etliche der weißen Gefäße hat er beschriftet, „Totes Kapital“ steht darauf oder „Nie mehr warten“. Seine textbasierte, ironisierend-provozierende Arbeit verbindet ihn mit der Fluxus-Bewegung aber auch mit Dadaistischer Kunst.
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Und immer wieder steht das Künstler-Dasein selbst im Zentrum: „Es gibt immer noch das Klischee vom lustvollen Leben des Künstlers. Der steht um 16 Uhr auf und fängt beim Rotwein an zu malen“, skizziert Abendroth. Doch in Wahrheit ist der Tag des Künstlers oft zu lang, die Kreativität ein scheues Reh. Mit feiner Ironie hat Abendroth in einem aktuellen Projekt den schmerzvollen Kunstprozess auf die Spitze getrieben: In „Recycelt“ greift er jeden Tag einen Titel seiner eigenen Werke auf – als Kunstplakat.
Langweilig? „Ich langweile mich schon seit 1967“, merkt Laas Abendroth an.