Mülheim. Das ist Kunst und muss weg: Im Mülheimer Museum Temporär wechseln Pflanzen die Besitzer. Wie Kunst den Sinn gegen eine Wegwerfkultur schärft.
Olga – wir nennen sie einfach so – geht’s nicht gut. Irgendwie hängt sie schlapp in der Kurve, ist nicht gut drauf. „Zu viel Liebe“, vermutet Torsten Grosch, eine Sorgenfalte auf der Stirn. „Beziehungsweise Wasser.“ Sein möglicherweise feines Lächeln verbirgt die Maske. Feinsinn ist aber dabei, wenn die Künstler Grosch und Haike Rausch ihr Adoptionsbüro für verstoßene Pflanzen eröffnen – im Kunstmuseum Temporär.
„Ich verpflichte mich, mich nach bestem Wissen und Gewissen für das Wohlergehen der Pflanze einzusetzen“, steht in den Adoptionspapieren, die man mit Unterschrift besiegelt. Das ist jedoch weitaus weniger Loriot-esk gemeint als es scheint. Wer hier eine Pflanze mitnehmen will, muss diese Erklärung als Adoptivelternteil unterzeichnen und das Wohlergehen regelmäßig bebildern. Nicht, dass es den 33 grünen „Aliens“, die teils anonym aus Mülheimer Haushalten in einer Pflanzenklappe abgegeben wurden, danach ähnlich ergeht wie „Olga“.
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
Die Kommunikation zwischen Mensch und Pflanze ist durchwachsen

Was die Ärmste in der Blüte ihres Lebens einmal war, lässt sich an dem von Staunässe und zu viel falscher Fürsorge hingerafften grünlich-braunen Stängel kaum noch ablesen. Der neue Besitzer wird Geduld brauchen, bis er auf Olgas ursprüngliche Anmut blicken kann. Und eine gehörige Portion Einfühlungsvermögen. Denn die Kommunikation zwischen Mensch und Pflanze ist durchwachsen, hat das Künstlerpaar festgestellt. 15 Sinne sollen Pflanzen besitzen, nur kaum ein Mensch kann auf sie eingehen. Und umgekehrt.
Das mag an der grundsätzlich sinnlichen Unterlegenheit des Menschen liegen. Oder den unterschiedlichen Frequenzen, auf denen Sender und Empfänger, Pflanze und Mensch, sich austauschen. Ein Teil der Ausstellung „Plants and Aliens“ im Kunstmuseum an der Schloßstraße macht diese Botschaften durch Transponieren des Sendekanals auf menschliche Hörkanäle erfahrbar. Verstehen muss man das Fiepen des pflanzlichen Partners aber wohl eher emotional.
Künstler wandern den Grat zwischen Schalk und Ernst
Adoptionsbüro hat am Donnerstag geöffnet
Das Adoptionsbüro im Kunstmuseum Temporär hat noch am heutigen Donnerstag, 24. September, von 14 bis 17 Uhr geöffnet. Dabei kann man sich dem Empathietraining stellen und die Ausstellung „Plants and Aliens“ noch betrachten.
Um 18 Uhr beginnt ein Vortrag „Neue Perspektiven auf Pflanzen und Raumklima“ im Medienhaus am Synagogenplatz 3.
Adoptieren kann man danach aber auch weiterhin Pflanzen über die Website der Künstler: botanoadopt.org
Abgedreht? Wer das glaubt, gehört vermutlich genau zu den Menschen, die Grosch und Rausch mit ihrer Gratwanderung zwischen Schalk und Ernst erreichen wollen. „Pflanzen brauchen wir zum Überleben. Und sie uns“, decken Grosch und Rausch mit den Mitteln der Kunst eine offenbar verfahrene Kiste auf.
Sie lässt sich an Sperrmüllhalden in den Generationen zugereister Ikea-Yucca-Palmen ablesen, die niemals umgetopft wurden. An ausufernden Geldbäumen in der Biotonne. An exotischen Euphorbien und genügsamen Sukkulenten. Sie erzählen auch die Geschichte ihrer Besitzer, und oft die eines Zeitgeists der Sehnsucht nach Immergrün und der Wegwerfkultur. Die Künstler wollen mit ihrem Adoptionsprojekt auch diesem Trend begegnen.
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Empathie-Training gegen den Wegwerf-Trend
Vielleicht hilft in diesem Fall ein Empathie-Training? Mit geschlossenen Augen fühlt eine Frau im Kunstmuseum Temporär über eine Pflanze, bevor man die Augen öffnen darf. „Ist die echt?“, fragt sich die ,Testkandidatin’, der die Euphorbie mit ihren kreideartigen Linien fast künstlich erscheint. Das Eis aber scheint mit der ersten Berührung schon gebrochen. Und wie weit würde sie gehen, um die Pflanze bei Laune zu halten? Sie ihren Gartenpflanzen vorstellen? Eine Party zu ihren Ehren schmeißen?
Zumindest unterhaltsam sind die Ideen, die Mülheimerinnen – es sind in der Regel Frauen – in den Ring werfen. Eine soziale Ader scheinen Pflanzen längst zu haben: „Sie stellen sich immer ganz in den Dienst der Gemeinschaft“, sagt Haike Rausch. Jetzt liegt es an den Menschen, ihren Gemeinschaftssinn zu entwickeln.