Mülheim. Eine Ausstellung im Museum Temporär bietet Einblicke in die DDR-Kunst im Dienst der Propaganda. Und eine faszinierende Vielfalt an Techniken.

„Die friedliche Nutzung der Kernenergie“ – einsam und irgendwie fehl am Platz steht das 16 mal 12 Meter hohe Emaille-Kunstwerk von Werner Petzold auf einem Feld im Osten Deutschlands. Petzolds Auftragsarbeit für das Uranabbauunternehmen Wismut sollte um 1974 Stimmung für die Atomkraft machen – und nebenbei auch für den „sozialen Realismus“ der Deutschen Demokratischen Republik.

Die Kunst am Bau der DDR von 1950 bis 1990 zeigt das Museum Temporär ab sofort in einer bemerkenswerten Ausstellung, die tief in die Ideologisierung künstlerischen Schaffens blicken lässt. Aber auch in einen Alltag, in dem Kunst wie selbstverständlich integriert war. Rund drei Prozent der Planbaukosten öffentlicher Gebäude investierte der Staat in Kunst am Bau, benennt Simone Scholten, die diese Schau mit dem Cottbuser Architekt und Dokumentarist Martin Maleschka zusammengetragen hat. Im Vergleich: In der Bundesrepublik gelten aktuell noch 0,5 bis 1,5 Prozent der Baukosten als Richtwert.

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Systematische „Bekunstung“ von Gebäuden

Von der systematischen „Bekunstung“ von Gebäuden lebte jedenfalls eine regelrechte Landschaft von Architekturbüros, die sich darauf spezialisierten. Maleschka – selbst Anfang der 80er Jahre in Eisenhüttenstadt aufgewachsen – hat nur noch das nüchterne Ende des realen Sozialismus erlebt. Vielleicht auch eine Chance, sich den oft ideologischen Arbeiten – gut eine Generation nach dem Mauerfall – ohne Vorbehalte und auch ohne „Überbau“ zu nähern.

Tausende Beispiele hat Maleschka fotografisch gesichert und auf Instagram online gestellt, vor allem solche, die inzwischen verschwunden oder aber an völlig anderer Stelle stehen. So setzte sich eine Bürgerinitiative für Petzolds „Atomkraft-Propaganda“ ein, weshalb das Monumentalwerk nun auf einem Feld „gesichert“ ist.

Faszinierende Bandbreite der DDR-Kunst

Andere Kunstwerke ereilte ein ähnliches Schicksal: Josep Reanus 30-Meter-Wandbild „Die Beziehung des Menschen zu Natur und Technik“ (1978) war eigentlich als Fassade des Kulturzentrums in Erfurt erstellt. Doch das Gebäude überlebte das Mosaik nicht. Heute ziert es deshalb an anderer Stelle einen Getränkemarkt, verrät Simone Scholten.

Öffnungszeiten und Eintritt

Die Ausstellung „Martin Maleschka. Baubezogene Kunst in der DDR 1950-1990“ ist bis zum 5. Juli im Museum Temporär an der Schloßstraße 28 zu sehen. Falls es die Lage erlaubt, ist für das Ende der Laufzeit eine Diskussionsveranstaltung mit Maleschka geplant.

Besucher sollten beachten, dass aufgrund der Corona-Maßnahmen der Landesregierung maximal nur vier Besucher gleichzeitig in der Ausstellung sein dürfen. Für den Shop gilt die Grenze von zwei Besuchern gleichzeitig.

Öffnungszeiten: Di-Fr.: 10 bis 18 Uhr, Sa.: 10 bis 14 Uhr. Eintritt frei. Infos: www.muelheim-ruhr.de/cms/kunstmuseum_muelheim_an_der_ruhr5.html

Doch die Kuriositäten mal beiseite gelassen, ist Kunstmuseumsleiterin Beate Reese von der Bandbreite der DDR-Kunst beeindruckt: fassadenfüllende Großbilder, Buntglasfenster, freistehende Plastiken, Brunnengestaltung, textile Wandbehänge hat Maleschka in Gänze und im Detail dokumentiert. „Maleschka gibt uns damit nicht nur einen erhellenden Blick auf die Befindlichkeiten von Staat und Gesellschaft, sondern auch auf die verwendeten Materialien und Techniken“, lobt Reese.

Ausstellung gibt mögliche Impulse für Mülheim

Wie ging man etwa mit dem Erbe des Bauhaus um, mit unerwünschter, weil „bürgerlich dekadente“ Kunst wie abstrakte serielle Formen? Walter Ulbricht nutzte sie, um der schmucklosen Architektur von Plattenbauten doch noch den „Ausdruck des Aufbauwillens“ zu verleihen. Angesichts dieses Umgangs mit Kunst mag man sich fragen, wie wohl Ruhrbania in der Stadtgesellschaft angekommen wäre, wenn man auch der nun stadtbildprägenden Architektur am Fluss kunstvoll eine Grundidee verliehen hätte?

Reese jedenfalls sieht in der Ausstellung viele mögliche Impulse für Mülheim und die Frage des Umgangs mit vorhandener Kunst am Bau – oder künftiger. Bleibt vielleicht die Frage, ob sich das künstlerische Erbe der DDR so ungefiltert betrachten lässt? Kuratorin Simone Scholten hat eine wissenschaftliche Perspektive: „Es ist gut, dass Maleschkas Archiv uns eine Grundlage gibt. Natürlich muss die Forschung nun in die Tiefe gehen. Eine systematische Erfassung steht noch aus.“