Mülheim. Die Mülheimer Bürgerinitiativen sind bei der Kommunalwahl abgestürzt. Eine Verjüngungskur haben sie verpasst. Viele wählten grün. Eine Analyse.

Bei den Kommunalwahlen am Sonntag stürzte die Wählervereinigung Mülheimer Bürgerinitiativen (MBI) ab. Sie konnte ihr Ergebnis von 2014 nicht halten, verlor mehr als die Hälfte der Stimmen. Die MBI fielen von 10,1 auf 4,7 Prozent. Von den einst fünf Sitzen im Rat büßten sie bereits in 2014 und 2015 zwei ein. Mitstreiter wurden ausgeschlossen oder wechselten zu einer neuen Wählergruppe. An dieser Minifraktionsstärke hat sich nach dem aktuellen Wahlgang nichts geändert. Warum die MBI in der Wählergunst abgesackt sind? Antworten darauf sind schmallippig.

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„Wenn Überregionales wie Corona bei einer Kommunalwahl wichtigere lokale Themen überdeckt, kommt dabei so ein Ergebnis heraus“, argumentiert Lothar Reinhard. Der Ratsfraktionssprecher und Motor der MBI sieht sein Wählerbündnis nach wie vor „nah dran an den Interessen der Bürger“. Ob Wähler von den MBI zu den Grünen gewechselt sind? „Das kann schon sein“, sagt der langgediente Fraktionssprecher.

Mülheimer Bürgerinitiativen machen keine Wahlanalyse

„Wir haben von den MBI und den Grünen gleichermaßen Unterstützung erfahren. Warum die Grünen in Heißen und Holthausen gleich mehrere Direktmandate geholt und die MBI verloren haben, weiß ich nicht“, sagt Florian Scheffler. Der Sprecher der Bürgerinitiative „Fulerumer Feld“ fügt hinzu: „Die Grünen haben mehrere Bürgerinformationen organisiert. Das hat ihnen vielleicht mehr Stimmen gebracht.“

Konkret festlegen auf eine Partei oder Unterstützergruppe will er sich nicht. „Wir werden den neuen Rat an seinen Entscheidungen messen. Unsere Bürgerinitiative macht weiter. Also werden wir weiterhin Ratsmitglieder brauchen, die sich für den Erhalt wertvoller Grünflächen mit guter Luft einsetzen.“

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Übereinstimmung zu schaffen zwischen allen Initiativen: unmöglich

Vielleicht fehlte einigen Bürgern dort die eindeutige Solidarisierung der MBI, während sie zum Flughafen, der Volkshochschule oder am Entenfang auf der Seite der Bürgerinitiativen stehen. Zu einer Fahrradstraße auf Dohne und Mendener Straße sagen die MBI deutlich „Nein“, während die Grünen diese Radfahrverbindung fordern.

Die Interessen aller gegründeten und wieder aufgelösten Bürgerinitiativen in dieser Stadt unter einem Schirm zu vereinen, erscheint unlösbar. Zu unterschiedlich sind die Interessen. Oft ist es nur ein Missstand, gegen den eine Initiative angeht. Manchmal ist es nur eine Nachbarschaftsgruppe, die Durchgangsverkehr in ihrer Siedlung ablehnt. Bewohner des Nachbarstadtteils fühlen sich gerade deshalb vom Verkehr abgeschnitten. Übereinstimmung und Zusammenarbeit? Unmöglich.

Von einer Parteienstruktur weit entfernt

Die endlosen Diskussionen haben Lothar Reinhard, Heidelore Godbersen und Annette Klövekorn in mehr als zwei Jahrzehnten MBI gestählt. Die drei MBI-Gründungsmitglieder sind von Beginn an in Bezirksvertretungen und Rat im Dauereinsatz. „Wir haben unseren Fraktionsstatus gehalten, was unsere Arbeit erleichtert“, fügt ihr Sprecher hinzu und meint damit den jährlichen Betriebskostenzuschuss für Fraktionen.

Er und die beiden Frauen tragen die politische Arbeit der MBI. Sie haben weitere Frauen und Männer um sich versammelt, die auch in Initiativen, in den drei Bezirksvertretungen und als sachkundige Bürger in den Ratsausschüssen aktiv sind. Von einer klaren Parteienstruktur sind die MBI jedoch nach wie vor weit entfernt und wollen sie auch nicht.

Machtanspruch der Grünen nicht mitgetragen

Ähnlich waren einst die Grünen unterwegs. Bald nach ihrer Gründung galt die Partei unter etablierten Volksvertretern als „Herrscher aller Bürgerinitiativen und Einzelinteressen“. Als deren Mitglieder Heidelore Godbersen, Hans-Georg Hötger und Lothar Reinhard den Kurswechsel hin zu einer durchstrukturierten Partei mit Machtanspruch nicht mittragen konnten und wollten, stiegen sie aus und halbierten Mülheims grüne Ratsfraktion.

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„Leckt eine Partei an den Geldtöpfen der Macht, beginnen Filz und Kungelei“, blickt Hötger zurück. Er hat in seinen mehr als 45 politischen Jahren vier Parteien und Wählergruppen durchschaut, sich engagiert und Frust erlebt. „Früher oder später sind die Bahnen eingefahren. Der Blick für Bürgerinteressen wendet sich ab und richtet sich auf das Sichern eigener Pfründe. Leider erkennt das die Mehrheit der Wähler nicht“, sagt Hötger. Er ist jetzt von allen politischen Aufgaben, zuletzt beim BAMH, befreit.

Andere Parteien haben Verjüngungskur vollzogen

CDU, Grüne und SPD haben bereits einen Generationenwechsel vollzogen beziehungsweise in Gang gesetzt, der sich im neuen Rat erkennen lässt. Einige alte Hasen hat das Volk zusätzlich abgewählt. Einige Altgediente waren auf den Reservelisten abgesichert, „um den Nachwuchs zu beraten und Linie zu wahren“, war am Wahlabend bei der CDU zu hören.

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Bei den MBI hat die nötige Verjüngungskur noch nicht gegriffen. Kevin David von der Bey stand auf Platz vier der Reserveliste. Hätten die MBI mehr als sieben Prozent der Wählerstimmen erreicht, säße von der Bey jetzt im Rat. So bleibt er im Jugendhilfeausschuss beratendes Mitglied.

Die Grünen haben den MBI teilweise den Rang als Vertreter der Bürgerinitiativen wieder abgejagt, zeigt das jüngste Kommunalwahlergebnis. „Die MBI waren und sind eine Lothar-Reinhard-Gruppe“, meint ein altgedienter Sozialdemokrat. „Die haben uns oft geärgert, manches sogar gut gemacht. Aber sie werden zerfallen, wenn ihr Motor ausfällt.“