Mülheim. Mülheims Wirtschaftspolitik hat vier große Areale aus der Gewerbeflächen-Debatte gestrichen. Wirtschaftsförderer Dönnebrink zog seine Konsequenz.

Der Beschluss hatte sich vorab deutlich abgezeichnet: Mülheims Wirtschaftsausschuss sprach sich am Montag gegen neue Gewerbeflächen im Winkhauser Tal, am Fulerumer Feld, am Auberg und auf den Saarn-Selbecker Höhen aus. Am Ende sorgte dann Wirtschaftsförderer Hendrik Dönnebrink für den Paukenschlag.

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Von den Grünen im Juli initiiert, folgten nun als Co-Antragsteller CDU, MBI, FDP und Cevat Bicici (Wir aus Mülheim) sowie der BAMH dem Ansinnen, noch vor der Kommunalwahl deutlich zu machen, dass die Politik einige Flächen aus dem Wirtschaftsflächenkonzept aus dem Hause „Mülheim & Business“ nicht weiter in der Diskussion sehen will. Endgültig beschließen soll dieses am Donnerstag noch der Stadtrat, aber das Votum war eindeutig: Nur die SPD enthielt sich. So war ein einstimmiges Ergebnis zu protokollieren.

Bürgerinitiativen übergeben Tausende Unterschriften an die Politik

Schon vor der Sitzung hatte der Sprecher der Bürgerinitiative „Natürlich Selbeck“, Herbert Laschke, dem Ausschussvorsitzenden Henner Tilgner (CDU) einen Teil von rund 8100 gesammelten Unterschriften gegen eine Ausweisung von 70 Hektar Gewerbegebiet im Südosten Selbecks überreicht. 30 bis 50 Prozent der dortigen Eigentümer seien gar nicht bereit, ihr Eigentum für eine gewerbliche Entwicklung zu verkaufen, nannte er eines seiner Argumente.

Herbert Laschke (rechts) von der Bürgerinitiative
Herbert Laschke (rechts) von der Bürgerinitiative "Natürlich Selbeck" übergab am Montag vor dem Ratssaal einen Teil der rund 8100 Unterschriften gegen die Planungen für ein Gewerbegebiet auf den Saarn-Selbecker Höhen an den Ausschussvorsitzenden Henner Tilgner. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

In der Sitzung kam auch der Sprecher der BI am Fulerumer Feld zu Wort. Auch Florian Scheffler zeigte den Politikern eindrucksvoll auf, wie groß der Widerstand in der Bürgerschaft ist: 16.788 Unterstützer zähle die Petition zum Erhalt des Fulerumer Feldes, mahnte er noch einmal Sensibilität bei der Flächenauswahl an. Brachliegende und unternutzte Bestandsflächen seien zunächst einmal zu betrachten, bevor man Landschaftsschutzgebiete oder andere ökologisch wertvolle Flächen ins Visier nehme. Scheffler feuerte die Politik an, den von den Grünen eingefädelten Spielzug zu vollenden: „Der Ball liegt auf der Torlinie, Sie müssen ihn nur rüberkicken.“

Beitz (FDP): Wer sich in Mülheim auskennt, hätte die vier Flächen erst gar nicht in den Mund genommen

Und die Politik gab dem Ball den entscheidenden Kick. Dabei betonte Grünen-Fraktionssprecher Tim Giesbert wie Vertreter anderer Fraktionen und Gruppen den Wert der Natur- und Landschaftsschutzgebiete für die Stadt. Da gelte es, „endlich den Bürgerwillen zur Kenntnis zu nehmen“. FDP-Fraktionschef Peter Beitz ließ bei seiner Kritik an der Flächenauswahl kein gutes Haar an der Wirtschaftsförderung: „Wer sich in Mülheim auskennt, hätte die vier Flächen erst gar nicht in den Mund genommen“, bedankte er sich sarkastisch für den Ärger, den die Verwaltung der Politik mit dem Wirtschaftsflächenkonzept beschert habe.

Bewertungsmatrix: Politik vertagt sich

Dem eigentlich gesetzten Zeitziel, noch vor der Kommunalwahl ein Bewertungsschema für mögliche Gewerbeflächen zu beschließen, wird Mülheims Politik untreu. Der Wirtschaftsausschuss vertagte die Entscheidung.

Zuvor hatten Grüne und CDU in einem gemeinsamen Antrag den Entwurf zur Bewertungsmatrix, den die Verwaltung vorgelegt hatte, zerpflückt und eine wesentlich andere Gewichtung der einzelnen Kriterien gefordert. Im Einklang mit den Bürgerinitiativen wollen sie deutlich mehr Gewicht auf Landschafts- und Naturschutzbelange gesetzt sehen.

Die Bitte der SPD, über einzelne Flächen einzeln abzustimmen, lehnte die Mehrheit im Ausschuss ab – wohl auch, um der SPD kurz vor der Wahl einen empfindlichen Schlag zu setzen. Die SPD wäre bereit gewesen, beim Winkhauser Tal, beim Fulerumer Feld und am Auberg dem Veto beizupflichten. Doch eine mögliche Entwicklung in Selbeck wollte sie in der Diskussion halten, ihr Parteichef Rodion Bakum hatte sich dazu früh im Juli festgelegt.

Reinhard (MBI): Corona macht eine ganz andere Wirtschaftsförderung nötig

Einigkeit herrschte bei den Sachkoalitionären, dass erst einmal alle Brach- und unternutzten Gewerbeflächen wieder in adäquate Nutzung zu bringen seien. Wie das geschehen soll, wenn die Eigentümer dazu gar nicht bereit sind, sagten sie indes nicht. Lothar Reinhard (MBI) rechnet ohnehin wegen der Corona-Auswirkungen mit weniger Flächenbedarf. Da werde sich die Stadt „ein ganz anderes Wirtschaftsförderungskonzept“ schaffen müssen. Claus Schindler (SPD) und Martin Fritz (BAMH) mahnten indes an, dass Gewerbeansiedlungen wichtig blieben, um der klammen Stadt zusätzliche Einnahmen zu verschaffen. Der Beschluss nun bedeute, dass die Politik nun andere Wege beschreiten müsse, mahnte Fritz. „In der Ruhr nach Gold zu schürfen, lohnt ja nicht wirklich.“

Im Ausschuss wurde denn auch die Wirtschaftsförderung als eigenständige Gesellschaft infrage gestellt – so deutlich wie nie zuvor. Das Schlusswort nahm sich Wirtschaftsförderer Hendrik Dönnebrink, die die Diskussion bis dato sichtlich angefressen verfolgt hatte. Dönnebrink erinnerte daran, dass es die Politik gewesen sei, die M&B den Auftrag erteilt habe, ein Wirtschaftsflächenkonzept vorzulegen. In den Monaten seit der Präsentation des Papiers im Herbst habe die Politik dann keinerlei Interesse an einer Sachdiskussion mit „Mülheim & Business“ gezeigt.

Dönnebrink kündigt Rückzug an: „Keine Möglichkeit, etwas zu bewegen“

Er sehe keine Grundlage mehr für eine Zusammenarbeit und „keine Möglichkeit, etwas zu bewegen“, sagte Dönnebrink und kündigte an, sein Wirken als M&B-Geschäftsführer am 22. September zu beenden. Dönnebrink will sich dann nur noch auf seine Aufgaben als Manager der städtischen Beteiligungen und als Geschäftsführer der Medl konzentrieren.