Mülheim. Die vier katholischen Seniorenstifte in Mülheim wollen mit ihren Teams bald auch ambulante Pflege anbieten. Das Modell hat Vorteile und Risiken.
In zwei Altenheimen des katholischen Trägers Contilia in Essen läuft es schon: Dort versorgen die Pflegekräfte auch Senioren in der Nachbarschaft, kommen zu den alten Menschen nach Hause. Die Kombination aus stationärer und ambulanter Pflege soll es bald auch an vier Standorten in Mülheim geben. Denn viele ambulante Dienste sind überlastet.
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Das Modell scheint naheliegend, ist aber gar nicht so leicht umzusetzen. Voraussetzung ist ein sogenannter Gesamtversorgungsvertrag, den die Einrichtungen mit der Pflegekasse schließen müssen. Die gesetzliche Möglichkeit gibt es schon seit 2008, sie wurde aber bisher kaum genutzt. Das NRW-Gesundheitsministerium hat dann einige Voraussetzungen gelockert. Die Altenhilfe im Bistum Essen ist jetzt versuchsweise eingestiegen.
Altenpflegerinnen stocken ihre Arbeitszeit für die Hausbesuche auf
Seit Anfang 2020 arbeiten Contilia-Heime in Essen-Altendorf und in Rüttenscheid nach dem neuen Konzept. Die Pflegekräfte sind im näheren Umkreis unterwegs, einige Mitarbeiterinnen haben dafür ihre Teilzeitstellen aufgestockt. Man wolle den ambulanten Diensten keine Konkurrenz machen, hat der katholischer Träger versichert, sondern nur ein ergänzendes Angebot.
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In Mülheim betreibt die Contilia vier Seniorenstifte: das Franziskushaus am Ruhrufer in der Innenstadt, St. Engelbertus in Eppinghofen, das Hildegardishaus und St. Christophorus in Broich. „Für alle Mülheimer Häuser streben wir Gesamtversorgungsverträge an“, berichtet der zuständige Geschäftsführer Heinz-Jürgen Heiske. Bis zum Jahresende sollen diese abgeschlossen sein, das ambulante Angebot dann umgehend starten.
Einige ambulante Dienste müssen Senioren sogar schon abweisen
Man will eine Versorgungslücke füllen: Die ambulanten Pflegedienste finden nur noch schwer Personal, die alten Menschen nur noch schwer einen Pflegedienst. Einige Firmen sind schon gezwungen, hilfesuchende Senioren abzuweisen. Der Personalmangel habe auch mit den ungünstigen Arbeitszeiten zu tun, meint Heiske: Hausbesuche sind vor allem in den Morgen- und Abendstunden nötig. „Immer weniger Mitarbeiter sind bereit, diese geteilten Dienste zu machen.“
Das Angebot stationärer und ambulanter Pflege aus einer Hand sei rechtlich erleichtert worden, erläutert der Contilia-Manager. „Früher musste man für den ambulanten Dienst eine eigene Betriebsstätte und eine eigene Pflegedienstleitung haben. Man musste also zahlreiche Kunden anfahren, um die Personalkosten zu decken. Das gilt jetzt nicht mehr.“ Heißt: Die Pflegedienstleitungen (PDL) der Seniorenstifte führen zugleich das ambulante Team.
Das Problem, qualifizierte Mitarbeiter zu finden, haben Heime zwar auch. Die Contilia setzt aber nicht nur auf ihre eigenen Auszubildenden, sondern hofft, dass auch die verfügbaren Pflegekräfte in den Seniorenstiften bereit sind, mehr Stunden zu arbeiten. Es soll die Möglichkeit geben, dass sie wechseln zwischen Hausbesuchen und festen Diensten in den Wohnbereichen.
Einsätze nur im engen Umkreis der katholischen Pflegeheime
Das neue Angebot ist aber begrenzt auf einen relativ kleinen Radius rund um die Heime. Nur Senioren in der nahen Nachbarschaft können versorgt werden, für St. Christophorus in Broich beispielsweise ist ein Umkreis von knapp einem Kilometer angedacht. Dies wird vertraglich exakt abgesteckt. „Man muss sogar Straßen und Hausnummern genau benennen“, erläutert Heinz-Jürgen Heiske. Dadurch würden aber auch Anfahrtszeiten deutlich reduziert und Kosten gesenkt. In Essen sind die Pflegekräfte teilweise zu Fuß oder mit dem E-Bike unterwegs.
So steht es im Gesetz
Die rechtliche Grundlage für das kombinierte Modell findet sich im Sozialgesetzbuch: Dort regelt § 72 SGB XI die „Zulassung zur Pflege durch Versorgungsvertrag“.
Auch Gesamtversorgungsverträge sind danach möglich, „insbesondere zur Sicherstellung einer quartiersnahen Unterstützung“.
Nach Auskunft der städtischen Heimaufsicht gibt es derzeit in Mülheim 39 ambulante Pflegedienste.
Wenn die kombinierte Lösung so praktisch und kostengünstig ist, fragt man sich, warum erst so wenige Einrichtungen mitziehen. Für Saskia-Alexandra Kühle, Leiterin des Pflegemanagements und der Heimaufsicht im Sozialamt Mülheim, haben Gesamtversorgungsverträge auch ihre Tücken: „Da sich Vor- und Nachteile für den Träger daraus ergeben, schrecken die meisten davor zurück.“
Heimaufsicht bezweifelt, dass eine einzige Pflegedienstleitung ausreicht
Probleme sieht sie vor allem bei der personellen Ausstattung, bezweifelt, dass eine einzige Pflegedienstleitung die verantwortungsvolle Arbeit bewältigen kann. „Die PDL muss dann schon sehr gut sein“, meint Kühle. „Ich kenne einige, die haben schon ihre stationären Einrichtungen nicht im Griff. Und dann müssten sie zusätzlich noch die ambulante Pflege überwachen.“
Die Contilia traut ihren Leuten das offensichtlich zu. Ende 2020, Anfang 2021 soll das neue Pflegeangebot in den Quartieren starten.