Mülheim. Streitfall Schlippenweg: Ein Investor plant dort und anderswo in Mülheim eine Millionen-Investition. Doch alles hängt am seidenen Faden.

Am heutigen Freitag fällt die Bezirksvertretung 1 eine Entscheidung, die in ihrer Konsequenz nicht nur eine millionenschwere Investition zunichte machen, sondern auch den Wegzug einer Technologiefirma mit rund 85 Mitarbeitern zur Folge haben könnte. Zankapfel dabei: eine Bebauung am Schlippenweg, am Landschaftsschutzgebiet.

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Im Ackerland hinter der Holthausener Rembergschule will die Speldorfer Wetec Gruppe mit Partnern aus einem Forschungsprojekt namens „Energida“, darunter die Hochschule Ruhr West, einen landwirtschaftlichen Testbetrieb aufziehen, in dem mit allerlei technischen Lösungen der Künstlichen Intelligenz an nachhaltigen Energiesystemen experimentiert werden soll. Ziel sei es, jenen Betrieb „viel grüner, viel nachhaltiger, viel günstiger“ aufzustellen, so Wetec-Geschäftsführer Klaus Hinsken.

Wetec will auch in ein Modellquartier für Wohnen und Gewerbe investieren

Jenes Forschungsprojekt soll nicht nur auf den landwirtschaftlichen Testbetrieb begrenzt bleiben, wie der Wetec-Geschäftsführer im Gespräch mit dieser Redaktion nun erstmals öffentlich machte. Auch am Firmensitz an der Heerstraße solle „Revolutionäres“ als lernendes Modell geschaffen werden. Nach einem Grundstückszukauf will die Wetec dort mit ihren nicht weiter benannten Forschungspartnern ein ganz neues Quartier für Gewerbe und Wohnen bauen.

Dieses soll ebenso höchsten Ansprüchen von Zukunft und Klimawende genügen. Angedacht ist ein generationenübergreifendes, inklusives wie ökologisch anspruchsvolles Quartier mit Wohnen, Gewerbe, Kita und Café, das vor Ort mehr erneuerbare Energie produziert als es verbraucht (Aktiv-plus-Standard). Dabei sollen laut Hinsken auch architektonisch innovative Wege aufgezeigt werden nach dem Vorbild des dänischen Architekten und Stadtplaners Jan Gehl, der weltweit Referenzen gesammelt hat für herausragende Stadtentwicklung.

Geschäftsführer: „Wir reden hier nicht nur über 10, 15 Millionen Euro“

Projekt war zuerst in Saarn angedacht

Vor vier Jahren war das Projekt des landwirtschaftlichen Testbetriebs mal am Aubergweg in Saarn angedacht, aber auch dort kam es nicht zustande. Gegen eine von der Stadt ins Spiel gebrachte Bebauung eines freien städtischen Grundstücks hatte sich schon früher Widerstand formiert.

Wetec-Geschäftsführer Hinsken und Martina Busch vom projektbegleitenden Geohaus verweisen darauf, dass infrage kommende Standorte vielerlei Voraussetzungen zu erfüllen hätten, etwa den Anschluss an ein gutes Datennetz oder auch einen Gasanschluss, um ein Blockheizkraft betreiben zu können.

Auch habe man nach Grundstücken Ausschau gehalten, die planungsrechtlich unproblematisch seien, weil schon bebaut. Private Eigentümer manch einer geeigneten Fläche im Stadtgebiet hätten nicht verkaufen wollen, auch die Stadt habe auf Anfrage keine weiteren Flächen außer am Schlippenweg anbieten können, heißt es.

Firmen-Webseite: wetec.eu

Insgesamt wolle man eine deutlich achtstellige Investition tätigen, sagt Hinsken, „wir reden hier nicht nur über 10, 15 Millionen“. Martina Busch, die die Bauprojekte seitens des Mülheimer Geohauses begleitet, sieht „ein Projekt, das für Mülheim die herausragende Möglichkeit bietet, ein Unternehmen an sich zu binden, das Strahlkraft über Deutschland hinaus hat“. Beide Investitionsvorhaben sollen „Demonstrator“ sein – Anschauungsobjekte, die zeigen, was mit der Wetec-Technik und technischen Lösungen beteiligter Firmen an „Smart Living“ (intelligentes Wohnen im digitalen Zuhause) möglich ist.

Schon mehrere Jahre laufen laut Investor die Planungen, auch die Gespräche mit Wirtschaftsförderung und Stadtverwaltung. Im März habe man sich einer Gesprächsrunde mit der Politik gestellt, sei offen für allerlei Fragen. Doch heute ist so ungewiss wie zuvor, ob die Wetec ihre Millionen in Mülheim investiert – oder doch anderswo. „Es ist der letzte Versuch“, sieht Hinsken dem Votum der Bezirksvertretung 1 am Freitag entgegen.

Heute entscheidet die Bezirkspolitik über den Grundstücksverkauf an die Wetec

Die Bezirksvertretung soll entscheiden, ob die Wetec am Schlippenweg 4,7 Hektar Land von der Stadt für einen Preis von unter 500.000 Euro erwerben darf, um den landwirtschaftlichen Testbetrieb aufzubauen. Drei Hofgebäude sind geplant, darunter ein Wohnhaus mit 170 Quadratmetern Fläche, das laut Hinsken benötigt wird, um einen landwirtschaftlichen Betrieb realitätsnah für benötigte Energie- und Wassersysteme abzubilden.

Ende Juni hatte es urplötzlich Wirbel um den Verkauf gegeben, als die Stadtverwaltung ihn ohne jedwede öffentliche Vorberatung hatte im Stadtrat beschließen lassen wollen. Unter Protest nicht nur, aber zuvorderst der Grünen musste die Verwaltung letztlich einräumen, dass der Stadtrat den Verkauf aufgrund der niedrigen Verkaufssumme gar nicht beschließen durfte, sondern die Bezirksvertretung zuständig ist.

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Sensible Lage am Landschaftsschutzgebiet ruft Skepsis der Politik hervor

Das war aber nur der Kniff, um die Diskussion über das Grundstücksgeschäft in die Öffentlichkeit zu holen. Eine Diskussion, die Mülheims Stadtgesellschaft schon für viele Bauprojekte, die Land im Grünen beanspruchen, leidenschaftlich geführt hat. Doch trotz der Sensibilität des Themas hatte die Stadtverwaltung geglaubt, das Geschäft fernab der Öffentlichkeit abwickeln zu können. Dabei ist die alte, verfallene Hofstelle, die Mittelpunkt des Technologieprojektes werden soll, Teil eines Bebauungsplanentwurfes für hochwertige Wohnbebauung am Landschaftsschutzgebiet des Schlippenweges. Dieser war schon vor Jahren wegen zu erwartender Widerstände ganz tief in einer Schublade der Planungsverwaltung verschwunden.

Die Stadtverwaltung hat nun aber darauf verzichtet, zahlreiche offene Fragen zum Bauvorhaben transparent zu erörtern, und damit womöglich die Chance verpasst, für ein Vorzeigeprojekt Widerstand schon im Keim zu ersticken.

Wetec schließt politisch ins Spiel gebrachte Pacht aus

Wetec-Geschäftsführer Hinsken jedenfalls sieht keinerlei Grundlage für Skepsis gegeben. Auch wenn ein Wohnhaus auf dem Gelände entstehe, sei baurechtlich nicht der Weg frei für eine Wohnbebauung im Umfeld. Mit vertraglich abgesicherter, ökologischer Landwirtschaft werte man die Fläche immens auf – unter anderem ist auf drei Hektar Land ein Obstacker angedacht. Das städtische Grundstück nur zu pachten, wie politisch ins Spiel gebracht, kommt laut Hinsken angesichts der Risiken und der Investitionshöhe nicht in Betracht. „Das finanziert Ihnen auch niemand“, sagt er. Vertraglich fixiert werden solle auch ein Vorkaufsrecht der Stadt, sollte die Wetec das Grundstück mal veräußern wollen.

Ursprünglich hatte Hinsken vor, selbst mit seiner Familie in das geplante Wohnhaus einzuziehen. Davon habe er aufgrund der Widerstände Abstand genommen. Wenn es schlecht läuft, verabschiedet sich die Wetec-Gruppe mit ihrem Millionen-Projekt wohl komplett aus Mülheim.