Mülheim. Die Stadt Mülheim hat es eilig, ein Grundstück für ein Musterprojekt zur nachhaltigen Landwirtschaft zu verkaufen. Ausgerechnet am Schlippenweg.

Es soll alles ganz zügig, ohne lange, erst recht nicht öffentliche politische Diskussion über die Bühne gehen: Mülheims Verwaltung hat dem Stadtrat ganz kurzfristig für Donnerstag Unterlagen vorgelegt, mit denen der Weg freigemacht werden soll für ein Musterprojekt zur nachhaltigen Landwirtschaft. Nicht nur die Wahl der Örtlichkeit scheint dabei diskutabel.

Der Stadtrat soll dafür am Donnerstag dem Verkauf von rund 4,7 Hektar Land am Schlippenweg zustimmen. Schlippenweg? Da war ja was: Seit 2012 liegt ein Bebauungsplanverfahren für eine 13,8 Hektar große Fläche zwischen Schlippenweg und Zeppelinstraße auf Eis. Eigentlich sollte für eine spätere Wohnbebauung in Holthausener Grünlage ein städtebaulicher Wettbewerb ausgerufen werden, doch bleib es bei der Absichtserklärung. Die Lage im Landschaftsschutzgebiet wurde als zu sensibel erachtet. Die Mülheimer Widerstandskraft zu solchen Projekten ist hinlänglich bekannt.

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Stadt Mülheim will Grundstück östlich des Schlippenweges verkaufen

Nun soll auf einem kleinen Teilstück jenes Bebauungsplans, der aus dem Entwurfsstadium nicht hinausgekommen ist, ein Neubauprojekt möglich werden. Dafür will die Stadt das Grundstück eines verlassenen, dem Verfall preisgegebenen Bauernhofes östlich des Schlippenweges samt landwirtschaftlicher Nutzfläche ringsum verkaufen.

Käufer soll eine Firma aus Speldorf sein, die intelligente Energielösungen, Automatisierungssysteme und Schaltanlagen entwickelt, baut und vertreibt. Sie will in Kooperation mit der Hochschule Ruhr-West am Schlippenweg einen landwirtschaftlichen Modellbetrieb aufziehen. In dem Betrieb will die Firma zeigen, wie mittels technischer Lösungen unter anderem für dezentrale Energieanlagen eine ressourcenschonende, klimaneutrale Landwirtschaft möglich sein soll.

Stadt Mülheim will „innovativem Unternehmen Expansionsmöglichkeiten schaffen“

Das Konzept sieht vor, einen komplett neuen Hof zu errichten – mit zweigeschossigem Einfamilienhaus, Wirtschaftsgebäude für Maschinen, Lagerung und Tierhaltung, einem Gewächshaus, einem Teich, einer Brunnenstelle, einem bis zu 13 Meter hohen Sensorik-Mast und verschiedenen kleinen Test-Aufbauten. Für all dies beansprucht das Projekt einigen Platz mehr als die jetzige Hoffläche.

„Die Stadt sieht in der Veräußerung des Grundstücks eine Möglichkeit, einem innovativem Unternehmen Expansionsmöglichkeiten zu schaffen, ohne negative Eingriffe in Landschaft und Natur vorzunehmen“, heißt es zum Beschlussvorschlag der Stadtverwaltung. Verwundern muss nur die Eile, mit der die Stadt von der Politik nun die Zustimmung verlangt.

Planungs- und Finanzausschuss sind nicht eingeschaltet worden

Den Verkauf des Grundstücks soll der Stadtrat am Donnerstag im Eilverfahren beschließen. Die Stadtverwaltung ist sich ihrer Sache wohl schon sicher. Schon am Mittwoch beorderte sie die Mülheimer Entsorgungsgesellschaft auf das Areal des verfallenen Bauernhofes.
Den Verkauf des Grundstücks soll der Stadtrat am Donnerstag im Eilverfahren beschließen. Die Stadtverwaltung ist sich ihrer Sache wohl schon sicher. Schon am Mittwoch beorderte sie die Mülheimer Entsorgungsgesellschaft auf das Areal des verfallenen Bauernhofes. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Nach Informationen dieser Zeitung hat die Verwaltung diese Beschlussvorlage nun wiederholt verfristet auf die Tagesordnung des Stadtrates setzen lassen. Schon im Februar hatte sie ihre Vorlage aus diesem Grund wieder zurückziehen müssen. Eine Beratung in Fachgremien hat es gar nicht gegeben. Weder der Finanzausschuss, wie sonst bei Grundstücksverkäufen üblich, wurde eingeschaltet noch etwa der Planungsausschuss oder der Naturschutzbeirat, die ob der sensiblen Lage des Vorhabens wohl einige Fragen formuliert hätten. Lediglich soll es im Frühjahr ein Treffen zwischen Investor und Ortspolitikern gegeben haben.

Eine Frage etwa ist auch, warum die Stadtverwaltung von der Politik einen Grundstücksverkauf abgesegnet haben will, ohne dass der Verkaufserlös benannt ist. „Der Preis wird über den Gutachterausschuss festgelegt, soll aber mindestens die geschätzten Rückbaukosten decken“, heißt es dazu nur. Da stellt sich gleich die nächste Frage: Warum überhaupt hat die Stadt die Anlage bis zur Abrissreife derart verkommen lassen, dass der Verkaufserlös nun möglicherweise gerade noch die Abrisskosten decken soll?

Auswirkungen auf Bebauungsplanverfahren Schlippenweg/Zeppelinstraße unklar

Planungspolitiker hätten auf die Idee kommen können zu fragen, welche alternativen Flächen dem Investor hätten zur Verfügung stehen können. Und sie hätten nachhaken können, warum ein landwirtschaftlicher Testbetrieb in hochattraktiver Naturlage eines neu gebauten, 170 Quadratmeter großen Wohnhauses bedarf. Unklar bleibt im Detail auch, ob das Vorhaben Auswirkungen auf das Bebauungsplanverfahren Schlippenweg/Zeppelinstraße haben würde. All diese Fragen sind nicht transparent beantwortet, auch nicht in der nicht-öffentlichen Beschlussvorlage, die dieser Redaktion vorliegt.

Man darf gespannt sein, ob zumindest Teile der Ratspolitik am Donnerstag gewillt sein werden, Transparenz zu schaffen.