Mülheim. Über Nacht und mitten in der Ausbildung hat Corona viele Mülheimer Azubis hart getroffen. Wie sie und viele Betriebe um ihre Stellen kämpfen.

Wie schneidet man eigentlich Haare auf Abstand? Wie färbt man Strähnen? Über Nacht und mitten in der Friseur-Ausbildung musste Sara Limanowski sich um ihre Zukunft Sorgen machen: Betrieb zu, Berufsschule dicht – „ich musste zuhause bleiben, mir haben die Routine und die Praxis gefehlt“, erzählt die 19-Jährige. Wie soll’s weitergehen mit Lehre und Job?

Corona hat Auszubildende wie Sara Limanowski hart getroffen. Vor allem natürlich jene, die kurz vor ihrem Abschluss gestanden haben. Wie können Prüfungen abgehalten werden, können die Absolventen übernommen werden? Etliche Betriebe standen Mitte März zudem vor der existenziellen Frage, ob und wie sie überhaupt weiter ausbilden können.

Auch interessant

Corona: Verarbeitendes Gewerbe und Handel schrauben Ausbildung zurück

Doch die Auswirkungen sind selbst nach dem Lockdown noch sichtbar: Gut zehn Prozent weniger Stellen sind auf dem Ausbildungsmarkt zu finden. Vor allem das verarbeitende Gewerbe (-23,6 %) und der Handel (-8,7 %) in Mülheim haben Ausbildungsplätze zurückgeschraubt. Dass laut Arbeitsagentur aktuell dennoch mehr Stellen angeboten werden als es Bewerber gibt, liegt wohl vor allem am unverhältnismäßig starken Rückgang bei den Ausbildungssuchenden um knapp ein Viertel.

Auch interessant

„Corona liegt noch immer wie Mehltau auf der Ausbildung“, sagt Franz Roggemann, Geschäftsführer der IHK Essen im Bereich Aus- und Weiterbildung. Denn durch den Lockdown an den Schulen konnten die klassischen Ausbildungs- und Berufsberatungen, die alljährlichen begleitenden Messen nicht stattfinden. Betrieben fehlt nun die wichtige Chance, den geeigneten Nachwuchs kennen zu lernen, und jungen Menschen die Möglichkeiten der Information – ein möglicher Grund für die gesunkene Zahl bei den Ausbildungssuchenden.

IHK sieht Bekenntnis zur Ausbildung in den Betrieben

Grundsätzlich aber sieht Roggemann ein klares „Bekenntnis der Betriebe zur Ausbildung“. Nach eigenen Umfragen der IHK soll gerade einmal eines von 100 Unternehmen den Ausbildungsvertrag gekündigt haben. „Da ist also noch viel Musik drin“, will der IHK-Geschäftsführer den Suchenden daher Mut machen, auch mit Blick auf die in Mülheim vergleichsweise hohe Zahl von aktuell 514 offenen Ausbildungsstellen.

Ausbildung sei bitter nötig, weist ebenso Wolfgang Schmitz, Hauptgeschäftsführer des hiesigen Unternehmerverbands, auf den allgemeinen Fachkräftemangel hin. „Dass Azubis zuhause bleiben mussten, ist zwar zunächst fatal für die Ausbildung gewesen. Industriebetriebe, Gewerkschaften – alle Akteure haben sich aber darum gekümmert, dass die Ausbildung auch in Corona-Zeiten nicht stiefmütterlich behandelt wird.“ Schmitz begrüßt vor allem die neue Ausbildungsprämie von 2000 Euro für jeden neu geschlossenen Ausbildungsvertrag. Sie sei für Betriebe hilfreich, den Nachwuchs weiter aufzubauen.

Auch interessant

Um jetzt an gute Ausbildungsplätze zu kommen, rät Schmitz zu Initiativbewerbungen, „es wirkt immer gut, wenn man die Firmen direkt anspricht“. Wer einen kleinen Schubs braucht, kann sich auch an die IHK wenden. Die „Azubi-Macher“ (www.azubimacher.com) vermitteln zwischen Unternehmen und Suchenden, „und helfen auch dann, wenn mal die Mathe-Note nicht ideal ist“, rät IHK-Mann Roggemann.

Friseurbetrieb hält trotz stürmischer Zeiten an Azubis fest: „Wir sind ein Team.“

Die 19-Jährige Sara Limanowski hatte Glück: Ihr Betrieb führte auch in schweren Corona-Zeiten noch die Ausbildung fort.
Die 19-Jährige Sara Limanowski hatte Glück: Ihr Betrieb führte auch in schweren Corona-Zeiten noch die Ausbildung fort. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Der Druck lastet gerade auf Messeveranstaltern, Hotels, Restaurants und nicht zuletzt Friseuren. Azubi Sara Limanowski hatte mit ihrem Saarner Friseurbetrieb „Go Hairstyling“ allerdings Glück. Der kümmerte sich darum, dass die Ausbildung während des Lockdowns weiterging: Neben der Theorie über Geräte und Haarausfall schnippelte sie drei Mal die Woche zuhause an Übungsköpfen, legte Dauerwellen und dokumentierte ihre Praxis durch Fotos und Videos. Das galt auch für die übrigen rund zehn Auszubildenden, die Go Hairstyling schult. „Für uns war es wichtig, auch den Azubis zu zeigen, dass wir ein Team sind“, sagt Geschäftsführerin Kirsten Fürbach.

Diese Solidarität setzte sich fort, als der Betrieb am 5. Mai wieder loslegte. „Es war nicht einfach, alle elf Azubis unter Corona-Abständen einzubinden, aber wir haben es durch Wechselschichten hinbekommen – bevorzugt bei denen, die kurz vor der Prüfung waren“, erzählt Fürbach von einem harten Einstieg mit Arbeitszeiten von 9 bis 20 Uhr für die Mitarbeiterinnen, um die Nachfrage der Kunden zu bedienen. Auch habe Go Hairstyling der Handwerkskammer angeboten, Azubis an Friseurbetriebe zu vermitteln, die Kapazitäten haben, um die Ausbildung zu ermöglichen, „denn wir wollen niemanden auf die Straße schicken“.

Deutliche Kritik an Innung: Zu wenig Unterstützung in der Corona-Krise

„Warum gibt es keine Strafen für Betriebe, die nicht ausbilden?“, Kirsten Fürbach, Geschäftsführerin bei Go Hair Styling, sorgt sich um Fachkräfte-Nachwuchs. Corona setzte nicht nur Friseure unter zusätzlichen Druck bei der Ausbildung.
„Warum gibt es keine Strafen für Betriebe, die nicht ausbilden?“, Kirsten Fürbach, Geschäftsführerin bei Go Hair Styling, sorgt sich um Fachkräfte-Nachwuchs. Corona setzte nicht nur Friseure unter zusätzlichen Druck bei der Ausbildung. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Doch bis heute hat die Kammer nicht reagiert. Fürbach fühlt sich vom Krisenmanagement der Friseur-Innung und Handwerkskammer im Stich gelassen: „Wir haben einfach keine Rückmeldung bekommen, wie man die Friseurbetriebe in der Krise unterstützen will.“ Dabei sieht die Geschäftsführerin mit Sorge auf den Fachkräftemarkt: „Früher gab es zwei, drei Friseure im Stadtteil. Aber heute kann jeder ein Friseurgeschäft auch ohne Meister eröffnen oder sich Barbier nennen. Diese Geschäfte bilden aber den Nachwuchs nicht aus, sondern wir. Da läuft etwas verkehrt.“

Denn für die Ausbildung greifen die Fachbetriebe schon zu Nicht-Corona-Zeiten oft nicht nur in die eigene Tasche, sie leisten nebenbei Erziehungsarbeit, seelische Betreuung und sogar Sprachnachhilfe. „Warum gibt es etwa keine Strafe für Betriebe, die nicht ausbilden?“, fordert Fürbach.

Sara Limanowski hätte ihre Ausbildung trotz Corona nicht an den Nagel hängen wollen: „Ich bin natürlich froh, wieder im Betrieb arbeiten zu können. Mir macht die kreative Arbeit einfach Spaß. Für mich ist es schön zu sehen, wenn die Kunden glücklich sind.“