Mülheim. Corona ist eine harte Prüfung für die Schulen, bei der die meisten nicht gut abschneiden. Was muss sich verändern? Vier Stimmen aus Mülheim.

Nach den Sommerferien könnte der Regelbetrieb an allen Schulen wieder starten. Doch wie geht es langfristig weiter? Corona hat Lehrer, Schüler, Eltern und Verwaltung einiges gelehrt. Was muss sich ändern im Bildungswesen? Antworten aus vier Perspektiven.

Digitale Teilhabe für alle – die Sicht eines Vaters

Als Schulpflegschaftsvorsitzender der Willy-Brandt-Gesamtschule ist Andreas Nocke durch Corona reichlich nebenberuflich beschäftigt. Er besitzt einen guten Einblick: Seine beiden Söhne liegen altersmäßig weit auseinander. Der Ältere besucht – noch – Jahrgangsstufe elf der Gesamtschule, der Jüngere wird als Viertklässler bald die Grundschule verlassen.

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Die Corona-Krise legt aus seiner Sicht vor allem einen Schwachpunkt offen, der dringend behoben werden müsse: „Hauptproblem ist die digitale Teilhabe“, so Nocke. „Alle reden darüber, aber in vielen Familien hat sie noch längst nicht stattgefunden.“ Das Spektrum reicht von Haushalten mit bester Anbindung und modernen Endgeräten „bis zu Familien, die sich ein einziges Handy teilen“. Das müssen die Kinder erobern, bevor sie am hybriden Unterricht - teils digital, teils persönlich - teilnehmen können.

Schule könnten Geräte günstig anschaffen

Die Schulen könnten hier einspringen und Geräte anschaffen, meint der Vater. Es gebe Anbieter wie das gemeinnützige Unternehmen AfB, die gut erhaltene Hardware zu niedrigen Preisen verkaufen. „Wenn man dort als Schule eine Riesenbestellung macht, bekommt man sicher gute Konditionen.“

Die Willy-Brandt-Schule habe sich schon früh auf den Weg gemacht, meint Andreas Nocke, sei „super ans Netz angebunden und mit sehr guten IT-Räumen ausgestattet“. Wenn er generell auf die Schullandschaft blickt, hätten viele Lehrer jedoch Nachhilfe nötig, um hybriden Unterricht zu meistern. „Es müsste Schulungen geben, damit jeder im Kollegium zumindest die Basics parat hat.“

Podcasts statt Unterrichtsausfall – warum nicht?

Dann könnten digitale Einheiten auch eingebaut werden, wenn Lehrer erkrankt sind und ihre Stunden ansonsten ersatzlos gestrichen würden. „Wir wissen, dass an vielen Schulen Lehrer fehlen und jede Menge Unterricht ausfällt“, sagt der Elternvertreter. „Warum nicht Podcasts produzieren, zum Beispiel im Fach Geschichte, und die Kinder Aufgaben dazu lösen lassen, wenn Präsenzunterricht nicht möglich ist?“

Positiv überrascht ist der Vater von dem, was es an digitalen Lerninhalten im Netz schon gibt, auch schon für Grundschulkinder, wenn auch nicht von den einzelnen Schulen. „Ich war begeistert, als ich gesehen habe, was da in vielen Fächern schon zur Verfügung steht.“ Auch das ist eine Erkenntnis der Corona-Krise.

Mülheimer Lehrer: Von Corona-Erfahrungen langfristig profitieren

Über 40 Jahre lang war er Vollzeit-Lehrer, seit seiner Pensionierung gibt der 71-jährige Peter Leitzen Vertretungsunterricht in Philosophie und Politik am Gymnasium Heißen. Corona sei für alle „eine unglaubliche Umstellung“ gewesen – eine, die Defizite aufgezeigt hat, von der Schulen und Schüler aber auch langfristig profitieren können.

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Es war noch vor der Schließung, als Peter Leitzen mit seinen Schülern der Jahrgangsstufen neun und elf eine Umfrage zum „alltäglichen Umgang mit digitalen Medien“ gemacht hat. Ein Ergebnis: Nur die Hälfte der Jugendlichen nutzt einen Computer, lediglich ein Viertel ein Tablet.

Corona als Chance, sich intensiver um die Schüler zu kümmern

Leitzen hofft, dass sich das ändert, dass Corona noch mehr gezeigt hat, wie wichtig die technische Ausstattung ist. „Die Schüler sollten mit Tablets ausgestattet werden.“ Und während früher WLAN im Schulgebäude als Ablenkungspotenzial galt, könnte Corona gelehrt haben, dass es für digitalen Unterricht essenziell ist.

Für die Zukunft, wenn Unterricht wieder regulär stattfindet, erwartet Peter Leitzen, dass zusätzliche digitale Angebote gemacht werden können, die jetzt noch nicht funktionieren, weil die technischen Voraussetzungen fehlen. Und vielleicht bleibt auch zwischenmenschlich etwas übrig von dieser Zeit, denn „Corona hat die Chance geboten, sich viel intensiver um den einzelnen Schüler zu kümmern“. Die Kommunikation müsse intensiviert und mit dem normalen Unterricht kombiniert werden. „Die Schüler sind dafür sehr dankbar.“

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Schlechte Noten in „Kommunikation“ - Erfahrungen einer Abiturientin

Gerade erfolgreich durch das Ausnahme-Abitur 2020 gekommen ist Klara aus der Fünten, nebenbei Vorsitzende des Mülheimer Jugendstadtrates. Als Gustav-Heinemann-Gesamtschülerin konnte sie 13 Jahre lang ihre persönlichen Erfahrungen mit der Parallelwelt Schule sammeln.

Corona, meint die 19-Jährige, hat vor allem eines gezeigt: Probleme mit der Kommunikation, sobald man sich nicht persönlich gegenübersteht. „Es wird auch nach der Corona-Zeit sicher Themen geben, die dringend und schnell kommuniziert werden müssen, beispielsweise übers Wochenende. Da muss noch sehr viel getan werden.“

Nicht nur Inhalte vermitteln, sondern auch Lernmethoden

Insbesondere für Jugendliche, „die benachteiligt sind“, so die Abiturientin, deren Eltern nicht mehrere Computer und Laptops zu Hause stehen haben. „Man sollte an jeder Schule einen Raum schaffen, zu dem die Kinder und Jugendlichen freien Zugang haben, wo sie digital arbeiten können.“ Hier sei klar das Düsseldorfer Ministerium gefragt.

Auch beim Unterrichtsstoff könnte nachgebessert werden, meint die junge Mülheimerin. „Man sollte in der Schule nicht nur Inhalte vermitteln, sondern auch Lernmethoden. Das ist sehr hilfreich, gerade für Zeiten, in denen kein Lehrer ansprechbar ist, kein Präsenzunterricht erfolgen kann.“ Spätestens im Leben nach der Schule muss man seine Arbeit selber organisieren. Klara aus der Fünten wird es bald selber feststellen.

Mülheimer Sozialdezernent: „Digitalisierung wird durch Corona einen Push kriegen“

Start ins neue Schuljahr

Laut Schuldezernent Marc Buchholz werden die Kernlehrpläne für kommendes Schuljahr derzeit überarbeitet, um den Ausfall des Regelunterrichtes in diesem Schuljahr zu kompensieren.

Buchholz hofft, dass die Unterrichtsangebot angepasst werden und insbesondere die Schüler, deren Abschlussprüfungen 2021 anstehen, keine Nachteile erleiden. „Die Forderung, die zentralen Prüfungen und das Abitur im kommenden Jahr auf die Schulebene zu verlagern, wird diskutiert werden. Entscheidungen hierüber obliegen aber nicht der Stadt.“

Dass niemand ausreichend gut vorbereitet war auf die „Home-Schooling-Situation“, sieht auch Schuldezernent Marc Buchholz. „Alle Akteure sollten das als Weckruf verstehen“, so Buchholz. Die Digitalisierung sei ein Thema, das ohnehin „auf der To-Do-Liste“ stand, nun aber mit einer anderen Priorität versehen werden müsse. „Wir müssen die Technik nachrüsten.“

Buchholz blickt da optimistisch in die Zukunft, sieht die Erfahrungen aus Corona als Chance: „Die Digitalisierung wird einen Push kriegen.“ Dazu beitragen wird neben dem ohnehin verabschiedeten Digitalpakt die Sofortmaßnahme des Bundes, von der NRW mit 105 Millionen Euro profitieren wird. Wie viel genau nach Mülheim fließt, ist noch nicht klar, „aber es werden mehrere hunderttausend Euro sein“, sagt Buchholz.

Er hofft, dass die Vergaberichtlinien nicht daran hindern, das Geld schnell zu investieren und bis Ende 2020 die Schulen mit zusätzlicher Hardware ausgestattet werden können. „Ideal wäre es, wenn wir an jede Schule einen Klassensatz Endgeräte bringen könnten.“