Mülheim. Wer 40 Jahre an derselben Grundschule arbeitet, erlebt einiges. Aber vor Corona hat noch nie jemand Frau Wolfmeyer verboten, zu unterrichten.
Wer irgendwann in den vergangenen 40 Jahren die Grundschule an der Heinrichstraße besucht hat, wird Frau Wolfmeyer kennen. Sie gibt Englisch, Religion und Musik, früher auch Deutsch, seit 1980. In wenigen Wochen wird sie in den Ruhestand verabschiedet, ohne großen Auflauf (den mag sie sowieso nicht), aber wenigstens wieder mit Kindern. Darüber ist sie froh.
Hildegard Wolfmeyer hat mehrere Schülergenerationen erlebt und Umbrüche in ihrem Beruf, aber so etwas wie in den vergangenen Monaten noch nicht. Als 65-Jährige wird sie in der Corona-Pandemie einer Risikogruppe zugerechnet und durfte bis vor zwei Wochen nicht unterrichten. Für sie war das okay, sie half anderweitig mit. Aber jetzt wieder richtig da zu sein, das genießt sie.
Lehrerin glaubt: Schulöffnung vor den Ferien tut Kindern gut
Dass die Grundschule am 15. Juni wieder in voller Stärke losgeht, freut sie - aus Sicht der Kinder. "Ihnen tut es sicher gut, noch vor den Ferien ins Vertraute zurückzukehren." Und von ihren Viertklässlern, die sie lange begleitet hat, kann sie sich nun persönlich verabschieden. Hildegard Wolfmeyer versteht aber auch die andere Seite, diejenigen, die vor der Schulöffnung warnen.
Die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Zwänge trägt die 65-Jährige gelassen. Die Krise hatte aus ihrer Sicht nicht nur negative Effekte - Zwangspause, Kontaktsperre, Unterrichtslücken - sondern habe das Verhältnis zwischen Eltern und Lehrern verbessert: "Corona hat die Wertschätzung vieler Eltern in Bezug auf den Lehrerberuf positiv verändert, weil sie jetzt beim Homeschooling gesehen haben, was das bedeutet. Viele haben sich bei unserer Schule gemeldet und genau das zum Ausdruck gebracht."
Heutige Konrektorin war 1980 in Frau Wolfmeyers Klasse
Ihre eigenen Kinder - Tochter und Sohn - sind 38 bzw. 34 Jahre alt. Eine fünfjährige Enkelin hat sie auch schon. Viele ihrer heutigen Kolleginnen und Kollegen waren noch nicht geboren, als Frau Wolfmeyer an die Heinrichstraße kam. Was können die jüngeren Leute besser, rein beruflich betrachtet? "Alles, was mit Digitalisierung zusammenhängt", sagt sie. "Ich persönlich hab keinen Spaß daran, aber ich werde damit auch nicht allein gelassen. Wir haben hier ein sehr gutes Team."
Am längsten von allen kennt Frau Wolfmeyer die heutige Konrektorin, Katja Krull (49), denn sie war früher deren Klassenlehrerin. Hildegard Wolfmeyer, die nach dem Referendariat kurz an der Hauptschule Kleiststraße gearbeitet hatte, kam ganz neu an die Grundschule. Katja Krull hat die junge Lehrerin in ihr Poesiealbum schreiben lassen. Im Rückblick sagt sie über die erfahrene Kollegin: "Sie hat schon immer viel Wert auf Schreiben, Lesen und Handschrift gelegt. Das verbindet uns beide."
Vor allem das Lesen ist Frau Wolfmeyers große Leidenschaft. Privat verbringt sie viel Zeit mit Literatur, beruflich liegt es ihr sehr am Herzen, den Nachwuchs für Bücher zu begeistern. Auch mit den Kindern von heute gelinge das noch, "man bekommt sie durch Vorlesen dazu". Zumindest in der Grundschulzeit.
Selber ein Buch zu schreiben, schließt sie nicht aus: "Es wurde mir schon öfter nahegelegt. Wenn, dann wäre es auf jeden Fall etwas Humorvolles und wahrscheinlich ein Kinderbuch." Bei dieser Frau berühren sich Hobby und Beruf, das gilt auch für die Musik, die sie nicht nur unterrichtet. Sie gehört privat zum Chor im Kloster Saarn und besucht gerne Konzerte.
"Mein Gott, sind Sie immer noch da?"
Im nächsten Schuljahr wird sie vermutlich noch an einem Tag pro Woche ein paar Stunden Unterricht geben. Aber dann ist sie offiziell schon in Pension. Gefragt nach einer besonders denkwürdigen Anekdote aus ihrem langen Berufsleben, gräbt Hildegard Wolfmeyer nichts Dramatisches, Peinliches oder Erhebendes aus, sondern erzählt von einer kleinen Begegnung: Eine Mutter, deren zwei Kinder die Grundschule an der Heinrichstraße durchlaufen haben, die sie danach länger nicht sah, kam zufällig am Schultor vorbei, blieb stehen und blickte die Lehrerin an. "Mein Gott, sind Sie immer noch hier?"
Das waren ihre Worte. Hildegard Wolfmeyer erinnert sich: "Ein sehr schöner Satz. Aber ich war irritiert. Wie meint sie das? Mit Respekt? Mit Bedauern? Ich habe nicht nachgefragt, sondern verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zugelassen." Etwa acht Jahre sei das jetzt her. Und sie ist immer noch hier.
SCHULJUBILÄUM STEHT 2021 AN
Die Grundschule Heinrichstraße hat im nächsten Jahr ein echtes Jubiläum: Sie wird 50 Jahre alt.
Das soll gefeiert werden - wann und wie groß, steht allerdings noch nicht fest.