Mülheim. Alle Tagespflegestellen für Senioren sind wegen Corona geschlossen. Viele Angehörige in Mülheim können die Betreuung zu Hause nicht bewältigen.

Die Corona-Krise hat nicht nur die Kinderbetreuung lahmgelegt, sondern auch die Tagespflege für Senioren. Pflegebedürftige Menschen sind jetzt rund um die Uhr zu Hause, berufstätige Angehörige wissen nicht, wie sie zur Arbeit kommen sollen. Dabei gelten für sie die selben Ausnahmeregelungen wie für Eltern in "Schlüsselfunktionen".

Die neue Lage kam für Jörg H. völlig überraschend. Mittwochfrüh hatte der Fahrdienst seine demenzkranke Mutter noch wie üblich zur Tagespflege gebracht. Die 77-Jährige wird an drei Tagen pro Woche bei der Familien- und Krankenpflege e.V. am Tourainer Ring betreut und verpflegt. Gegen 9.15 Uhr kam dann der Anruf mit der Bitte, die Mutter sofort abzuholen. "Das habe ich in einer Blitzaktion gemacht", berichtet H. Seitdem ist sie in ihrer eigenen Wohnung und der berufstätige Sohn - er arbeitet in Düsseldorf - durchgehend gefragt.

Neun Mülheimer Tagespflegeeinrichtungen für Senioren

Er selber wohnt nur fünf Minuten entfernt. Die Mutter zeitweise alleine zu lassen, "das funktioniert auch noch", meint er, "auch wenn sie schon mal vergisst, zur Toilette zu gehen..." Über einen ganzen Tag funktioniert es nicht. Der Sohn will seine Mutter jetzt zu sich holen und, wenn möglich, im Homeoffice arbeiten.

Ähnlich geht es jetzt vielen pflegenden Angehörigen in Mülheim. Nach Auskunft der Heimaufsicht gibt es in der Stadt momentan neun Tagespflegeeinrichtungen für Senioren mit insgesamt 143 Plätzen. Da nicht alle Gäste täglich kommen, liegt die Zahl der Betroffenen um einiges höher. Seit 18. März sind überall die Türen geschlossen.

Pflegekräfte kommen stundenweise ins Haus, um Situation zu entspannen

"Per Erlass gilt bei uns ein Betretungsverbot", erläutert Frank Seemann, Geschäftsführer der Familien- und Krankenpflege. "Das müssen wir umsetzen. Schön ist es nicht. Aber es kann nicht richtig sein, dass Risikogruppen in der Tagespflege zusammensitzen." Die Mitarbeiter seien freigestellt: "Es besteht aber das Angebot, dass Pflegekräfte stundenweise vorbei kommen, um die häusliche Situation zu entspannen."

Ausnahmezustand herrscht auch bei Marion Kiesendahl (59) aus Dümpten, vollzeitberufstätig als Ärztin in einem Duisburger Krankenhaus. Sie wohnt mit ihrer Mutter Hannelore unter einem Dach. Die fast 85-Jährige ist pflegebedürftig, seit sie vor sechs Jahren einen Schlaganfall erlitten hat. Von Montags bis freitags, 8 bis 16 Uhr, ist Hannelore Kiesendahl in der Tagespflege am Tourainer Ring untergebracht.

Mit dem Chef sprechen, Dienste tauschen

Die Tochter startet früher zur Arbeit, kommt später zurück, die Mutter harrt so lange aus. Stundenweise haben sie auch eine Haushaltshilfe. "Ich kann meine Mutter alleine lassen, in der Hoffnung, dass sie nicht selbstständig aufsteht. Das klappt für eine Stunde, aber nicht wesentlich länger."

Wie es jetzt ohne professionelle Entlastung gehen soll, ist für Marion Kiesendahl die große Frage. Vorerst versucht sie, mit ihrem Chef zu sprechen, Dienste zu tauschen, und sie ärgert sich: "Immer kommt nur die Botschaft: ,Arme Eltern, die wegen Corona keine Kinderbetreuung haben.' Auch Frau Merkel hat in ihrer Rede das Problem der pflegenden Angehörigen unerwähnt gelassen. Ich möchte nicht wissen, wie viele arme Leute jetzt alleine rumlaufen."

"Schlüsselpersonen" können Notbetreuung in Anspruch nehmen

Was Marion Kiesendahl bis dato nicht wusste: Auch in der Alten-Tagespflege ist Notbetreuung möglich, falls die Familienangehörigen zu den "Schlüsselpersonen" gehören und es keine andere Lösung gibt. Bei ihr als Ärztin dürfte das keine Frage sein.

Zu den großen Anbietern von Tagespflege in Mülheim gehört auch das Familienunternehmen Behmenburg mit Sitz am Flughafen. 18 Plätze gibt es dort, die von etwa 60 Senioren wechselweise in Anspruch genommen werden - beziehungsweise wurden. Die Angehören seien überwiegend selber schon in Rente, berichtet Geschäftsführer Martin Behmenburg. Das Problem der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf stelle sich also nicht. Das Problem der völligen Überlastung aber dennoch, vor allem bei schwer demenzkranken Menschen.

Angehörige von Demenzkranken oft völlig überlastet

Behmenburg regelt es momentan so, dass fünf, sechs Senioren zu Hause besucht werden. "In besonderen Problemfällen entlasten unsere Mitarbeiter die Angehörigen, indem sie mit den Leuten mal spazieren gehen. So versuchen wir, den Wegfall der Tagespflege etwas zu kompensieren."

INFO

Falls Tagespflegeeinrichtungen eine Notbetreuung einrichten möchten, müssen sie dies bei der städtischen Heimaufsicht anzeigen.

Bisher ist das in Mülheim aber noch nicht geschehen.