Berlin. Die Regierung setzt in der Corona-Krise vorerst auf Vernunft. Und dennoch: Das Thema Ausgangssperre dürfte noch nicht vom Tisch sein.

Eine schwere Krise kann man nur durchstehen, wenn man sich der Psychologie bedient. Niemand weiß das besser als die Kanzlerin, die das Land seit 14 Jahren regiert und jetzt endgültig als die Krisen-Kanzlerin in die Geschichte eingehen wird.

Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise von 2008 stand Angela Merkel neben ihrem SPD-Finanzminister Peer Steinbrück und formulierte mit ihm gemeinsam den historischen Satz: „Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind“.

Das war rückwärtig betrachtet natürlich vermessen und ein Versprechen, das man bei einem schweren Verlauf der Krise nicht hätte erfüllen können. Aber es war zum damaligen Zeitpunkt die richtige Botschaft, die Vertrauen schuf. Und genau dieses Vertrauen in die Macht der Regierung hielt Millionen Deutsche davon ab, ihre Konten zu plündern und unser Finanzsystem über Nacht aus den Angeln zu heben.

Merkel bemüht in der Corona-Krise das Pathos

Jetzt wiederholt sich die Geschichte. Die Kanzlerin muss wieder die Psychologie bemühen und spricht zur besten Sendezeit zum Volk.

Jörg Quoos, Chefredakteur der Funke Zentralredaktion.
Jörg Quoos, Chefredakteur der Funke Zentralredaktion. © Dirk Bruniecki für FOCUS-Magazin | Dirk Bruniecki für FOCUS-Magazin

Angela Merkel muss gleichzeitig beruhigen und sensibilisieren, damit wir alle vorsichtiger im Umgang mit dem gefährlichen Coronavirus werden. Dabei hat sie ihren eigenen Stil.

Vor wenigen Tagen noch in der Bundespressekonferenz war sie betont nüchtern und sachorientiert. In der jüngsten Fernsehansprache kam Nachdruck und für Merkels Verhältnisse einiges an Pathos dazu.

Die Botschaft zur Corona-Krise war nicht neu, aber die Kanzlerin hat das Gewicht des Amtes und das ihrer ganzen Persönlichkeit mit in die Waagschale geworfen. Das war richtig und mehr als überfällig.

Und es war glaubhaft. Jedenfalls glaubhafter als das Versprechen ihres Wirtschaftsministers, der alle Arbeitsplätze trotz Corona-Krise in einer Talkshow für sicher erklärt hat.

Ob die Deutschen vernünftig genug sind, muss sich jetzt zeigen

Wer jetzt vielleicht kritisiert, dass die Kanzlerin noch härtere Maßnahmen hätte ankündigen müssen, verkennt eines: Es darf in dieser Krise nicht alle Munition zu früh verschossen werden. Die Corona-Pandemie ist von ihrem Höhepunkt in Deutschland und Europa noch weit entfernt. Die Regierung muss Maßnahmen und die Intensität der Ansprache noch eskalieren können.

Und es stellt sich auch die Frage, wie lange die bereits beschlossenen Einschränkungen überhaupt durchzuhalten sind, ohne dass es zu einem wirtschaftlichen Kollaps oder zu wirklichen Engpässen in der Versorgung kommt. Bei diesem Thema blieb die Kanzlerin in ihrer Ansprache reichlich vage.

Wer auf die Zwischentöne in Merkels Ansprache gehört hat, ahnt, dass das Thema Ausgangssperre noch nicht vom Tisch ist. Es wird schlicht vom Verhalten aller abhängen, ob die Regierung zu diesem ultimativen Mittel greifen muss. Die Deutschen gelten als vernünftig, darauf baut die Regierung offensichtlich. Ob dieses Klischee wirklich stimmt, werden wir jetzt in den nächsten Tagen sehen.

Unsere Solidarität entscheidet über Leben und Tod

Wer noch Partys feiert oder gesellige Runden in der Frühlingssonne organisiert, ist maximal unsolidarisch, unverantwortlich und bereitet drastischen, freiheitseinschränkenden Maßnahmen den Boden. Wobei auch das schärfste Polizeirecht am Ende gegen notorische Unvernunft und Ignoranz machtlos sein wird.

Daher hat die Kanzlerin in ihrer Rede an die Nation recht. Es liegt wirklich an uns allen, wie schlimm die Corona-Krise am Ende tatsächlich wird.

Wir alle werden Zeugen einer großen Bewährungsprobe, die für viele Menschen tatsächlich über Leben und Tod entscheidet. Daher müssen wir sie gemeinsam und in großer Solidarität bestehen.

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