Mülheim. . Viele Pflegende sind erschöpft und urlaubsreif, finden aber keinen planbaren Betreuungsplatz für den kranken Partner. Eine Mülheimerin berichtet.

Jemanden zu Haus zu pflegen, kostet viel Kraft. Und sehr oft sind die, die pflegen, selbst nicht mehr die Jüngsten. Darum sollen sich auch pflegende Angehörige Urlaub gönnen, ruhig mehrere Wochen lang. Die meisten machen es aber nicht oder erst dann, wenn sie selber fast zusammenbrechen. Warum das so ist? Ein Beispiel aus Mülheim.

Hannelore Schulte (71), deren Namen wir auf eigenen Wunsch geändert haben, lebt im eigenen Haus in Heißen mit ihrem demenzkranken Mann. Vor zweieinhalb Jahren haben sie sich einen Hund angeschafft. Damals hat es auch mit der Demenz langsam begonnen. „Die Krankheit verändert das Leben total“, sagt Hannelore Schulte. „Nichts ist mehr wie vorher.“

Pausenlos in Alarmbereitschaft

Das Einzige, was sie und ihr Mann (78) heute noch gemeinsam unternehmen können, ist die tägliche Runde mit dem Hund. „Und ab und zu gehen wir mittags irgendwo essen.“ Zusammen einkaufen können sie nicht mehr, „viel zu anstrengend, das müssten Sie mal erleben“. Dabei ist das Paar rund um die Uhr zusammen, die pflegende Ehefrau pausenlos in Alarmbereitschaft. Sie muss ihren Mann, der körperlich noch recht vital wirkt, an- und auskleiden. Nachts schläft er unruhig, wacht mehrfach auf, steigt die Treppe hinab vom Schlafzimmer ins Erdgeschoss, dann geht sie mit, „damit er keinen Unsinn macht. Mein Mann bleibt auch nicht alleine. Er hat Angst.“ Selbst, wenn sie nur zum Bügeln in den Keller will.

Ehrenamtliche Arbeit in einer Bibliothek aufgegeben

Immerhin: Drei Mal pro Woche wird Herr Schulte in der Tagespflege betreut. Montags, sobald er das Haus verlassen hat, geht seine Frau eine Stunde zum Sport. Ihrer Gymnastikgruppe ist sie treu geblieben. Ansonsten braucht sie die Zeit für Arzttermine, Einkäufe, Erledigungen. Nachmittags wird ihr Mann wieder nach Hause gebracht, fordert wieder ihre volle Aufmerksamkeit. Seit zwei Jahren geht das so. „Ich stemme es ganz überwiegend alleine“, sagt sie. Ihre ehrenamtliche Arbeit in einer Bibliothek hat sie aufgegeben. „Das vermisse ich sehr“ - die Kolleginnen dort und noch mehr die Kinder, die zum Bücherausleihen kamen.

Nun ist es Frühling, und im April möchte Hannelore Schulte nach Ostfriesland fahren. Sohn und Enkelin, die dort wohnen, haben Geburtstag. Ihren Mann kann sie zum Familienbesuch nicht einfach mitnehmen, für Übernachtungen im Haus der Kinder ist er schon zu krank. In den vergangenen Jahren hatte sie für ihn jeweils lange im Voraus einen Kurzzeit-Pflegeplatz reserviert, in der norddeutschen Stadt, in der ihre Kinder leben. Aber das Heim dort braucht die Plätze nun für ständige Bewohner.

Barsche Absagen einiger Heime

Ihren Mann in Mülheim betreuen zu lassen und alleine zu reisen? „Ich würde es versuchen“, sagt Hannelore Schulte. Aber in den Häusern, in denen sie sich das vorstellen könnte, gebe es keine Kurzzeit-Pflegeplätze, die man für einen bestimmten Zeitraum im Voraus reservieren kann. „Ich habe bei sieben oder acht Pflegeheimen angerufen.“ Teilweise hätten sie barsche Absage bekommen. Ihr sei deutlich gemacht worden, dass die Plätze für Menschen reserviert seien, die eine Übergangslösung nach einem Krankenhausaufenthalt brauchen.

Ob sie im April zu ihren Kindern fahren kann, weiß die 71-Jährige nicht. Sie fühlt sich urlaubsreif, das dauernde Kümmern bei alltäglichen Verrichtungen, das nächtliche Aufstehen, die schwer ergründlichen Stimmungsschwankungen ihres kranken Mannes zehren an ihr. Bei aller Liebe: „Ich möchte mal zwei, drei Wochen gar nichts tun. Meine Füße unter den Tisch stellen, vielleicht ins Museum gehen oder in ein Konzert.“

Von einem Haus habe sie die Auskunft erhalten: „Wenn Sie gar nicht mehr können und selber am Limit sind, dann bekommen Sie bei uns innerhalb einer Woche einen Platz.“ Völlige Erschöpfung, ärztlich attestiert – Hannelore Schulte sagt: „Das ist nicht der Weg, den ich gehen möchte.“

Planbare Kurzzeitpflege ist ein Problem

Den Wunsch nach einer längeren Pause teilt Hannelore Schulte mit vielen pflegenden Angehörigen: „Planbare Kurzzeitpflege ist wirklich ein Problem“, weiß aus zahlreichen persönlichen Gesprächen auch Sozialarbeiter Peter Behmenburg, der dem Vorstand der Alzheimer-Gesellschaft in Mülheim angehört. „Wenn Sie ad hoc einen Platz brauchen, bekommen sie einen, wenn Sie Urlaub planen, nicht.“

Die Zahl der Kurzzeit-Pflegeplätze in Mülheim hat sich in jüngster Zeit kaum verändert: Rund 140 stehen nach Auskunft der städtischen Heimaufsicht zur Verfügung. Es sind ausnahmslos „eingestreute“ Plätze, also unbelegte Betten, die die Häuser zur Verfügung stellen. Lediglich das Bonifatius-Haus bietet laut Heimaufsicht die Möglichkeit, Kurzzeit-Pflegeplätze verlässlich zu reservieren, wenn etwa Angehörige eine Erholungsphase planen. Alternativ muss man sich in Nachbarstädten umschauen. Saskia-Alexandra Kühle, Leiterin der Heimaufsicht, erklärt: „Angehörigen, die langfristig planen wollen, empfehlen wir Einrichtungen der Awo in Duisburg, die dies gewährleisten können. Unterstützend bieten wir die Leistungen unseres Pflegestützpunktes an, um eine Auszeit zu organisieren.“

Eine Einrichtung, die sich auf Kurzzeitpflege spezialisiert, ist in Mülheim nicht in Sicht. Viele Betreiber scheuen das finanzielle Risiko, weil die Auslastung sehr stark schwanken kann. So erklärt etwa Alexander Keppers, Geschäftsführer der Mülheimer Seniorendienste: „Eine Kurzzeit-Pflegeabteilung ist betriebswirtschaftlich schwer abzubilden.“ Außerdem müsste man eine eigene Pflegedienstleitung einstellen, und hier gute Fachleute zu finden, sei momentan „echt schwierig“, so Keppers.

Eine Möglichkeit: gemeinsam zur Kur fahren

>>Die Pflegekasse trägt die Kosten einer Ersatzbetreuung, wenn pflegende Angehörige ausfallen, weil sie krank sind oder Urlaub machen. Das Geld kann auch für Kurzzeitpflege eingesetzt werden. Pro Kalenderjahr werden maximal 3.224 Euro gezahlt.

Während der Kurzzeitpflege wird für bis zu acht Wochen pro Jahr die Hälfte des bisher bezogenen Pflegegeldes weitergezahlt.

Kurzzeitpflege kann auch in stationären Reha-Einrichtungen erfolgen, die keine expliziten Pflegeheime sind, falls die pflegenden Angehörigen dort eine Vorsorge- oder Reha-Maßnahme in Anspruch nehmen. So soll es ihnen erleichtert werden, eine mehrwöchige Kur zu machen.