Mülheim.. . Sigrun Davids (55) ließ sich nach der Familienpause zur Altenpflegerin ausbilden. Sie liebt ihre Arbeit, obwohl sie sehr anstrengend ist.

Morgens um halb sieben, wenn Sigrun Davids den Eheleuten Werntgen ihren Besuch abstattet, kommen Licht und Leben in das kleine Häuschen an den Dümptener Feldern. Die Altenpflegerin ist hier täglich im Einsatz, besonders Edith Werntgen ist auf ihre Dienste angewiesen. Während die Fachfrau der 81-Jährigen beim Waschen und Anziehen hilft, bereitet Heinrich Werntgen, selber schon 84, für seine Gattin das Frühstück.

„Wir haben einen besonderen Draht zueinander“, sagt Sigrun Davids über das Dümptener Paar. Sympathie war sofort da. Aber natürlich habe sie als Mitarbeiterin eines ambulanten Pflegedienstes auch mit sperrigeren Patienten zu tun. „Wenn Leute biestig sind, auch das kriege ich hin“, erklärt die 55-Jährige. Als junge Frau hatte sie Friseurin gelernt und in diesem Beruf auch gearbeitet, bis vor 22 Jahren ihre zweite Tochter geboren wurde und sie einige Zeit aussetzte.

Zufällig bekam sie einen Job in einem Krankenhaus

Den Wiedereinstieg wollte sie stundenweise starten, mehr zufällig bekam sie einen Job in einem Krankenhaus, wo sie Betten säuberte und herrichtete. Von hier näherte sich Sigrun Davids in kleinen Schritten einer neuen Perspektive: Sie wurde Hauswirtschaftshilfe in einem Seniorenheim, fand es „ganz toll, mit den alten Leuten zu arbeiten“, packte dort sporadisch in der Pflege mit an, wenn Personal fehlte, „und irgendwann kam die Stationsleitung auf die glorreiche Idee, ich könnte doch eine Altenpflegeausbildung machen.“

Sigrun Davids war damals schon 43 Jahre alt und hatte so ihre Zweifel: „Ich habe mir vor allem das theoretische Lernen nicht mehr zugetraut.“ Dann meldete sie sich aber doch an in der Altenpflegeschule, saß dort „unter all dem jungen Gemüse“ und entwickelte ungeheuren Ehrgeiz. Die besten Noten habe sie erreichen wollen, bestand schließlich das Examen mit „sehr gut“ und schwärmt: „Das war der Traum meines Lebens.“

Man gibt auch Herzblut rein

Seit drei Jahren gehört Sigrun Davids zum Team der Familien- und Krankenpflege e.V. in Mülheim. Ambulant unterwegs zu sein, sei auch hart. Zwölf Tage am Stück muss sie arbeiten, dann gibt es zwei Tage frei. „Körperlich und auch für die Psyche ist es sehr anstrengend“, sagt sie, „denn man gibt ja auch Herzblut rein.“ Wenn etwa jemand sterbe, den man über Jahre gepflegt hat, „das ist ein Schlag.“

Vielleicht sei es sogar besser, erst spät in die Pflege einzusteigen, meint Sigrun Davids: „Viele verpacken das gar nicht über Jahre.“ Nichtsdestotrotz sind ihre beiden Töchter mittlerweile auch examinierte Altenpflegerinnen. Hat Mamas Vorbild bei der Berufswahl der Mädchen eine Rolle gespielt? „Bei der großen bestimmt.“

Etwa 40 offene Pflege-Stellen in Mülheim

Seit Jahren wird Alarm geschlagen: Der Fachkräftemangel in der Pflege werde sich zuspitzen. Positiv formuliert: Die beruflichen Chancen in diesem Bereich sind gut. Nach Angaben der Arbeitsagentur waren Anfang Januar etwa 40 offene Stellen in Mülheim gemeldet, dabei sind allerdings Alten- wie Krankenpflege gleichermaßen erfasst.

Wie lange es dauert, bis Stellen mit Fachkräften besetzt werden können, sei unterschiedlich, erläutert eine Sprecherin der Arbeitsagentur. Manchmal gehe es schnell, mitunter dauere es aber auch monatelang: „Die Anforderungen von Seiten der Arbeitgeber und die Arbeitsbedingungen spielen eine entscheidende Rolle.“

Speziell in der Altenpflege hat auch die städtische Heimaufsicht bei ihren Prüfungen einen Blick darauf, ob Stellen unbesetzt sind. Laut deren Leiterin Saskia-Alexandra Kühle kommen jedoch höchstens „ganz geringe Unterschreitungen der Personalsollzahlen vor (zwischen 0,3 und 1,8 Stellen im vergangenen Jahr)“. Auch die gesetzliche geforderte Fachkraftquote von 50 Prozent sei bislang nicht unterschritten worden.

Auszubildende werden meist übernommen

Offene Stellen, die im Rahmen der Prüfungen auffallen, würden meist zeitnah wieder besetzt, „oft mit Auszubildenden, die nach dem Examen übernommen werden“, so Kühle. Fast alle Einrichtungen würden inzwischen viele Azubis beschäftigen. Dies gilt beispielsweise auch für die Mülheimer Seniorendienste mit drei Pflegeheimen und einem ambulanten Dienst, deren Geschäftsführer Alexander Keppers betont: „Wir bilden im großen Stil aus.“ Bei knapp 400 Mitarbeitern seien stets etwa 30 Azubis im Unternehmen, Quereinsteiger aber noch die Ausnahme.

Was die Mülheimer Heimaufsicht allerdings auch immer wieder beobachtet: „Dass viele gute, wirklich ambitionierte Fachkräfte nach einigen Jahren die direkte Pflege verlassen.“ Manche steigen auf zur Pflegedienstleitung, andere wechselten zu Arbeitgebern wie dem MDK, den Heimaufsichten oder in Unternehmensberatungen.