Mülheim. Ohne Judas Verrat hätte es nicht die Auferstehung, wohl nicht mal das Christentum gegeben. Wie das Theater an der Ruhr den Judas neu definiert.
Wer ist dieser Judas Iskariot wirklich, ohne den es das Christentum in seiner heutigen Form nicht gegeben hätte? Ein Verräter? Ein Revolutionär? Ein Bewahrer? Das Böse? Eindeutige Antworten darf man von der neuen Inszenierung „Judas“ am Theater an der Ruhr vielleicht nicht erwarten. Wohl aber eine überraschend kontroverse Debatte um das Fundament unserer Gesellschaft, unserer Außen- und Innenpolitik.
So ist es nur vordergründig der Verrat, für den sich Regisseur Markus Sascha Schlappig interessiert: Ohne Judas Verrat gibt es keine Kreuzigung – und in Folge keine Auferstehung und Erlösung der Menschheit von der Erbsünde. Ist Judas am Ende eine Schlüsselfigur im Plan Gottes?
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In der Politik, im Fußball, in der Europäischen Union – überall Verrat
Zumindest ambivalent lässt das den vermeintlich abtrünnigen Jünger erscheinen. Doch Schlappig beobachtet noch mehr, er knüpft Judas an eine soziopolitische Fragestellung, die aktueller kaum sein könnte. „Bei der SPD, beim Fußball, in der EU – überall Verrat“, spitzt der Regisseur aktuelles Weltgeschehen zu, „es hat den Eindruck, als sei der Verrat sogar die Voraussetzung, um festgefahrene Prozesse zu dynamisieren. Denn auch Judas hat Jesus verraten in der Hoffnung, dass die Jesus-Bewegung diesseitiger wird.“ Heute, 2000 Jahre später, kehrt Judas im Stück also zurück, hat weiterhin sozialpolitische Ambitionen und sucht seine Gefolgschaft.
Premiere für 20. März geplant
Ein Unbekannter im TAR ist Markus Sascha Schlappig längst nicht. 1997 hat er mit Ciulli an Pinocchio/Faust mit Regie geführt. „Das Theater war ganz schön schick“, erinnert Schlappig. „Wird Zeit, dass wir mit unserem Theater nach draußen gehen, in die Welt reisen“, soll Roberto Ciulli geantwortet haben.
Schlappig arbeitete von 2005 an als Künstlerischer Leiter des Theaters Halle 7 (München), war 2006 Mitgründer des TAD (Theater Arbeit Duisburg). Später wirkte Schlappig an verschiedenen Produktionen im Theater an der Ruhr wie Gespenster, Heilig Abend, Boat Memory mit.
Die Premiere von Judas ist für Freitag, 20. März, geplant. Beginn: 19.30 Uhr. Resttickets gibt es noch an der Abendkasse. Allerdings steht aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus noch nicht fest, ob die Premiere verschoben werden muss.
So arbeitet „Judas“ nicht nur mit der Vorlage des Monologs der niederländischen Dramatikerin Lot Vekeman sowie dem neuen Testament. Auch die Deutungen des utopischen Sozialisten Wilhelm Weitling zieht das Stück zu Rate. Zitate von Jesus – gesprochen von Jens Harzer – werden dazu als beinah politisch linksradikale Reden eingespielt. Und unter der Leitung von Gijs Burger begleitet der Theaterchor der Petrikirche die Inszenierung.
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Judas – ein falsch verstandener Revoluzzer?
Doch ganz so leicht – als falsch verstandener Revoluzzer – kommt Judas dann doch nicht davon: „Wie weit verrät unsere Gesellschaft ihre eigenen Wurzeln, durch die sie sich legitimiert?“, dreht Schlappig die Figur des Judas noch einmal hochbrisant um. Demokratie oder Abgrenzung – was soll unser Zusammenleben definieren? Ob Judas am Ende der Inszenierung darauf eine Antwort bietet?
Vekemans Judas wird übrigens von Simone Thoma gespielt, Adriana Kocijan spielt einen Vertrauten Judas. „Wir werden sehen, was sie im Spiel entwickeln, was sich an Fantasie in Bewegung setzt“, deutet Dramaturg Helmut Schäfer an, dass den Zuschauer noch weitere Überraschungen erwarten werden.