Mülheim. Analysen-, Bio- und Labortechnik: Damit ist Gerstel weltweit erfolgreich. Für Weltmarktunternehmen führt kaum ein Weg an den Mülheimern vorbei.

1967 gründete Eberhard Gerstel in einer Doppelgarage an der Talstraße in Dümpten sein eigenes Unternehmen. Heute beschäftigt die Firma mehr als 220 Mitarbeiter, kaum ein Weltmarktunternehmen kommt ohne die Technik der Mülheimer aus. Ein Interview mit dem Sohn des Firmengründers, Geschäftsführer Holger Gerstel.

Dieses Projekt liegt gerade auf meinem Schreibtisch:

Holger Gerstel: Wir sind dabei, unser Familienunternehmen in die nächste Generation zu überführen. Gerstel ist inzwischen 53 Jahre erfolgreich am Markt. Wir wollen sicherstellen, dass das auch in Zukunft so bleibt. Es geht uns nicht allein um den Namen Gerstel, sondern auch und vor allem um den Erhalt der mehr als 220 Arbeitsplätze im Unternehmen.

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Damit verdienen wir unser Geld:

Gerstel entwickelt, produziert und vertreibt Geräte und Systeme für die chemische Analytik. Unsere Technologie wird überall dort eingesetzt, wo es um die Bestimmung von Inhaltsstoffen geht: In der Lebensmittel- und Getränkeherstellung, in der Entwicklung und Produktion von Aroma- und Duftstoffen, in der Material- und Umweltanalytik, bei der Bestimmung von Drogenwirkstoffen und Dopingmitteln. Mit unseren Geräten wird zum Beispiel überprüft, ob Plastikspielzeuge Schadstoffe enthalten, oder ob Gewässer mit Pestiziden aus der Landwirtschaft belastet sind.

Das ist unser Vorzeigeprodukt:

Die Firma Gerstel stellt in Mülheim Laborgeräte für analytische Zwecke her und verfügt selbst über ein Prüflabor. Hier arbeitet Feinwerktechniker Lasko Martin.
Die Firma Gerstel stellt in Mülheim Laborgeräte für analytische Zwecke her und verfügt selbst über ein Prüflabor. Hier arbeitet Feinwerktechniker Lasko Martin. © FUNKE Foto Services | Jörg Schimmel

Das ist zum einen unsere Automatisierungstechnik, die es unseren Kunden ermöglicht, die Effizienz und Produktivität ihrer Analytik zu steigern. Das andere ist unsere Thermodesorptionstechnologie, bei der es um den Nachweis flüchtiger Stoffe geht ohne den Einsatz sonst üblicherweise eingesetzter, zum Teil giftiger Lösungsmittel. Das ist, wenn Sie so wollen, unser Beitrag zu einer grünen Chemie.

Wir verkaufen unsere Produkte in. . .

. . . nahezu alle Länder dieser Erde. Auf wichtigen Zielmärkten sind wir mit eigenen Unternehmen vertreten, etwa in den USA, Japan, China, Singapur und der Schweiz. In mehr als 80 Ländern arbeiten handverlesene Handelsvertreter für uns. Entwickelt und hergestellt werden unsere Geräte und Systeme allerdings an unserem Stammsitz in Mülheim.

Unsere größten Kunden sind. . .

Dazu zählen nicht zuletzt alle weltweit führenden Hersteller von Lebensmitteln, Getränken, Bedarfsgegenständen, Aroma- und Duftstoffen. Dazu zählt die Automobil-, die chemische, pharmazeutische und Elektroindustrie, Auftragslaboratorien, Forschungseinrichtungen und Universitäten sowie Behörden, die sich mit der Überwachung von Lebensmitteln und der Umwelt beschäftigen.

Unsere herausragende Referenz. . .

. . . lässt sich wie das Alphabet aufsagen, sprich: A wie Audi, C wie Coca Cola, D wie Daimler, E wie Eurofins, F wie Ferrero, J wie Johnson & Johnson, K wie Kraft, L wie L’Oreal, P wie Pepsi, Proctor & Gamble, Porsche etc. Alle aufzuzählen, würde den Rahmen dieses Interviews sprengen.

Das war der spektakulärste Auftrag unserer Firmengeschichte:

Wir haben mit einem Auftrag die Centers for Disease Control and Prevention (CDC), sprich: alle Einrichtungen der US-amerikanischen Gesundheitsbehörden, mit unseren Systemen versorgt. Von Alaska bis Hawaii – in allen 50 Bundesstaaten Nordamerikas nutzt die CDC unsere Technologie.

Das sind unsere wesentlichen Konkurrenten:

Es gibt vielleicht fünf Unternehmen, die in Teilen vergleichbare Geräte und Systeme anbieten. Dazu gehört Agilent Technologies, das Unternehmen ist allerdings auch einer unserer wichtigsten Geschäftspartner, der weiß, wie im Übrigen unsere Kunden auch, was sie an uns haben. In puncto Laborautomatisierung und technischer Unterstützung sind wir schlicht konkurrenzlos gut.

So sah Tag 1 in unserem Unternehmen aus:

Steckbrief: Gerstel GmbH & Co. KG

Firmenname: Gerstel GmbH & Co. KG

Tochterfirmen: Gerstel Inc., Baltimore, USA; Gerstel K.K., Tokio, Japan; Gerstel AG, Sursee, Schweiz; Gerstel LLP, Singapur; Gerstel Co. Ltd., Shanghai, China

Branche: Analysen-, Bio- und Labortechnik

Gründungsjahr: 1967

Sitz: Eberhard-Gerstel-Platz 1

Weitere Standorte: keine

Anzahl Produkte: circa 50

Mitarbeiter: circa 220

Auszubildende: 3

Ausbildungsberufe: Feinwerkmechaniker, Industriekaufmann

Durchschnittsalter Belegschaft: 41 Jahre

Betriebsrat? nein

Umsatz 2009: k.A.

Umsatz 2019: k.A.

Webadresse: gerstel.de

Dazu müssten Sie unseren Vater befragen, der die Firma 1967 in einer Doppelgarage an der Talstraße gegründet hat. Wir Söhne waren oft bei ihm, lag doch die Werkstatt an unserem Schulweg. Unser Vater war früher als Leiter der mechanischen Entwicklung beim Max-Planck-Institut für die Entwicklung und Herstellung von Messgeräten zuständig. Folglich sah man ihn auch in seiner eigenen Werkstatt entweder am Schreibtisch sitzen und konstruieren oder an der Drehbank stehen. Immer dabei: die Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen.

Diese wichtigen Entwicklungsschritte hat die Firma gemacht:

Am Anfang lag der Schwerpunkt auf rein mechanisch-feinwerklichen Konstruktionen. Dann wurden die ersten Elektroingenieure eingestellt, um Messprozesse besser steuerbar und überwachen zu können. Mit dem Einstieg in die Analytik kamen Chemieingenieure hinzu, mit der Automatisierung Computer- und Softwarespezialisten. Absehbar werden wir vermutlich noch Experten für künstliche Intelligenz (KI) einstellen. Eine andere Ebene der Unternehmensentwicklung war die Internationalisierung, die Gerstel, die wir insbesondere ab 1998 vorangetrieben haben.

Diese Geschichte werde ich nie vergessen:

Es war in den 1980er-Jahren. Unser Vater erwartete wichtige Kunden aus den USA. Alles war auf Hochglanz gebracht und die Order erteilt worden, ihn zu rufen, wenn die Kunden da seien. Unser Vater war höchst angespannt und nervös. Es war ein wichtiger Termin, von dem viel abhing. Auf keinen Fall sollte der Besuch ins Labor geführt werden. Das wollte er höchst persönlich machen. Einer der Mitarbeiter war an dem Tag beim Bäcker gewesen und hatte Gebäck besorgt, darunter zwei mit Zuckerguss bestrichene Amerikaner. Damit ging er natürlich zu den Kollegen. Einer hatte die Idee, unserem Vater einen Streich zu spielen. Hat laut hochgerufen, die Amerikaner seien schon da, und zwar seien sie bereits im Labor. Unser Vater ist mit wehendem Kittel die Treppe runter, hat sich mit hochrotem Kopf und wildem Blick umgeschaut und gefragt, wo denn die Amerikaner seien und vor allem, wer sie entgegen seiner Anweisung ins Labor gelassen hätte. Da, auf dem Tisch, hat einer der Mitarbeiter wie selbstverständlich geantwortet, verbunden mit der Frage, ob er auch ein Stück Kuchen haben möchte. Alle haben sich auf die Schenkel geschlagen. Unser Vater konnte gar nicht anders, er musste mitlachen. Als die Gäste aus den Staaten schließlich ankamen, war unser Vater entspannt und locker. Es wurde ein gutes Gespräch.

Wenn das Unternehmen eine Entscheidung noch einmal rückgängig machen könnte, dann diese:

Wir bereuen nichts.

Vor diesen Herausforderungen stehen wir:

Dr. Oliver Lerch ist Applikationschemiker bei Gerstel und führt hier unter Einsatz des Twisters eine CC-Analyse durch.
Dr. Oliver Lerch ist Applikationschemiker bei Gerstel und führt hier unter Einsatz des Twisters eine CC-Analyse durch. © FUNKE Foto Services | Jörg Schimmel

Der Digitalisierung, Stichwort Labor 4.0. Es geht darum, den Anforderungen der Anwender im Labor mit nachhaltigen Lösungen zu begegnen. Hierfür brauchen wir Mitarbeiter, die über das entsprechende Fachverständnis und Know-how verfügen. Fachleute zu bekommen, ist gar nicht einfach.

Das soll die Zukunft bringen:

Gerstel existiert seit mehr als 50 Jahren. Unser Unternehmen ist solide gewachsen, sowohl in technologischer Hinsicht als auch auf dem weltweiten Markt der Analysentechnik. Hieran knüpfen wir an, wenn die nächste Generation die Leitung des Unternehmens übernimmt.

Investieren werden wir. . .

… in die Aus- und Fortbildung unserer Mitarbeiter, die Entwicklung neuer Technologie und die Sicherung unseres Geschäftes. Das bedeutet auch, dass wir, wie zuletzt in China, auch versuchen werden, im In- wie im Ausland weiter zu expandieren.

Unsere Firma ist so besonders, weil. . .

. . . es unseres Wissens nach nur sehr wenige Unternehmen gibt, die ihren Kunden ein vergleichbares Leistungsspektrum bieten können. Wir besetzen eine Nische. Wir entwickeln, konstruieren, bauen und testen Analysegeräte nach Kundenwunsch, und zwar alles unter einem Dach, mit dem Markenzeichen „Made in Mülheim“. Wir sind zudem in der Lage, unsere Kunde in nahezu all ihren anwendungstechnischen Fragen bestens zu unterstützen, sie zu schulen und ihnen ein Rundum-sorglos-Paket an Service zu offerieren.

Meine Mitarbeiter sind die besten, weil. . .

… eine große Ausbildungstiefe vorhanden ist und Eigenmotivation und Engagement sehr ausgeprägt sind. Das gute und erfolgreiche Miteinander im Team macht Vieles erreichbar.

Solche Mitarbeiter suche ich:

Wir beschäftigen vor allem naturwissenschaftlich und technisch ausgebildetes Personal, viele mit einem Hochschulabschluss. Und wir bilden selbst Feinwerkmechaniker aus. In diesem Jahr ist es uns bedauerlicherweise nicht gelungen, den zur Verfügung stehenden Ausbildungsplatz zu besetzen. Apropos: Wir suchen zurzeit auch aktiv einen ausgebildeten technischen Redakteur.

So wird sich unsere Mitarbeiterzahl entwickeln. . .

Seit dem Jahr 2007 hat sich die Zahl unserer Mitarbeiter nahezu verdoppelt. Wir gehen davon aus, dass sich dieser Trend auch in den kommenden zehn bis 15 Jahren abzeichnet.

Der Standort Mülheim ist für mich. . .

. . . optimal, und zwar nicht allein, weil wir hier geboren und aufgewachsen sind. Im Zuge der Expansion unseres Unternehmens haben wir mehrere Standorte in der Rhein-Ruhr-Region in Augenschein genommen. Am Eberhard-Gerstel-Platz haben wir die besten Bedingungen vorgefunden: zentrale Lage, gute Erreichbarkeit und mittelfristig Potenzial für weiteres Wachstum.

Problematischer als der hohe Gewerbesteuersatz in Mülheim ist für uns. . .

Der Fachkräftemangel.

Das fehlt uns am Standort:

Fachkräfte.

Wenn ich heute ein Unternehmen meiner Wahl gründen könnte, dann wäre das. . .

Sie haben gesehen, wie spannend es ist, bei Gerstel zu arbeiten. Warum soll ich mir was anderes vorstellen?