Mülheim. Als Lehrling kam Wolfgang Schreyer 1980 erstmals nach Mülheim. Heute führen ihn Dienstreisen hierher. Seine Eindrücke sind extrem zwiespältig.
Zur Mülheimer Innenstadt hat fast jeder eine Meinung, selten fällt sie gut aus. Wolfgang Schreyer will fair bleiben: Anfang der achtziger Jahre kam er als Lehrling der Kraftwerk Union (KWU) nach Mülheim. Heute ist der 57-Jährige als Siemens-Mitarbeiter mit Wohnsitz in Schweden gelegentlich beruflich hier und erlebt die Stadt als „extrem zwei-gesichtig“. Was meint er damit?
Wenn Wolfgang Schreyer als Dienstreisender in Mülheimer weilt, wie in dieser Woche, übernachtet er in citynahen Hotels. Von dort führen seine Wege in verschiedene Richtungen, letztens hat er unterwegs Fotos gemacht und an diese Redaktion geschickt, weil er etwas loswerden möchte.
Ambivalente Eindrücke rund um den Hauptbahnhof
Die „Ambivalenz“ seiner Eindrücke will er teilen. Ihn bewegt – einerseits – der Anblick einer schäbigen, vermüllten Bushaltestelle am nördlichen Ausgang des Hauptbahnhofes, mit einem Teppich aus weggeworfenen Zigarettenkippen: „abstoßend“. Andererseits wandelt er auf der Kohlenstraße vorbei an renovierten Gründerzeitfassaden: „äußerst gemütlich herausgeputzt.“
Weitere Beispiele fallen ihm ein. Am Morgen: zerfallende, verschmutzte U-Bahnhöfe. An einem Spätnachmittag: „eine offene, laute Kneipenszene mit sich im ungepflegt wirkenden Gehwegbereich übergebenden Menschen“. Das historische Rathaus dagegen findet Schreyer wunderschön. Der Hauptbahnhof selber, früher ein düsterer Durchgang, eine olle Halle, habe sich „toll verändert“. Das neue Schloßstraßenquartier an der Ruhrpromenade beeindruckt ihn, die „vermutlich hochpreisige Schachtelarchitektur“ der Gebäude zeige aber auch besonders deutlich die sozialen Unterschiede in der Stadt.
Als 17-Jähriger im Lehrlingswohnheim der KWU einquartiert
Wolfgang Schreyer, heute Abteilungsleiter im Bereich Controlling, hat 1980 eine kaufmännische Ausbildung bei der KWU in Erlangen begonnen. Damit die jungen Leute das Unternehmen umfassend kennenlernen, waren sie zwischenzeitlich auch an anderen Standorten eingesetzt. So kam Schreyer als 17-Jähriger nach Mülheim. Einquartiert war er im Lehrlingswohnheim nahe der KWU-Zentrale, das er als „simplen Wohnblock“ in Erinnerung hat.
Zur Person
Wolfgang Schreyer (57) ist geboren in München, aufgewachsen zeitweise in Erlangen. Seine Familie ist aber innerhalb Europas mehrmals umgezogen, wegen beruflicher Wechsel des Vaters.
In Schreyers eigener Familie, zu der fünf Kinder gehören (die jüngste Tochter ist fast zwölf), hat sich das unstete Leben fortgesetzt. Bisherige Stationen waren unter anderem Melbourne und Shanghai. Seit 2015 liegt der Lebensmittelpunkt in Finspang/Schweden.
Dem Teenager aus der nordbayerischen Provinz erschien Mülheim damals als große Stadt „mit gefühlt gigantischen Wohntürmen in der City“. Straßenbahnen bimmelten hier, es gab große Kaufhäuser: „Nach meiner Erinnerung war die Innenstadt belebt“, sagt Schreyer.
Bimmelnde Straßenbahnen und große Kaufhäuser in der Innenstadt
Schwer imponiert hat ihm vor allem die Turbinenfabrik, wo in riesigen Hallen körperlich geschuftet wurde. Anders, als am Bürostandort in Erlangen. „Fahrt mal da hoch“, wurde den Azubis geraten: Dort im Ruhrpott würden die Produkte hergestellt, die allen die Jobs bescheren. „Verladen wurden sie auf große Schiffe mit ebenso großen Traverse-Kränen. Wir junge Lehrlinge aus dem beschaulichen Süden der Republik staunten Bauklötze“, erinnert sich Schreyer, „und waren insgeheim auch stolz, in dieser Firma anfangen zu dürfen.“
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Im nächsten Herbst wird er genau 40 Jahre im Unternehmen sein. Die Sorgen um die Arbeitsplätze, die er bei den Mülheimer Kollegen verspürt, „sind natürlich auch meine Sorgen. Wir befinden uns in der tiefsten Krise, seit ich die Firma kenne.“ Was hat sein Vater noch gesagt? „Bei der Firma bist du gut aufgehoben, das ist ein Job für die Ewigkeit. Strom brauchen die Menschen immer...“
Drei Tage dauerte diesmal der Aufenthalt von Wolfgang Schreyer in Mülheim, er wird mit hoher Wahrscheinlichkeit wiederkommen – und kann gut damit leben. „Irgendwie habe ich diese zwei-gesichtige Stadt auch lieb gewonnen“, sagt der weit gereiste Mann.