Mülheim. Sie sind hochgiftig: 20 Sahara-Dickschwanz-Skorpione entwischen 1997 aus einer Wohnung in Mülheim. Die Stadt lässt ein Gegengift einfliegen.
Sie sind nur zwei Zentimeter groß, doch sie halten ein 70-Parteien-Haus, die Feuerwehr und die Stadtverwaltung in Atem: Am 14. Oktober 1997 entwischen über 20 kürzlich geschlüpfte gelbe Sahara-Dickschwanz-Skorpione aus einem Terrarium in einer Wohnung in der Haarzopfer Straße in Mülheim-Heißen. Gegengift wird eingeflogen, eine Wohnung vergast – Erinnerungen an eine irre Geschichte.
Es ist ein Dienstagmorgen, keine sieben Grad warm, als über 20 Skorpione im dritten Stock des Hochhauses entfliehen. Monatelang hatte die Mutter die Jungen auf ihrem Rücken getragen – bis zur Häutung. Als Björn S. in der Früh die Rollos am Terrarium hochschiebt, merkt er: Die kleinen, aber hochgiftigen Krabbeltiere sind durch die Schiebe-Scheiben entwischt.
Gelbe Sahara-Dickschwanz-Skorpione sind höchst giftig
Er informiert die Behörden. Die Reptilien-Spezialisten Jochen Weizenbeck und Thomas Bertzy machen sich auf den Weg. Das Ordnungsamt verteilt Handzettel an die Mieter des Hauses: „Fassen Sie die Tiere auf keinen Fall an.“ Zu Recht, sagt Bertzky damals der Zeitung: „Das sind die giftigsten Skorpione überhaupt. Selbst die kleinen Tiere können tödlich sein.“ Außerdem können sie in warmer Umgebung größer werden – und noch gefährlicher.
Monokelkobra macht bundesweit Schlagzeilen
13 Jahre nach dem Vorfall mit den Skorpionen hielt eine kleine giftige Monokelkobra die Stadt wochenlang in Atem, machte bundesweit Schlagzeilen und verursachte enorme Kosten. Am Ende war die Kobra tot, die Stadt wegen der 50.000 Euro teuren Suchaktion wieder ein Stückchen ärmer. Auf den Kosten ist die Stadt Mülheim bis heute sitzengeblieben, der Besitzer war Hartz-IV-Empfänger.
Die Monokelkobra war in der Wohnung des 19-jährigen Besitzers entwischt. Auf der Suche nach dem Tier war die Wohnung des Mannes bis auf den Rohbauzustand auseinandergenommen worden. Erst drei Wochen später wurde der Kadaver des rund 30 Zentimeter langen, fingerdicken Tiers in der Wohnung entdeckt. Die Kobra war vermutlich an Nahrungsmangel und Entkräftung eingegangen.
Die beiden Reptilien-Spezialisten nehmen das Haus in Augenschein, untersuchen Lüftungsschächte, transportieren das Muttertier und ihre verbliebenen Jungen ab. Sie fangen noch weitere 19 Mini-Skorpione ein. Später wird der Aquazoo in Düsseldorf sie aufnehmen. Währenddessen sperrt die Stadt vorsorglich einen Spielplatz in der Nähe, auch wenn die guten Kletterer sich bei den kühlen Temperaturen kaum herauswagen würden.
Wohnung wird mit Insektengift ausgeräuchert
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Die Anwohner sind in heller Aufregung: „Ich habe richtig Herzklopfen vor Angst. Ich kann nicht ins Bett gehen“, sagt eine Seniorin dem WDR an ihrer Wohnungstür. Und eine andere erzählt, sie habe vorsorglich die ganze Wohnung abgesaugt.
Damit wieder Ruhe einkehren kann in das Hochhaus, wird zu drastischen Maßnahmen gegriffen. Thomas Betzky klebt die Wohnungstür ab, Jochen Weizenbeck geht in die Räume, zieht Tapeten ab und besprüht sie mit Gift, und räuchert letztlich die Räume aus – mit einem für Menschen unschädlichen Insektengift.
10.000 Mark muss der Halter der Skorpione zahlen
Drei Tage lang können Björn S. und seine Lebensgefährtin Tanja H. ihre Wohnung nicht betreten. Doch das bleibt letztlich wohl ihre geringste Sorge. „Wir haben uns damals entschieden, ein Serum aus Mannheim einfliegen zu lassen“, sagt Stadtsprecher Volker Wiebels, der sich auch heute noch gut an den Fall erinnert.
Für den Fall, dass jemand gestochen wird von den gefährlichen Tierchen, lässt die Stadt ein Gegengift kommen, mit dem Flugzeug rasant nach Mülheim gebracht. 1500 D-Mark kostet das Serum, 3100 Mark der Transport – insgesamt kommen auf den Halter satte 10.000 Mark Kosten zu. Das Muttertier war übrigens legal für wenig Geld gekauft worden. Immer wieder entbrennt die Diskussion um ein Verbot, zuletzt nach der entflohenen Kobra in Herne, doch bislang hat sich nichts an der Gesetzeslage geändert.