Mülheim. Um Kunden nicht ans Netz zu verlieren, müssten Verkäufer „Emotionales bieten“. Nach wie vor gibt es Chancen für die Innenstadt, glauben Experten.

Die Prognosen für den Einzelhandel sind alles andere als rosig. Rund ein Viertel aller klassischen Einkäufe wird heute via Internet abgewickelt, sagt die Mülheimer Citymanagerin Gesa Delija. Und der Online-Handel werde weiter an Boden gewinnen. „Der stationäre Handel hat trotzdem Zukunft“, ist sie überzeugt. Die Händler allerdings müssten den Geist der Zeit erkennen und sich neu aufstellen. Der Einkauf als emotionales Erlebnis sei das Ziel.

Bislang funktioniere klassischer Einzelhandel oft so: „Es gibt eine Verkaufstheke, Regale mit Produkten und der Verkäufer wartet so lang, bis ein Kunde reinkommt.“ Diese Methode sei überholt. Wer mehr nicht biete, werde im Kampf um den Kunden unterliegen. „Im Netz hat der Käufer fast unbegrenzte Möglichkeiten.“

„Der Händler 4.0 kann nicht länger nur verkaufen“

City-Managerin Gesa Delija.
City-Managerin Gesa Delija. © Funke Foto Services | Martin Möller

Um gegen diese Konkurrenz zu bestehen, müssten sich die Verkäufer vor Ort einiges einfallen lassen. „Der Händler 4.0 kann nicht länger nur verkaufen, er muss dem Kunden ein Erlebnis bieten. Es geht darum, Menschen zu emotionalisieren und Geschichten zu erzählen. Der Händler muss Veranstalter, Entertainer und Social-Media-Experte sein“, sagt Delija. Das alles könne das Internet nicht. Wer seinen Kunden kenne und das Konsumverhalten im Kopf habe, könne leicht etwas anbieten, was über den normalen Einkauf hinausgehe. „Der entscheidende Vorteil ist: Der Händler ist da, er ist ein Mensch zum Anfassen.“

Birgit Karenfort, Inhaberin des gleichnamigen, alteingesessenen Schuhhauses, hat das verstanden – einfach aber ist die Umsetzung nicht. Sie hat ihren Internet-Auftritt von einer professionellen Agentur überarbeiten lassen, ist bei Facebook und Instagram aktiv. Und, worauf sie besonders stolz ist: „Wir haben 360-Grad-Bilder anfertigen lassen und man kann im Internet jetzt einen virtuellen Spaziergang durch unseren Laden machen.“ Noch kommen viele alte Stammkunden, doch Karenfort ist längst klar, „dass wir uns darauf nicht mehr ausruhen können“. Sie ist aktiv geworden.

Hilfe von der Industrie- und Handelskammer und der Wirtschaftsförderung

Wer so weit noch nicht ist und Unsicherheit verspürt, bekommt Hilfe zum Beispiel von der Industrie- und Handelskammer, die Veranstaltungen wie „Wirtschaft digital“ im Angebot haben. Auch „Mülheim & Business“, die städtische Wirtschaftsförderung, stehe Händlern mit Förderprogrammen und Beratung zur Seite, berichtet Delija.

Aktuelle Leerstandsquote beträgt 11,7 Prozent

Laut Citymanagerin Gesa Delija beträgt die aktuelle Leerstandsquote in Mülheim 11,7 Prozent.

In 207 Gebäuden der Innenstadt wird das Erdgeschoss gewerblich genutzt; das sind rund 65 Prozent der Immobilien. Angesiedelt sind dort 122 klassische Geschäfte; zudem finden sich unter anderem 75 Dienstleister und 37 Gaststätten in der City.

In Schloßstraße und angrenzenden Straßen sind 28.000 qm als Verkaufsfläche ausgewiesen, im Forum 30.000 qm. Addiert man das Rhein-Ruhr-Zentrum und die Stadtteilzentren hinzu, beträgt die Gesamt-Fläche 317.000 qm.

Marc Heistermann, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes NRW Ruhr, fordert ebenfalls ein Umdenken. „Der Händler muss sich dem Kunden anpassen und nicht der Kunde dem Händler.“ Mittlerweile seien auch ältere Menschen im Netz unterwegs. Um sie von Couch und Tablet wegzulocken, muss man Besonderes bieten. Auch Heistermann redet von Events und mehr Service, damit der Kunde sich tatsächlich aufmacht. Beim Verkauf eines Fernsehers könne der lokale Händler zum Beispiel punkten, „wenn er gleich noch anbietet, das Gerät auch anzubringen und einzustellen“.

Beratungs- und Dienstleistungen werden zusehends wichtiger

Beratungs- und Dienstleistungen würden zusehends wichtiger. Das sieht auch Britta vom Felde so. Die Filialleiterin des Wäsche- und Bademodengeschäfts Body & Beach Herta Oehler hält die „intensive, persönliche Beratung“ für unerlässlich. Gerade in Zeiten, in denen es in der Mülheimer Innenstadt „nicht einfacher“ geworden sei. Dennoch: „Mit gutem Service kann man – allen Unkenrufen zum Trotz – erfolgreich arbeiten.“

Delija und Heistermann haben noch andere Ideen und Strategien: Künstler ins Ladenlokal einladen, mal ein Gläschen Sekt ausschenken, eine Weinverkostung organisieren, vergnügliche Abende mit Musik, Gespräche mit Autoren. . . „Es hilft, die Kundenbrille aufzusetzen und sich zu fragen, was würde mich ansprechen“, sagt Heistermann. Keine Frage: Die neuen Anforderungen bedeuteten „zum Teil enormen Aufwand“.

Mülheims „riesiges Pfund“? Die Lage am Fluss

Es sei wichtig, den Kunden auch mal mit Ruhe und Muße zu begegnen. „Dafür sind verkaufsoffene Sonntage eine gute Gelegenheit.“ Heistermann spricht sich zudem für einheitliche Öffnungszeiten aus. Mülheims „riesiges Pfund“ sei die Lage am Fluss. Auch das neue Stadtquartier Schloßstraße an der Stelle des seit Jahren leerstehenden Kaufhofes tue der Innenstadt gut; „obwohl ich nicht sehen kann, dass es schon wahnsinnig zündet“. Elementar im Kampf mit den Internet-Riesen sei, dass die Innenstadt gut zu erreichen ist. „Die Anfahrt muss problemlos sein.“ Eine schwierige Verkehrsführung und möglicher Stau rund um die Schollenstraße sowie die Idee, den Nahverkehr auszudünnen, „stehen nicht auf der Habenseite“.

Marion Jakobs arbeitet direkt gegenüber des neuen Stadtquartiers. Die Mitarbeiterin des Lederwarengeschäftes Langhardt sieht die untere Schloßstraße „auf einem guten Weg“. Die Hotels würden für neue Kunden sorgen und die Nähe zum Stadthafen sei attraktiv. Das Stadtbild habe sich zum Positiven verändert, „es ist schön, dass hier unten jetzt Leben ist“.

Ruhrbania-Häuser am Stadthafen bringen „gehobenes Klientel“

Darüber freut sich auch Frank Prümer aus dem Vorstand der Werbegemeinschaft. Die Ruhrbania-Häuser am Stadthafen hätten „gehobenes Klientel“ in die Innenstadt gebracht. Sein Damenmoden-Geschäft habe nach wie vor „gute Stammkunden“ – „ich sehe die Innenstadt nicht so negativ“, sagt Prümer. Eine Auffassung, die er mit Britta vom Felde, Marion Jakobs und anderen teilt.

Dass es vorangehe, sei auch Vermietern zu verdanken, „die an die City glauben“, die in ihre Immobilien investierten. Und einem Deal zwischen Wirtschaftsförderung, Stadtmarketing, Werbegemeinschaft und Immobilienwirtschaft. 2018 verständigte man sich mit Eigentümern von Immobilien an Schloßstraße und Umgebung auf möglichst niedrige Mieten: „Zwischen fünf und zehn Euro plus anteilig Umsatzmiete.“ Das setze auch jene unter Druck, die bislang mehr forderten. Vermieter sollten sich auch auf kürzere Mietverträge einlassen, findet Heistermann. Nur so bestehe für Existenzgründer, die etwas Neues ausprobieren wollen, eine Chance.

Der Geschäftsführer des Handelsverbandes nimmt auch die Stadtverwaltung in die Pflicht; „sie muss zeigen, dass sie an Hilfe wirklich interessiert ist, und die richtigen Signale senden“. Baustellen in der Innenstadt zur Weihnachtszeit gehörten sicher nicht dazu.