Mülheim. . Über Inhalte wollen die Sozialdemokraten zu alter Stärke finden. Die persönlichen Wunden im Zuge der OB-Affäre sind nicht verheilt. Eine Analyse.
Wenn die SPD am Montagabend zum Kommunalpolitischen Parteitag im Ringlokschuppen zusammenkommt, geht es nicht nur um inhaltliche Ausrichtungen und Schwerpunktsetzungen für die nächsten Monate und Jahre, sondern auch um so etwas wie einen Neuanfang. Die SPD in Mülheim befindet sich nach wie vor in einer für sie mehr als unglücklichen Zeit. Die innerparteilichen Wunden, die die Spesen-Affäre um Oberbürgermeister Ulrich Scholten gerissen hat, sind längst nicht verheilt. Von SPD 1 und SPD 2 sprechen die politischen Kontrahenten und betonen die Spaltung. Sie ist nicht überwunden. „Es bleiben Funken im Raum“, sagt ein Mitglied – und drückt es damit noch harmlos aus.
Zwei Lager gab und gibt es: Jene, die den OB wegen seiner Amtsführung und nicht nachvollziehbaren weinseligen Treffen auf Stadtkosten lieber heute als morgen aus den Ämtern treiben möchte, und dann jene, die auf Rechtsstaatlichkeit verweisen und für die die Unschuldsvermutung bis zur Klärung des Falls durch die Staatsanwaltschaft gilt.
„Inhaltlich klare Positionen entwickeln und vertreten“
Rodion Bakum, Ratsherr und Mitglied im Parteivorstand, organisiert den Parteitag: „Unser Ziel ist es“, sagt er, „dass wir in den nächsten 18 Monaten ungeachtet aller persönlichen Brüche hart daran arbeiten, inhaltlich klare Positionen zu entwickeln in Abstimmung mit der Fraktion und diese nach außen auch vertreten.“
Es gibt in der Partei eine Sehnsucht nach Versöhnung – intern, aber auch Richtung Bürgerschaft. Tiefe Zerwürfnisse prägten zuletzt das Bild der SPD in der Öffentlichkeit. Teile des Vorstandes sollen von Parteimitgliedern als „Charakterschweine“ beschimpft worden sein, die Konflikte gipfelten jedoch in einer Mail eines SPD-Ratsmitgliedes, der dem Parteivorstand ein Politikverständnis unterstellte, das dem des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion von 1953 ähnele. Zur Erinnerung: Damals war Stalin an der Macht, ein Massenmörder. Wie tief, fragten sich viele Genossen, will die Partei noch sinken. Konsequenzen für jenes SPD-Mitglied blieben aus.
Sorgen vor der nächsten Wahl
Gar von „Krieg“ in der Partei sprach die kommissarische Vorsitzende Silvia Richter zu Beginn des Jahres noch und kündigte ihren Rückzug aus der ersten Reihe an: „Ich weiß nicht mehr, wem ich vertrauen kann“, sagte sie. Weite Teile der Basis haben mit Appellen immer wieder versucht, Ruhe in die Partei zu bringen. „Für die SPD kommt es darauf an, wieder Vertrauen aufzubauen, mit Inhalten zu punkten, näher an die Sorgen der Bürger heranzurücken“, betont Cem Aydemir, der die Partei solange führt, wie die Staatsanwaltschaft noch gegen den OB und bisherigen SPD-Unterbezirksvorsitzenden ermittelt.
Aydemir ist nicht der einzige, der sich um die Partei sorgt. Altgediente und verdienstvolle Genossen wie Dieter Wiechering drückten offen ihre Befürchtung aus, dass die Partei auch noch bei der Kommunalwahl im Herbst 2020 unter dem offen ausgeführten Streit zur OB-Affäre leiden werde. Es gibt die Angst vor einer Abstrafung durch den Wähler.
Kein Dissens bei inhaltlichen Fragen
Es ist eine schwere Zeit für Partei und Fraktion. Sie ist mit Abstand die größte im Rat und hat sich innerhalb der letzten Monate politisch selbst klein gemacht. Hinzu kommt: In der Öffentlichkeit wird gerade der SPD eine große Verantwortung dafür gegeben, wie schlecht die Stadt finanziell dasteht. Für viele Mülheimer steht die SPD für eine Partei, die das Geld mit offenen Händen ausgeben und wild spekuliert hat, der Posten und eigene Pfründe näher sind als eine solide Politik für die Stadt. Dass heute nach Steuererhöhungen tausende Mülheimer protestieren, hat nicht nur etwas mit dem Ärger über höhere Nebenkosten zu tun, sondern eben auch mit einer Unzufriedenheit und einem Misstrauen. „Allen muss klar sein, dass wir keine Pfründe mehr zu verteilen haben“, sagt ein Genosse.
Mit den Mülheimer Bürgerinitiativen hatte sich schon vor Jahren eine politische Gegenbewegung in der Stadt breit gemacht, mit dem Bürgerlichen Aufbruch Mülheim ist eine weitere neue Kraft entstanden, die der SPD zeigen will, wie eine bessere Politik aussieht. Und mit der Initiative Auf-Ruhr könnte von einer dritten Seite her weiter Gegenwind kommen auch bei den nächsten Wahlen.
Vertrauliche Runden mit Fraktion, Partei und Vorstand
Im Interesse der SPD ist das alles nicht. „Wie in jeder Familie kann es Streit geben“, sagt Bakum, „aber wir müssen auch wieder nach vorne blicken, zusammenkommen.“ Die Erkenntnis scheint sich langsam durchzusetzen. Inzwischen gibt es vertrauliche Runden zwischen Fraktion, Partei und Vorstand. Auffallend ist, dass die Fraktion in jüngster Zeit wieder klassische sozialdemokratische Themen wie den Kampf gegen Kinderarmut oder die Behebung des Wohnungsmangels für Einkommensschwächere in den Vordergrund rückt.
„Bei den inhaltlichen Fragen gibt es zwischen Partei und Fraktion keinen Dissens“, betont Fraktionschef Dieter Spliethoff. Die OB-Affäre, die die Krise auslöste, bleibe weiter ungelöst. „Das werden wir auch nicht lösen können, also warten wir den Ausgang ab“, sagt Spliethoff. Er möchte Frieden in der Partei, und dass alle an der eigentlichen Aufgabe für Kommunalpolitiker arbeiten: die Stadt so zu gestalten, dass die Menschen gerne und gut in ihr leben können.
>> NEUWAHLEN STEHEN ENDE SEPTEMBER AN
Personalentscheidungen werden auf dem Parteitag am Montag nicht getroffen. Es soll ausschließlich um Inhalte gehen.
Beim nächsten Parteitag am 29. September steht dann die Neuwahl des Vorstandes auf dem Programm. OB Ulrich Scholten lässt den Vorsitz solange ruhen, bis die Staatsanwaltschaft über seinen Fall entschieden hat.