Mülheim. . Christian Monning aus Mülheim ist der Finanzvorstand der Welthungerhilfe. Im Interview spricht er über seine erste Reise nach Somaliland.
„Zero Hunger“, also „Null Hunger“ bis 2030 ist das ehrgeizige Ziel von Christian Monning aus Mülheim. Seit Februar ist der 51-Jährige aus Speldorf Finanzvorstand der Welthungerhilfe in Bonn. „Ich finde, das ist eine gute Aufgabe, weil das Ziel erreicht werden kann“, sagte Monning im Gespräch mit dieser Zeitung. Die größten Probleme im Kampf gegen den weltweiten Hunger seien die Verteilung und der Zugang zu Nahrung.
Erste Fortschritte im Kampf gegen den Hunger seien bereits zu sehen. „Die ganz großen Hungersnöte wie in Äthiopien in den 1980ern gibt es eigentlich nicht mehr“, erzählt Monning, der in Broich zur Schule ging. „In Südamerika und Asien sind Verbesserungen sichtbar, wenn auch punktuell noch sehr viel Armut herrscht. Diese Menschen darf man natürlich nicht vergessen.“
Denn trotz aller positiven Entwicklungen ginge immer noch jeder neunte Mensch abends hungrig ins Bett. 70 Prozent aller Afrikaner leben laut Monning von der Landwirtschaft. „Sie dürfen nicht nur überleben, sondern müssen auch Einkommen generieren können, damit die Familie versorgt werden kann. Damit sie auch Investitionen tätigen können, um ein besseres Leben zu haben“, so beschreibt Monning das Ziel der Welthungerhilfe in Afrika.
Länder sind ausgetrocknet, weil Regenzeiten ausfielen
Vor allem der Zugang zum Wasser sei immer noch ein großes Problem. In Somaliland und Äthiopien fielen in den vergangenen Jahren mehrere Regenzeiten aus. Diese Länder sind ausgetrocknet. In dieser Gegend kümmert sich die Welthungerhilfe hauptsächlich darum, zusammen mit der Bevölkerung die Versorgung mit sauberem Wasser herzustellen und nachhaltig zugänglich zu machen.
Monning, der vor seinem Wechsel zur Welthungerhilfe in der Privatwirtschaft tätig war, hat seinen eigenen Lebenswandel schon vor Jahren geändert. „Ich achte auf Verpackungen. Das ist mir auf meinen Reisen nach Somaliland und Äthiopien nochmal bewusster geworden. Gerade weil der Plastikmüll überall rumliegt in diesen Ländern.“ Vor allem Wasserflaschen aus Europa seien dort häufig zu finden gewesen. Besonders in Erinnerung bleiben werde ihm auch die extreme Armut in Somaliland: „Dort gibt es keine sanitären Anlagen.“
Hilfe kommt auch an ihre Grenzen
Doch auch die beste Hilfe komme manchmal an ihre Grenzen, wenn zum Beispiel die Sicherheit der Mitarbeiter nicht mehr gewährt werden kann oder Regierungen die Zusammenarbeit blockieren. In Afghanistan zum Beispiel sei die Arbeit schwierig, da die Mitarbeiter der Hilfsorganisation nur in den Containern der UN-Camps übernachten dürfen, was eine Steuerung der Projekte vor Ort zum Teil problematisch mache.
In den vergangenen Jahren arbeitete Monning bei einer Stiftung der Universal Studios in den USA, in der er sich um krebskranke Kinder und Obdachlose kümmerte. „Da habe ich gesehen, wie viel Spaß und wie viel Mehrwert das hat, Menschen in Not zu helfen“, erzählt er. Dort sei der Gedanke gereift, bei einer Nichtregierungsorganisation arbeiten zu wollen.
>> Zahlen und Fakten zur Welthungerhilfe
Die Welthungerhilfe wurde 1962 gegründet. Schirmherr ist der Bundespräsident.
Vorstandsvorsitzender ist Dr. Till Wahnbaeck, Mathias Mogge ist der Programmvorstand. Christian Monning ist Finanzvorstand.
Die NGO ist in 33 Ländern in Afrika, Asien und Südamerika aktiv.
„Wir lassen die Menschen dort nicht allein“
Sie waren für die Welthungerhilfe unterwegs in Somaliland und Äthiopien. Was genau haben Sie da eigentlich gemacht?
Ich habe mir mit einem Kollegen aus dem Programmbereich unsere Hilfsprojekte vor Ort angeschaut. In der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba haben wir zum Beispiel Duschen und Toiletten für die Ärmsten der Bevölkerung installiert. In Somaliland haben wir Kanäle gebaut, um Zugang zu Wasser zu bekommen. Wir haben auch Schulen besucht. In Somaliland haben wir uns die schlimmen Schäden angeschaut, die der Zyklon „Sagar“ hinterlassen hat. Darüber wurde in Deutschland kaum berichtet.
Wie lange waren Sie unterwegs?
Zehn Tage, davon allerdings mehr in Somaliland als in Äthiopien. Das hat den Grund, dass die Infrastruktur in Somaliland einfach schlechter ist. Wir haben drei Tage in den Autos gesessen und sind bergauf, bergab, über Stock und Stein gefahren. Das erfordert mehr Zeit als in Äthiopien, wo die Straßen ein bisschen besser sind.
Welche Eindrücke sind Ihnen am deutlichsten in Erinnerung geblieben?
Das waren drei Dinge. Einmal die Ungleichbehandlung von Mann und Frau. Die ist in diesen Ländern eklatant. Frauen schleppen alles und der Mann geht daneben und hat nichts in der Hand. Als Westeuropäer fällt einem schon schwer, das zu sehen. Das Gleiche gilt für Mädchen. Ich habe eine zehnjährige Tochter und die müsste dort schon zwei 20-Liter Wasserkanister vom Brunnen nach Hause tragen. Ebenfalls hängen geblieben ist der viele Müll. Wir trinken Wasser aus der Plastikflasche. Die liegen dort überall herum und die Menschen wohnen dort auch mit dem Müll. Das dritte ist natürlich die extreme Armut, die dort vorherrscht. Es gibt auch keine sanitären Anlagen.
Somaliland ist von anderen Staaten offiziell nicht anerkannt. Warum ist das so?
Ich möchte die politische Situation dort nicht bewerten. Aber als wir uns die Reise ausgesucht hatten, hatte ich auch erst Bedenken. Somalia als Ganzes ist ein problematisches Land. Aber, wie mir die Kollegen versicherten, ist es – und so habe ich das auch erlebt – in Somaliland anders. Die Regierung ist demokratisch gewählt, es gibt dort keinen Terrorismus. Die Regierung bemüht sich, ihrer Bevölkerung zu helfen. Das ist natürlich schwer, wenn ich nichts zu exportieren habe und selbst viel importieren muss. Nichtsdestotrotz haben wir uns da sicher gefühlt.
Wir hilft die Welthungerhilfe vor Ort konkret? Sie hatten schon angesprochen, dass es viel um Wasser ging. . .
Ganz genau. Die Welthungerhilfe arbeitet viel mit Kleinbauern auf dem Land zusammen. In der Regel wohnen diese Menschen weit weg von der Hauptstadt. Die große Frage lautet: Wie bekommen sie Zugang zum Wasser? Ein kleiner Damm, ein Brunnen, ein Aquädukt ist überlebenswichtig für die Menschen. Wir helfen nicht nur dabei, die Maßnahmen zu finanzieren und zu bauen, sondern auch dabei, alles instand zu halten. Wir wollen langfristig helfen. Das heißt, wir gehen nach einer Katastrophe nicht rein in ein Land und anschließend direkt wieder raus. Ein anderer wichtiger Punkt ist natürlich das Training. Wir bauen nicht nur Brunnen oder Wassertanks und lassen die Dorfbevölkerung damit alleine. Wir zeigen auch, wie man diese Dinge benutzt.
Wie hat denn die Regierung von Somaliland reagiert, dass Sie mit der Welthungerhilfe dort hinkommen und helfen wollen? Stießen Sie da auf offene Ohren?
In Somaliland sind wir mit offenen Armen empfangen worden. Das ist nicht in jedem Land so. Es gibt auch andere Länder, wo Nichtregierungsorganisationen nicht so willkommen geheißen werden. Generell wollen wir ein würdiges Leben aus eigener Kraft für die Bevölkerung vor Ort erreichen. Das wissen auch viele Regierungen und nehmen diese Hilfe an.
„Spenden sammeln ist das Eine. Zeit zu geben ist auch toll.“
Ich habe gelesen, dass die vielen Menschen in Somaliland Nomaden sind. Wie sieht nachhaltige Hilfe aus, wenn die meisten Menschen nicht immer an ein und demselben Ort leben?
Das ist natürlich ein interessantes Thema. Es ist möglich und das probieren wir auch, den Nomaden alternative Überlebensformen nahe zu bringen, wenn sie das wollen. Aber das ist ein langer Weg. Ich habe noch nie so viele Ziegen gesehen, wie in Äthiopien und in Somaliland. Aber das ist für die Familien bares Geld und ihr ganzer Stolz. Die Ziege bietet Fleisch und Milch für die Ernährung. Dafür muss genügend Weideland da sein. Und da sind wir wieder beim Thema Wasser. Das ist aufgrund der zahlreichen Dürren in der Vergangenheit ein knappes Gut.
Wo kommt Entwicklungshilfe an ihre Grenzen?
Dann, wenn die Sicherheitslage kritisch ist. Wenn die Gefahr zu groß wird, ziehen wir unsere Mitarbeiter ab. Wir kommen aber auch an unsere Grenze, wenn die Regierung nicht mit uns arbeiten will oder uns aktiv behindert. Es kommt vor, dass wir keine Visa oder Arbeitsgenehmigungen bekommen oder dass Infrastrukturmaßnahmen, die wir vor Ort durchführen wollen, nicht bewilligt werden. Da muss man dann einen Mittelweg finden und im Gespräch mit den Behörden bleiben.
Was sind denn Ihre nächsten Ziele, die Sie sich für Ihre Arbeit gesetzt haben?
Das Ziel kann immer nur sein: Eine Welt ohne Hunger. Es ist ein Skandal, dass immer noch jeder Neunte abends hungrig zu Bett geht. Dafür sind wir auf Spenden angewiesen, erhalten aber auch Mittel von der Bundesregierung, der EU und anderen internationalen Geldgebern, um die Nachhaltigkeitsziele der UN zu erreichen. Und das Wichtigste für uns lautet „Zero Hunger“ bis 2030.
„Zero Hunger“, also kein Hunger, bis 2030 ist ein ehrgeiziges Ziel. . .
Die Verteilung und der Zugang – das sind die großen Probleme. Viele Menschen sind schlicht zu arm, um sich die Lebensmittel auf dem Markt kaufen zu können. In Somaliland oder Äthiopien gibt es minderwertiges Saatgut. Daher muss unser Ziel sein, auch dort eine funktionierende und ertragreiche Landwirtschaft aufzubauen, denn in Afrika leben 70 Prozent der Bevölkerung davon.
Was können Mülheimerinnen und Mülheimer neben Spenden tun, um den Menschen zu helfen?
In Oberhausen gibt es eine Aktionsgruppe, die sich seit 1991 für die Welthungerhilfe engagiert. Das hat mit einem Glühweinverkauf mit Schülern auf dem Weihnachtsmarkt angefangen. Die nehmen regelmäßig an Flohmärkten teil und engagieren sich für uns. Wie so oft brauchen auch sie Nachwuchs. Im gesamten Zeitraum hat diese Gruppe fast 200 000 Euro für uns gesammelt. Man kann sich vielfältig engagieren. Spenden sammeln ist das eine. Zeit für die Welthungerhilfe zu geben ist aber auch toll.
>> Somaliland und Äthiopien in Zahlen und Fakten
Somaliland liegt im ostafrikanischen Somalia. Das Gebiet ist etwa halb so groß wie Deutschland. Dort leben 3,5 Millionen Menschen.
Äthiopien ist nach Nigeria das bevölkerungsreichste Land Afrikas. Über 105 Millionen Menschen leben dort. Das Land am Horn von Afrika gehört zu den ärmsten der Welt.