Port-au-Prince. 3000 Organisationen, darunter die Welthungerhilfe und die Kindernothilfe, kümmern sich um Schulen, Gesundheitsvorsorge, Ernährung.
Wer in Haiti mobil sein will, braucht einen Jeep. Schuttberge und Straßenlöcher sind so gewaltig, dass der Kleinbus der UN-Mission Minustah schon nach einem Tag über Land ausgetauscht werden muss. Nur in der Kleinstadt Port Salut im Süden des Landes ist die Hauptstraße ordentlich gepflastert.
Kein Wunder, heißt es aus diplomatischen Kreisen. Noch bevor der ehemalige Präsident Jean-Bertrand Aristide nach seinem zweiten Sturz im Jahr 2004 das Land verlassen musste, habe er dafür gesorgt, dass die Straße seiner Heimatstadt befahrbar wurde.
Auch im Villenviertel: Müllberge
Wie so viele Projekte zeigt auch dieses Beispiel: Ob in Haiti etwas funktioniert, ob Geld fließt, hängt von Einzelinteressen ab, von Beziehungen, in großem Maße den internationalen Gebern und dem Grad der Korrumpierbarkeit. So mag es hier und da eine schöne Polizeistation geben, ein neues Hotel oder ein frisch renoviertes Justizgebäude. Doch wer Haiti bereist, der lernt ein Land kennen, in dem selbst im Villenviertel Pétion-Ville Abfallberge an jeder Ecke die Luft zum Atmen nehmen, in dem Ziegen und Schweine auf Schutt und Müll ihr Futter suchen, in dem weite Teile der Städte aus Slums bestehen. Sauber sind tatsächlich nur die vielen Schulkinder, die mit ihren Uniformen das Straßenbild prägen. Doch so weiß ihre Strümpfe auch sind, so sorgfältig Mütter ihren Töchtern mit bunten Schleifen die Haare flechten: Auch die Schulwege führen über Müll und Schutt.
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Es fehlt so viel in diesem ärmsten Land des Westens. Etwa eine funktionierende Regierung. Eine Industrie. Ein Müllkonzept. Es gibt kaum Tourismus, Obstplantagen oder Molkereien. Ob Haushaltsgeräte, Obst, Eier oder sogar Saft: Fast alle Verbrauchsgüter werden importiert. Das treibt die Preise in dem Entwicklungsland in die Höhe. Dabei hat der Großteil der Bevölkerung gerade einmal zwei Dollar pro Tag zur Verfügung. Daran konnten die Vereinten Nationen bislang nichts ändern – obwohl sie seit zehn Jahren immer wieder die UN-Minustah-Mission (Mission des Nations Unies pour la Stabilisation en Haiti) verlängern und etwa den Aufbau einer schlagkräftigen Polizei vorantreiben.
Die UN will raus aus Haiti - es wird zu teuer
Nun wollen die UN raus aus dem Land – die Projekte sind zu teuer, obendrein verlangt die Welt auch in anderen Krisenregionen nach UN-Soldaten und Experten. Dass die Arbeit getan ist, davon spricht allerdings niemand. Wird Diskretion versprochen, macht sich Skepsis breit. „Haiti hängt am Tropf der Welt“, heißt es etwa von Offiziellen, die es beurteilen können. „Das Land ist so erzogen.“
Wie sehr Umweltschäden und Armut der Karibikinsel zusetzen, zeigt sich an der Südküste, an den Stränden von Les Cayes. Dort, wo Touristen flanieren und bei einem Stadtbummel Geld ausgeben könnten, verseuchen die Latrinen des Slums und meterhohe Müllberge den Strand. Immerhin gibt es auch hier ein UN-Programm namens „Südküsteninitiative (CSI)“. Ziel ist es, Natur- und Küstenschutz mit Stadt- und Tourismusentwicklung in Einklang zu bringen. Doch bis aus Haitis drittgrößter Stadt ein attraktives Touristenziel werde, müsse es mehr Anstrengungen und „insbesondere mehr Investoren“ geben, sagt UN-Stadtentwicklungsexperte Rasmus Precht.
Kriminelle durchsetzen Parlament
Dass derartige Geldgeber so rar sind, liege an der handlungsunfähigen Regierung, erklären einhellig Experten der UN, der Diplomatie und der Entwicklungshilfe. So verschob Präsident Michel Martelly erst im Oktober die seit drei Jahren überfälligen Parlaments- und Regionalwahlen auf unbestimmte Zeit – weil Teile der Opposition systematisch die Zusammenarbeit mit dem Präsidenten blockieren. Es handelt sich dabei um die Vertreter der Partei Fanmi Lavalas des vertriebenen Präsidenten Aristide. Sie müssen befürchten, dass sie wegen Untätigkeit nicht wieder gewählt werden. Lavalas wiederum unterstellt dem Präsidenten diktatorische Bestrebungen. Das Parlament selbst ist durchsetzt mit Kriminellen, auf die eine Anklage wegen Drogenhandel wartet.
Wer unter diesen Bedingungen viel Geld investiert, müsse schon sehr mutig sein, heißt es von offizieller Seite. Investoren bräuchten eine funktionierende Justiz, ein verlässliches Steuerrecht und vor allem stabile Verhältnisse. „Alle warten auf eine Regierung, die so etwas schafft“, sagt Antonio Pereira, Chef der örtlichen Umweltorganisation Unep.
Es gibt keine Jobs
Ohne dies bleibt dem Land zunächst nur die internationale Hilfe. 3000 Organisationen, darunter viele Einzelkämpfer, aber auch die Welthungerhilfe und die Kindernothilfe, kümmern sich um Schulen, Gesundheitsvorsorge, Ernährung. Auch die Mitarbeiter der vielen UN-Programme zeigen gerne ihre Projekte. Mal geht es um Wiederaufforstung der für den Küstenschutz so wichtigen Mangroven oder um eine Markthalle für den Fischverkauf.
Für eine frustrierte UN-Mitarbeiterin, nennen wir sie Katharzyna, herrscht so viel Chaos und Regellosigkeit, gar Anarchie, dass sie rät, so schnell es geht, auszureisen und bloß kein Geld dazulassen. Sie betreut Programme, mit denen Jugendliche aus der Slum-Stadt Cité Soleil lernen, die Nähmaschine zu bedienen, Motoren zu reparieren oder Mauern zu bauen, statt in Kriminalität und Prostitution unterzugehen. „Das bringt gar nichts“, sagt die junge Frau aus Osteuropa. „Hier gibt es keine Jobs.“ UN-Experte Rasmus Precht ist optimistischer: „Die Menschen lassen sich nicht unterkriegen. Mit dieser Einstellung wird es vorangehen.“