Andranobory. . Im Süden von Madagaskar, der viertgrößten Insel der Welt, ist zwei Jahre hintereinander die Regenzeit ausgefallen. Die Dürre hat die Ernte vernichtet. Eine halbe Million Menschen leiden Hunger. Wir haben die Region besucht.
Die Straße hat mehr Löcher als ein Zebu Fliegen. Wir ruckeln mit dem Wagen über die Piste auf Andranobory zu, diesen kleinen Ort ganz im Süden Madagaskars, der knapp 100 Kilometer südlich von Fort Dauphin auf der Karte so nett an einem See liegt, nicht weit vom Indischen Ozean entfernt. Andranobory, 2000 Einwohner, kein Auto, ein kleines Rudel Fahrräder, ein Hauch Strom durch kleine Solarpaneele – und kein Wasser... Kein fließendes Wasser, kein stehendes, der See ist zum Tümpel geschrumpft, eine Salzbrühe ohne Leben, im zweiten Jahr ist die Regenzeit ausgeblieben, die Welt wird den Menschen zur Wüste. Warum?
Die Leute im Dorf führen mich zunächst zu den Alten. Ibe etwa ist 90 Jahre, seine Frau Naogny 80, zeitlebens Bauern, Maniok haben sie gepflanzt, und Ibe erzählt voller Wehmut von den 70er und 80er Jahren, als der Regen nach Regeln fiel, verlässlich, die Erde fruchtbar machend. Jetzt ist er alt und kann und weiß nicht mehr: „Wie soll ich die Familie vor dem Hungertod bewahren?“ Wie groß ist denn eure Familie. „Wir haben 15 Kinder und 120 Enkel und Urenkel.“
Auch Mahateraky ist Farmer. Er hat viel Land besessen und beackert. Alles verkauft, um die Familie zu ernähren. Jetzt leben sie nur noch von Warawara, Muscheln, die sie am Ozean sammeln und von Kaktusfrüchten. Er hat eine Erklärung. „Der Regen bleibt aus, seit der Wald weg ist.“
Tatsächlich fressen sich die kleinen Brennholzsammler und die Edelholzdealer immer tiefer in die Wälder hinein. Waren früher 90 Prozent der Insel bewaldet, sind es jetzt noch zehn. Dazu kommen der weltweite Klimawandel und das Wetterphänomen El Niño, das durch veränderte Winde und Meeresströmungen das Wetter vor allem auf der Südhalbkugel schüttelt. Nie war El Niño heftiger als dieses Mal.
Die Folgen sind auf dem Markt von Andranobory leicht auszumachen. Fast alle Stände sind verwaist. Vola (12) war mit ihrer Mutter am Vormittag unterwegs und hat Kaktusfrüchte geschnitten. Die bietet sie mit Freundin Hova (8) feil. Eine Hand voll kostet 50 Ariary, das sind 1,5 Cent. Niemand hat gekauft. Niemand hat mehr Geld.
In der Schule spreche ich mit anderen Kindern. Sie alle durchleben diese Dürre auf ganz ähnliche Weise. „Morgens“, erzählt etwa Valentin (12), „gibt es nichts. Vielleicht einen Schluck Wasser. In der Pause gibt es in der Schule etwas Mais.“ Eine Spende des „World Food-Programme“ der UN. „Mag ich aber nicht. Ich mag Bohnen. Das letzte Stück Fleisch habe ich Silvester gegessen.“
Die Folgen dieser Ernährung beschert den Eltern Albträume und raubt auch Francois, Mitarbeiter der kleinen Krankenstation im Dorf, den Schlaf. Hier wiegen sie die Kinder, hier legen sie Unicef-Bänder um die Arme. Je nach Umfang zeigt das Band die Farbe grün, gelb oder rot. „Bei 46 Prozent der Kinder haben wir jetzt rot.“ Alarm.
Alles verdorrt
Was tun? Daniel Meijering und die anderen Mitarbeiter von der Deutschen Welthungerhilfe haben viel im Dorf probiert. „Vielseitiger sollte die Ernährung sein.“ Einen Gemüsegarten haben sie mit den Bauern angelegt. 65 Kilo Bohnensaatgut gepflanzt. Nichts ist aufgegangen. 75 Kilo Mais. Nichts. „Die Pflanzen wurden gerade mal 20 Zentimeter hoch. Bonsai-Mais.“ 15 Kilo Yams-Wurzeln. Nichts. Tomaten, Karotten – alles verdorrt. Alles ist hier nichts ohne Regen.
Das große Auffangbecken war zuletzt 2012 gefüllt. Jetzt gibt es nur die Möglichkeit, wenigstens das Trinkwasser von einem Teich zu holen. Aber der ist sieben Kilometer entfernt. Gesunde können laufen, die Schwachen müssen auf die jungen Händler hoffen, die 20 Liter auf dem Fahrrad holen. 15 Cent kostet das. Haben sie meist nicht, also sind sie auf die Gnade der Nachbarn angewiesen.
Daniel Meijering (58) deprimiert die Situation. Sie haben hier Ausbildungsprogramme für Bauern gemacht. Haben Schmiede angelernt, um Werkzeuge herzustellen. Sich Tausend Gedanken gemacht. Alles umsonst? Mal sehen. Die Leute im Dorf haben Ideen. Korbflechterei etwa. Sie zeigen uns hübsche Matten, die sie gewerkelt haben. Die könnte man doch verkaufen. Im nächsten großen Ort..?
Sie schaufeln Löcher zu
Daniel ist skeptisch. Etwa einer halben Million Menschen in der Region geht es ähnlich, sie hungern. Die Not bringt oft ganz ähnliche Ideen hervor. Und dann die Straßen... Da könnte die Welthungerhilfe was vermitteln. Die Leute schaufeln die Löcher zu und bekommen dafür Geld oder Essen. Da gibt es viele Modelle. Zunächst aber wird auf Wunsch der Bewohner doch wieder gepflanzt. Die Hoffnung... Mais und Bohnen wollen sie jetzt im Mai wieder anpflanzen. Aber, so mahnt einer der Männer: „Bringt das Saatgut bitte erst direkt vor der Aussaat. Sonst essen die Leute alles weg. Der Hunger ist einfach zu groß.“