Mülheim. Bei der Betriebsversammlung skizzierte IG Metall-Vorstand Jürgen Kerner Alternativen zum Stellenabbau bei Siemens. Wir sprachen mit ihm.
Hunderte Siemens-Beschäftigte strömten am Freitagmorgen zur Betriebsversammlung in die Innogy-Halle. Sie kamen, um unter anderem vom Siemens-Aufsichtsrat und IG Metall-Hauptkassierer Jürgen Kerner etwas zu den Sondierungsgesprächen mit dem Konzernvorstand über Alternativen zum geplanten Abbau von 741 Stellen (plus IT) am hiesigen Standort zu hören. Mit Kerner sprach nach der Versammlung mit Mirco Stodollick.
Der Rekordauftrag für Siemens aus Ägypten. Rekordgewinne. Jetzt Pläne zum Stellenabbau. Da ist etwas aus dem Gleichgewicht geraten.
Jürgen Kerner: Die Gesamtzahlen in der Siemens-Welt sind glänzend, auch der Ägypten-Auftrag ist großartig. Die Auftrags- und Ergebnissituation im Bereich Power & Gas ist aber schwierig, auch wenn dort unterm Strich Geld verdient wird. Wir sehen die Herausforderung, in der Zukunft neue Produkte zu finden. Diese Herausforderung ist aber nur zu meistern, wenn der Konzern keine Standorte schließt und den Beschäftigten nicht betriebsbedingt kündigt. Das wäre weder in der Gesellschaft noch innerhalb des Unternehmens zu vermitteln.
Die Verantwortlichen geben sich viel Mühe
Sie sitzen ja auch im Siemens-Aufsichtsrat. Wie ist der Stand der Dinge bei den Planungen für die Kraftwerkssparte?
Kerner: Meine Wahrnehmung ist, dass sich die Verantwortlichen im Unternehmen sehr viel Mühe geben, Alternativen für Standorte und Beschäftigung zu entwickeln. Es muss gelingen, bis Mai zu konkreten Eckpunkten und Ergebnissen für alle betroffenen Standorte zu kommen. Die Menschen hier haben einen Anspruch darauf. Wir sondieren schon fünf Monate und die Auftragslage wird nicht besser.
Was konnten Sie den Mülheimer Beschäftigten denn heute Neues präsentieren?
Kerner: Ich konnte nichts Neues präsentieren. Aber ich konnte ihnen sagen, dass der Druck aus dem Standort, auch aus der Region heraus, dazu geführt hat, dass das Management überhaupt bereit ist, mit uns alternative Möglichkeiten zum Stellenabbau zu sondieren. Wir müssen den Spagat machen: Wir brauchen Alternativkonzepte. Sollten die ausbleiben, können wir aber auch Widerstand organisieren. Aus meiner Sicht gibt es viele Ideen von Beschäftigten und dem Management hier am Standort, neue Wege zu gehen. Da gibt es viel Engagement und Kreativität.
Unheimlich gut qualifizierte Beschäftigte
Welche Alternativen zum geplanten Stellenabbau am Standort Mülheim sehen Sie?
Kerner: Es gibt bei Siemens keinen Standort, der wie Mülheim ein so großes Know-how im Großanlagenbau hat. In Engineering und Fertigung arbeiten hier unheimlich gut qualifizierte Beschäftigte – und der Rhein-Ruhr-Hafen bietet die Möglichkeit zum Transport. Jetzt geht es darum, aus der Stärke des Standortes heraus, vielleicht auch mit anderen Unternehmen aus der Region, Alternativen zu entwickeln. Wenn ein Standort gute Chancen hat, ist es Mülheim. Dafür müsste man aber auch die Größe des Standortes erhalten.
Können Sie nicht etwas konkreter werden?
Kerner: Wir brauchen für die Standorte neue Produkte und Geschäftsfelder, etwa im dezentralen Energiemanagement oder bei Technologien für große Energiespeicher. Das alles kann Siemens. Es geht auch um Drittgeschäfte. Man könnte hier am Standort für andere Unternehmen aus der Region fertigen, wenn es aus dem eigenen Geschäft heraus nicht ausreichend Beschäftigung gibt. Vielleicht könnten Beschäftigte für gewisse Zeit auch für andere Unternehmen in der Region arbeiten. Da sind erste Pflänzchen sichtbar, die müssen jetzt wachsen. Es geht darum, nicht abzuwarten, sondern das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen.
>>> Gespräche sollen im April fortgesetzt werden
Die Sondierungsgespräche zwischen Konzernleitung und Arbeitnehmervertretern sollen im April fortgesetzt werden.
Der Betriebsratsvorsitzende des Standortes Mülheim, Pietro Bazzoli, wertet den Fortgang der Gespräche als positives Zeichen dafür, dass die Vorstandspläne nicht in Stein gemeißelt sind.