Mülheim. Speldorfer Arzt wollte Zweigpraxis eröffnen. Kassenärztliche Vereinigung lehnte Antrag ab. Netzwerk Styrum kämpft weiter, sammelt Unterschriften.

Für die Verbesserung der Hausarztsituation hatten sich die aktiven Bürger im Netzwerk Styrum große Hoffnungen gemacht: Eine Praxis aus Speldorf hatte Pläne, im Ärztehaus an der Oberhausener Straße 177 eine hausärztliche Zweigpraxis zu eröffnen. Das hat die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KV) abgelehnt.

Begründung: Die Versorgung der Versicherten sei in Styrum durch die dort vorhandenen Hausärzte sichergestellt. Die Netzwerker sind sehr enttäuscht und wollen weiter für eine Verbesserung der Situation in ihrem Stadtteil kämpfen. Beim heutigen Bürgerfest „Aktivtag 50+“ in der Willy-Brandt-Schule werden Unterschriften gesammelt, um den Protest möglichst vieler Bürger gegen die Entscheidung zur KV nach Düsseldorf zu tragen.

Fünf Ärzte arbeiten in Styrum

Mit fünf Medizinern in Styrum – vier Hausärzte sowie ein angestellter Arzt – sei der Stadtteil gut versorgt, zumal die dazu befragten Ärzte auch noch freie Kapazitäten bestätigt hätten, begründet die KV ihre ablehnende Entscheidung.

Die Styrumer erleben das aber völlig anders. Eine 52-Jährige, deren Hausarzt in Dümpten praktiziert, wollte nach einer Krebserkrankung im letzten Frühjahr für die ambulante Nachbehandlung in eine besser erreichbare Praxis im eigenen Stadtteil wechseln: Sie habe in allen Praxen angerufen, versichert sie dieser Zeitung: „Überall hieß es: Bei uns gibt es keine Aufnahmen mehr, tut uns leid. Ich musste auf eine Praxis in der Stadtmitte zurückgreifen“, sagt sie. Das Netzwerk Styrum berichtet zudem in Vertretungszeiten von langen Schlangen vor den Praxen. Vor allem für Alte und Kranke im Stadtteil seien kurze Wege zum Hausarzt besonders wichtig.

In Vertretungszeiten lange Schlangen

Dr. Christian Lunscken wurde in seiner Speldorfer Praxis häufig von Patienten aus Styrum angesprochen, die über zu wenige Ärzte im Nachbarstadtteil klagten. Er hatte im Dezember einen Antrag auf Sonderbedarf an die KV gestellt. Eine ihm bekannte angestellte Ärztin hatte großes Interesse, zum 1. April in eine hausärztliche Praxis zu wechseln. „Das wäre eine Möglichkeit gewesen, die Situation in Styrum zu entschärfen“, sagt Lunscken. Es war geplant, die ehemaligen Praxisräume an der Oberhausener Straße 177 für eine internistische Hausarztpraxis als Zweigpraxis zu übernehmen, organisatorisch begleitet von der Speldorfer Praxis, erläutert der Arzt. Klagen gegen die Ablehnung möchte Lunscken nicht, weil sich seiner Erfahrung nach ein Rechtsstreit über Jahre hinziehen könnte.

Die Arbeitsgruppe Styrum im Netzwerk der Generationen – das sind engagierte Bürger, Initiativen, Vereine – hatte Dr. Lunsckens Initiative ausdrücklich begrüßt. Ursprünglich praktizierten sieben Ärzte im Stadtteil, eine Mangelsituation beklagen die Styrumer Netzwerker seit rund zwei Jahren. In drei Bürgerversammlungen war es eins der wichtigsten Themen. „Derzeit stehen 16 000 Styrumern vier Hausärzte in zwei Praxen zur Verfügung“, – rechnet das Netzwerk in einer Stellungnahme vor, die auch an die KV gegangen ist. Aber: Die KV rechnet den Bedarf nicht nach den einzelnen Stadtteilen aus.

2134 Bürger pro Hausarzt

Wo nämlich ein Arzt eine Praxis aufmachen darf, hängt vor allem von der Bedarfsplanung ab. Es geht ja um Budgets und die Abrechnung mit den Krankenkassen. Ärzte, die gesetzlich Versicherte ambulant behandeln wollen, brauchen daher einen freien Kassenarztsitz.

Aktuell gilt im Ruhrgebiet, also auch in der Stadt Mülheim, in der hausärztlichen Versorgung noch eine Bedarfszahl von 2134 Bürgern pro Hausarzt(sitz), bundesweit liegt die Zahl bei nur 1671 Bürgern.

Dieser Sonderstatus für das Ruhrgebiet ist inzwischen gekippt, eine Angleichung beschlossene Sache: Über einen Zeitraum von zehn Jahren soll die Bedarfszahl an die bundesweit geltende Regelung angepasst werden. Geplant sei das in „Zwei-Jahres-Schritten“, erklärt ein Pressesprecher der KV Nordrhein. Mitte 2018 würden demnach eineinhalb neue Kassensitze für das Stadtgebiet Mülheim ausgeschrieben. Wenn sich die Bevölkerungszahl von rund 170 000 nicht groß ändert, kämen innerhalb von zehn Jahren circa 20 neue Hausarztpraxen zu den bestehenden 94 dazu. In welchem Stadtteil auch immer.

Bewerber legen fest, wo ihre Praxis sein soll

>> Dr. Dorothea Stimpel, Kreisstellenvorsitzende der KV in Mülheim, versteht, dass die Styrumer enttäuscht sind. Es sei eine veränderte Situation, weil Ärzte Kapazitäten frei hätten und zudem eine Styrumer Praxis ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) plane. Zwei der sieben Kassenarztsitze seien nach Ausscheiden der Ärzte in die Stadtmitte gegangen, weil sich für die Styrumer Praxen kein Nachfolger fand, erinnert sie sich. „Jeder möchte den Hausarzt um die Ecke haben“, weiß sie, aber das sei nicht Gegenstand der KV-Bedarfsplanung. Die Entscheidung über den Zuschlag für die 1,5 neuen Arztsitze, erklärt sie, treffe der Zulassungsausschuss der KV, besetzt mit je drei Krankenkassen- und drei KV-Vertretern. Bewerben könne sich theoretisch jeder Arzt, der innerhalb Mülheims wechseln will, oder von auswärts kommt. Wo der Bewerber seine Praxis eröffnen will, müsse samt Adresse im Bewerbungsschreiben stehen. Auswahlkriterien seien z.B. Zeitpunkt der Berufszulassung oder auch Zusatzqualifikationen. Die KV, sagt sie, könne bei der Ortswahl nicht regulierend eingreifen. Doch Styrum könne sich attraktiv machen: Gute Anbindung, bezahlbare Räume, Kinderbetreuung könnten vor allem für Frauen interessant sein, die das Gros der Medizinstudentinnen stellten. Das Netzwerk würde sagen: Haben wir alles in Styrum.

>> Der „8. Aktivtag 50+“ findet am heutigen 10. März, 13 – 17 Uhr in der Aula der Willy-Brandt-Schule statt. Der Eintritt ist frei.

Neben Infoständen mit Angeboten und Dienstleistungen aus dem Stadtteil Styrum gibt es ein buntes Bühnenprogramm.

Das Netzwerk wird die Ärzteversorgung zum Thema machen und Unterschriften sammeln.