Mülheim/Essen. Unternehmer, Fluglärmgegner, Naturschützer, Planer, Wirtschaftsförderer, Politiker – jeder hat andere Vorstellungen, wie es weitergehen soll.

Es ist eigentlich wie immer: 57 Prozent der Mülheimer sprechen sich für den Erhalt des Flughafens aus – wie er ist. Die Naturschutzverbände wollen ein mögliches neues Stadtquartier auf dem Areal verhindern. Die Unternehmen am Flughafen möchten bleiben, einige wollen ihn gar erweitern, und aus der Politik hört man von Versuchen, das bereits beschlossene Aus für die Fliegerei wieder zu kippen. Es ist wie immer – seit 30 Jahren.

Das Netzwerk gegen Fluglärm warnt jetzt in einem Gespräch mit dieser Zeitung davor, den politischen Beschluss zur Schließung des Flugbetriebes wieder kippen zu wollen. „Was wir in Mülheim dringend benötigen, sind Flächen für Gewerbe und Wohnen. Beides ist auf dem 140 Hektar großen Gelände in bester Ruhrgebietslage möglich“, erklärt Waldemar Nowak, Sprecher des Netzwerkes.

Netzwerk drängt auf Nutzung als Gewerbefläche

Angesichts der desolaten Haushaltslage der Stadt und großer Einbrüche bei der Gewerbesteuer wäre es aus Sicht des Netzwerkes unverantwortlich, große Teile der Fläche nicht so schnell wie möglich für eine Nutzung durch Unternehmen herzurichten. „Jetzt erneut über einen Fortbestand der Fliegerei nachzudenken, wäre völlig rückwärtsgewandt“, sagt Nowack.

Er fürchtet, die Stadt könnte noch weiter von der wirtschaftlichen Entwicklung abgehängt werden. Ein Festhalten am Flughafen bedeutet, so das Netzwerk, auch unkalkulierbare Instandhaltungskosten in Millionenhöhe.

Vertreter beider Städte arbeiten an einem Masterplan

Derzeit arbeiten Vertreter der Städte Essen und Mülheim in einem Werkstattverfahren an einem Masterplan für das Flughafengelände: Was soll dort mal entstehen, wenn kein Flieger mehr aufsteigt? Ende des Jahres soll der Plan vorliegen. Im April findet die dritte Sitzung statt: Dabei soll es nun darum gehen, grundlegende Vorgaben für den städtebaulichen Wettbewerb zu entwickeln, der im Anschluss an das Werkstattverfahren vorgesehen ist. Nach einem Ratsbeschluss in beiden Städten soll der Flugverkehr in Essen/Mülheim spätestens 2034 enden.

Ob es tatsächlich so kommt, wird inzwischen von manchen in der Stadt bezweifelt. Die Unternehmen am Flughafen selbst sehen die Zukunft gar nicht einmal so schlecht. Ulrich Langenecker zum Beispiel, Geschäftsführer der Fachschule für Luftfahrzeugführer, plädiert dafür, Belastungen durch Fluglärm abzubauen, jedoch weiterhin die Koexistenz von Fliegen, Wohnen und Gewerbe mit einem hohen Anteil von Grün zu ermöglichen. „Wir sind hier schließlich der größte Standort für die Ausbildung von Verkehrspiloten in Deutschland“, betont er und spricht von einem Bildungsstandort. „Will man den aus Mülheim vertreiben?“

Scheibchenweise erweitern?

Das Netzwerk gegen Fluglärm fürchtet, dass die Flughafengesellschaft „trotz aller gegenteiliger Beteuerungen ihre Taktik fortsetzt, den Flugplatz scheibchenweise zu erweitern“. Und es gibt die Sorge, dass der Flughafen Düsseldorf für ihn unrentablen Flurverkehr nach Mülheim auslagern könnte. Eine alte Angst. „Bei 60 000 Flugbewegungen auf den Ruhrhöhen und 75 000 Flugbewegungen aus Düsseldorf über der Stadt wären viele Bürger in der Stadt nochmals stärker mit Lärm und Schadstoffen belastet.“ Mancher Anwohner spricht bei dem Lärm von „Terror“. Dafür findet er Zustimmung, aber auch völliges Unverständnis: „Terror erleben Menschen in Syrien!“

Jährlich beträgt das Defizit am Flughafen etwa eine halbe Million Euro. „Das Defizit ist hausgemacht. Dürften wir den Flughafen von den Städten übernehmen, würden wir das Defizit auf Null bringen“, sagt Langenecker.

Für den Oberbürgermeister ist das Kapitel Flughafen zweischneidig: Er hat den Ratsbeschluss zu beachten und umzusetzen, er will aber auch kein Steuern zahlendes Unternehmen aus der Stadt jagen, erst recht nicht nach dem jüngsten dramatischen Einbruch bei der Gewerbesteuer.

Ob sich jenseits des Flugbetriebes überhaupt ein Gewerbegebiet dort entwickeln kann, ist unter Fachleuten fraglich: In der Bevölkerung gibt es dafür kaum Zustimmung. Und der bestehende Büro- und Gewerbepark nebenan an der Brunshofstraße führt seit Jahren ein tristes Dasein. Von der Politik selbst gesetzte Hürden bei der Ansiedlung bremsen nach wie vor.

„Wir wollen dort Restriktionen abbauen“, sagt der SPD-Fraktionschef Dieter Spliethoff und betont: „Wir sind eine Industriestadt.“ Die SPD sieht aber nicht nur am Flughafen Chancen auf Ansiedlungen. „Wo möglich, müssen wir Flächen umwidmen“, meint Spliethoff.

Umweltverbände warnen vor Zerstörung des Areals

Ein Wohnquartier für bis zu 10 000 Menschen – eine mögliche Variante für die Zukunft – wollen die Umweltverbände unbedingt verhindern. „Dieses würde die endgültige Zerstörung des Lebensraums der Feldlerche nach sich ziehen“, heißt es. Der Erhalt der Freiflächen sei wichtig für den Natur- und Artenschutz.

Das Gelände sei wegen seiner Größe und Lage ein einzigartiges Refugium für Arten, die auf eine naturverträglich bewirtschaftete offene Landschaft angewiesen sind, sagen die Verbände. Sie beklagen bereits Schäden durch eine intensive Inanspruchnahme der verbliebenen Freiflächen durch verschiedene Nutzungen.