Mülheim. . Nadine Heinze und Marc Dietschreit zeigten ihren ersten Spielfilm im Rio. Einige Szenen wurden in Mülheim gedreht.

In offensichtlicher Selbstmordabsicht balanciert die junge Frau in schwindelnder Höhe über die Hotel-Balustrade. Wird sie springen – und warum? Ist sie aus Liebeskummer verzweifelt, wie die ersten Sequenzen des Films „Das fehlende Grau“ nahelegen? Davon erhofft sich der Zuschauer in den folgenden 80 Minuten Aufklärung. Doch mit der Erwartung, dass die Frau ein klassisches Opfer ist, brechen die Regisseure Nadine Heinze und Marc Dietschreit ebenso wie sie mit dem Titel irritieren. Wer vermisst schon das Grau im Alltag, der soll doch Farbe bekommen!

„Das wird kein Blockbuster“

Schon bald wird klar, dass die Frau mit den Männern ein perfides Spiel treibt, ihnen schöne Augen macht, eine gemeinsame Nacht wahrscheinlich erscheinen lässt, sie die Männer dann aber auflaufen lässt. Das zeigt sich schon, als sie den Bochumer Schauspieler Ralf Richter („Das Boot“, „Rote Erde“) in einem Gastauftritt als Fernfahrer verprellt. In einer Parallelmontage laufen drei Männergeschichten, die clever miteinander verzahnt sind. Hinzu kommt noch ein vierter Handlungsstrang mit einem kleinen Mädchen, mit dem es ebenfalls zu einem Konflikt kommt. Dann trinkt sie Reinigungsmittel.

Aus Ekel nach dem Sexualakt? Die beiden Filmemacher erklären nicht viel, lassen viel aus und fordern den Zuschauer. Es wird immer deutlicher, dass es sich um ein pathologisches Verhalten handelt: eine Borderline-Persönlichkeit, für die extreme Gefühlsschwankungen kennzeichnend sind. Den Betroffen fehlt die Mitte, das Grau.

Extreme Emotionen

Für mehrere Beteiligte ist der sehenswerte Film das Langfilm-Debüt – für das Regie-Duo Heinze und Dietschreit, für den souveränen Kameramann Conrad Lobst und für die wunderbare Hauptdarstellerin Sina Ebell, die vom Theater kommt und in Düsseldorf auf der Bühne stand. Doch man sieht es dem Film in keiner Weise an. Wie Ebell die extreme Emotionen spielt, bleibt in Erinnerung und verleiht dem Film Spannung.

Was direkt auffällt: mehrere Szenen wurden in Mülheim gedreht: auf dem Dach des Best Western Hotel, bei Pommes Klaus im Hafen und beim HTC Uhlenhorst.

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Auch die Beteiligten haben einen starken Mülheim-Bezug. Dietschreit ist hier geboren, mit Heinze hat er an den Iduna-Hochhäusern den Kurzfilm „Balkonien“ gedreht, Ebell hat hier zeitweise gewohnt, und die Cutterin Andrea Schumacher hat auch den Schnitt für die Filme Helge Schneiders und Christoph Schlingensief besorgt. Sie nennt Werner Nekes als wichtigen Einfluss. Dann sind da noch die beiden Schauspieler vom Theater an der Ruhr, Albert Bork und Rupert Seidl, die die Autoren für ihr No-Budget-Projekt verpflichten konnten.

„Diese Power kann man nicht bremsen“, wie Produzent Markus Brinkmann über den Tatendrang der beiden Autoren bei einer Präsentation im Rio bewundernd anmerkte. Und natürlich ist ihm klar. „Das wird kein Blockbuster.“ Zu den Hofer Filmtagen im vergangenen Jahr hat er es dennoch geschafft und dort einige Aufmerksamkeit erzielt.

Seidl, der einen triebgehemmten Unternehmer spielt, hat der Dreh Spaß gemacht. „Gesund sind sie alle nicht“, sagt er und seine Spitzenbesetzte Unterwäsche erinnert an seine Rolle in Gott, die er noch tags zuvor am Theater an der Ruhr gespielt hat. Es sind solche Looser, die die Frau mit ihrer Energie in ihren Bann zieht. „Es ist faszinierend, auf welche Weise du fressen kannst“, knallt sie ihm mal an den Kopf. Wortlos kaut er weiter.