Essen.. Von der Goldschmiedin (Sina Ebell) geht in dem Drama „Das fehlende Grau“ eine magische Kraft aus. Es geht um Erinnerungen, Dopplungen und verstörende Momente.

Diese junge Frau steht wortwörtlich am Abgrund. Forsch schreitet sie auf dem Rand eines Hoteldachs entlang, die Arme wie Flügel von sich gestreckt. Immer mal wieder hebt sie einen Fuß und lässt ihn über dem Nichts, der Leere neben sich, schweben. Kurz hört man sogar ein Martinshorn, aber das gilt nicht dieser Dachtänzerin, die jeden Moment springen könnte.

Man verfällt diesem Film

Wie die namenlos bleibende junge Frau tänzelt auch „Das fehlende Grau“, das Spielfilmdebüt des Regie- und Autoren-Duos Nadine Heinze und Marc Dietschreit, auf einem schmalen Grat. Gerade in diesen ersten verstörenden Momenten, in denen sich Lebenslust kaum noch von Todessehnsucht trennen lässt, entsteht ein ungeheuerer Sog. Man verfällt diesem Film beinahe ebenso abrupt wie die Männer der von Sina Ebell gespielten Frau.

Wo die junge Goldschmiedin auch hinkommt, immer scheint da ein Mann zu sein, der sich magisch von ihr angezogen fühlt. Und sie weiß ganz genau, welche Wirkung sie auf Männer hat. Dabei spielt sie mit ihren zufälligen Bekanntschaften wie ein Kind mit dem Feuer, sorglos und voller Lust am Verbotenen.

Kind und Femme fatale in einer Person

Von Sina Ebell geht dabei eine wahrhaft magnetische Kraft aus. Sie ist Kind und Femme fatale in einem. In einem Augenblick wirkt sie verspielt und verletzlich, im nächsten geradezu gefährlich. Weder die Männer in ihrem Bann, von denen zwei von Mitgliedern des Ensembles des Theaters an der Ruhr, Rupert J. Seidl und Albert Bork, verkörpert werden, noch der Betrachter kann sich sicher sein, was als nächstes geschieht.

Doch das ist nur die eine Seite dieses Kinoerstlings. Die andere offenbart sich in Heinzes und Dietschreits überambitioniertem Spiel mit Erinnerungen und Dopplungen. An die Stelle einer klassischen Chronologie tritt das musikalische Kompositionsprinzip von Thema und Variation. So wiederholt der Film die Verhaltensmuster der Goldschmiedin. Das hat seinen Reiz, wirkt letztlich aber ermüdend.

Wertung: drei von fünf Sternen