Mülheim. . Der Anteil an suchtkranken Menschen über 65 Jahre nimmt in Mülheim an der Ruhr stetig zu. Der häufigste Auslöser ist die Vereinsamung zum Beispiel nach dem Tod des Partners. Ein Tanzprojekt will jetzt gegensteuern.
Sucht im Alter – ein Problem, das auch in Mülheim stetig größer wird, jedoch immer noch als ein Tabuthema gilt. Im Rahmen der landesweiten Aktionswoche „Sucht hat immer eine Geschichte“ hat das Familiennetzwerk Heißen mit verschiedenen Kooperationspartnern deshalb das Projekt „Volkstanz meets Hip Hop“ auf die Beine gestellt, bei dem Senioren gemeinsam mit Jugendlichen tanzen. „Wenn Menschen im Alter eine Sucht entwickeln, egal ob Alkohol oder Tabletten, geschieht das meist aus Vereinsamung“, sagt Sozialarbeiter Peter Behmenburg, der gemeinsam mit Isabelle Wojcicki das Projekt leitet.
„Wenn der Partner stirbt, flüchten sich viele Betroffene in die Isolation und greifen dann zu den gefährlichen Seelentröstern.“ Wichtig sei es daher, schon im Vorfeld eine Vereinsamung zu verhindern. Um genau dort anzusetzen, arbeitet das Familiennetzwerk mit verschiedenen generationsübergreifenden Projekten. Dazu gehören der Besuchsdienst von Schülern bei Senioren oder die wöchentlichen Spielenachmittage am Gymnasium Heißen, bei dem die Senioren zu den Schülern in die Schule kommen, um so auch untereinander in Kontakt zu bekommen.
Heilungschancen bei Älteren sind relativ gut
„Es geht uns darum, Menschen verschiedenen Alters zusammenzubringen und für das Thema Einsamkeit und Sucht zu sensibilisieren“, sagt Isabelle Wojcicki vom Familiennetzwerk Heißen. „So kann das Thema weitergetragen werden und die Jugendlichen können sehen, dass auch ältere Menschen Probleme haben.“
400.000 Alkoholkranke sind über 65 Jahre alt
Deutschlandweit gibt es über 400.000 Alkoholkranke über 65 Jahre. 2,2 Millionen ältere Menschen sind tablettenabhängig.
Nicht nur die Einsamkeit, sondern auch fehlende gesellschaftliche Aufgaben können Auslöser der Sucht sein. „Sucht im Alter“ steht im Fokus der nächsten Aktionswoche.
Auch in der Altenpflege nimmt Peter Behmenburg die Vereinsamung der Senioren als immer größer werdendes Problem wahr.
Dass Menschen im zunehmenden Alter häufig einsam werden, liegt vor allem am gesellschaftlichen Wandel. Junge Menschen und Familien sind häufig so durchgeplant, dass kaum noch Zeit für den Besuch bei Oma und Opa bleibt. Auch wohnen Familien heute oft nicht mehr nah beieinander. Im Gegensatz zu jungen Suchtkranken sind die Heilungschancen bei Älteren relativ gut, sagt Behmenburg. „Das liegt daran, dass der Hebel eigentlich nur im sozialen Bereich umgelegt werden muss“, so der Sozialarbeiter. „Der Ausbruch aus der Einsamkeit, der Weg zurück in die Gesellschaft, hilft die Sucht zu besiegen.“
Die Teilnehmer des Tanzprojekts möchten handeln, bevor es zu spät ist. Gemeinsam tanzen sie klassischen Walzer, die Senioren bekommen mit Hilfe einer Hip Hop-Lehrerin einen Einblick in die moderne Tanzwelt. Die ehemalige Bürgermeisterin Renate aus der Beek nimmt auch am Tanzprojekt teil – ganz privat. „Ich bin zwar selbst nicht betroffen, aber das Thema Einsamkeit im Alter kenne ich von Kegelschwestern“, sagt die 68-Jährige. „Mir macht das Tanzen unwahrscheinlichen Spaß, es wäre schön, wenn das Netzwerk für Generationen noch ausgeprägter wäre.“ Der erste Schritt ist dank des neuen Projektes schon einmal getan.