Mülheim. 55 Neuntklässler einer Mülheimer Realschule durchliefen im Haus der Wirtschaft einen Berufeparcours. Sie sollten eine erste Idee davon bekommen, was ihnen später vielleicht Spaß machen könnte. Der Initiativkreis Ruhrgebiet will möglichst vielen Jugendlichen zu einem passenden Job verhelfen.

„Ich wusste gar nicht, dass es so was gibt.“ Tobi (14) hat gerade „geschiefert“. Übersetzt aus dem Fachjargon heißt das, er hat eine Schieferplatte mit einem Spezialhammer bearbeitet und eine gerade Kante abgeschlagen. Ob das Handwerk etwas für ihn sein könnte? Eher nicht, sagt der Realschüler. Es sei zwar gut, das mal kennenzulernen. „Doch ich will Abi machen und studieren. Ich möchte Anwalt werden; mir macht es Spaß, Leuten zu helfen und zu argumentieren.“

Tobi ist einer von 55 Neuntklässlern der Realschule Stadtmitte, die am Dienstag im Haus der Wirtschaft den vom Unternehmerverband organisierten „Berufeparcours“ durchlaufen. An sieben Stationen lernen sie Berufsfelder kennen: Bei Edeka Paschmann können sie Smoothies zubereiten und erhalten Info über den Einzelhandel. Das kommt an, so Stefanie Lindemann, Ausbildungsbeauftragte in der Filiale Mannesmannallee: „Da kommen auch garantiert Bewerbungen.“ Ein paar Meter weiter stellen sich auch die Sparkasse, die Maler- und Lackierer-Innung, ein IT-Unternehmen sowie die Metall-Abteilung von Siempelkamp vor.

Luisa (15) und Cerine (16) sind beim Alten- und Krankenpflegedienst Behmenburg in einen Anzug mit Gewichten, Spezialbrille und Ohrenschutz geschlüpft, der ihnen ein Gefühl dafür vermittelt, wie beschwerlich es sein kann, alt zu werden – und was es bedeutet, alte Menschen zu pflegen. „Für mich ist das lustig, weil ich schnell wieder aus dem Anzug rauskomme“, sagt Luisa, „doch wenn ich mir vorstelle, immer so leben zu müssen, ist das nicht mehr schön.“

Zu viele Studienabbrecher

Sven Meyer, Vize-Lehrlingswart der Dachdecker- und Zimmerer-Innung, bei der Schulkamerad Tobi soeben geschiefert hat, freut sich über den Kontakt zu den Jugendlichen. „Ich rate ihnen, ,macht zuerst eine Lehre, dann habt ihr eine Grundlage’.“ Dass so viele Jungen und Mädchen vom Studium träumen, verstehe er nicht, „zumal wir eine Abbrecher-Quote von 60 Prozent haben“. In vielen Fällen ständen die jungen Menschen dann ganz ohne Ausbildung da. . .

Damit das nicht passiert und die Schüler Berufe entdecken, die zu ihnen passen, finden in dieser Woche revierweit die Talenttage Ruhr statt. In deren Rahmen ging gestern auch der Parcours über die Bühne. Eine Woche lang wolle man zeigen, „wie Fähigkeiten entdeckt und zur Entfaltung gebracht werden können, wo Jugendliche Unterstützung erhalten und wo Menschen an Bildung herangeführt werden, die für sie nicht selbstverständlich ist“, heißt es im Flyer zur Aktion.

Gerade um diese letztgenannte Gruppe geht es, sagt Bernd Kreuzinger vom Initiator, dem Initiativkreis Ruhr. „Wir wollen auch junge Menschen auf den Weg bringen, die aus weniger bildungsaffinen Elternhäusern stammen.“ Angelika Baaske, eine der Lehrerinnen der Neuntklässler, sieht sogleich erste Erfolge: „Die Schüler sind total begeistert bei der Sache, fragen schon gezielt nach Praktika. Sie wissen oft so wenig von Berufen; hier können sie ihren Horizont erweitern.“