Herne. Querdenker demonstrierten in Herne - und kritisierten die Presse. In Wanne trafen sie auf Gegendemonstranten. Er blieb beim verbalen Scharmützel.

„Rote Karte gegen Schwurbler“: Mit Sprüchen auf mehreren Dutzend Plakaten, im Vorfeld auf dem Cranger Kirmesplatz aufgehängt, hat das Bündnis Herne am Sonntag die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Demonstration „Der Pott erwacht“ empfangen. Thema der Kundgebung: „Wir zeigen Gesicht für Michael Schele.“ Laut Polizei hatte die Kundgebung „klare Bezüge zur Querdenker-Szene“. Das Bündnis Herne hängte nicht nur Plakate gegen das Treffen auf, sondern veranstaltete in Wanne-Eickel auch eine Gegendemo.

Es war am Sonntag, 21. April, bereits die dritte Kundgebung unter dem Thema „Der Pott erwacht“ auf dem Kirmesplatz. 2022 demonstrierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer noch zweimal gegen Corona-Auflagen, nun ging es um Solidarität für Michael Schele. Michael Schele? Der 55-jährige Hagener gilt als einer der führenden Köpfe der NRW-Querdenkerszene und führt mit seinem Auto, dick bepackt mit Lautsprechern, regelmäßig in unterschiedlichen Städten „Beschallungsfahrten“ durch. Mit seinem Wagen verbreitet er seine Ansichten zu vielen Themen. Im Mittelpunkt steht dabei die Ampel-Regierung, die die Bürgerinnen und Bürger hinters Licht führe. Der Ex-Hochzeits-DJ ist (auch deshalb) ohne Job und mit Gerichtsverfahren konfrontiert - und kann Solidarität aus der Szene gut gebrauchen.

Herne: Kritik an WAZ und Bündnis Herne

Die erhielt Schele von den rund 130 Menschen, die nach Crange kamen, reichlich. Er sei ein Mann, der „für die Freiheit steht“, hieß es da bei den Wortbeiträgen am Mikrofon. Er mache sich für Meinungsfreiheit stark, zeige Rückgrat und sei ein „echter Demokrat“. Fast rührselig wurde es, als dann noch Schele-Lobeshymnen vom Band abgespielt wurden, untermalt von sphärischer Musik. Da kamen selbst einer Organisatorin die Tränen. Und wie reagierte der Gehuldigte, der mit seinem Lautsprecherauto vorgefahren war? Launig wollte er sein - und fragte am Mikrofon, ob er als Dankeschön für seine Fahrten „eine Jahreskarte im Bordell“ bekomme. Was er seinen Kritikern sage, wollte eine Organisatorin dann noch von ihm wissen. „Arsch lecken“, antwortete der Hagener.

Viel Lob gab es bei den Redebeiträgen für Michael Schele (2.v.l.).
Viel Lob gab es bei den Redebeiträgen für Michael Schele (2.v.l.). © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Vor allem auch die Presse bekam bei der Kundgebung ihr Fett weg, genauer: die Herner WAZ. Denn die hatte, so der Vorwurf, das Bündnis Herne zitiert. Der Zusammenschluss aus Bürgerinnen und Bürgern sowie Vertreterinnen und Vertretern von Parteien, Gewerkschaften, Glaubensrichtungen, Institutionen, Vereinen und Verbänden hatte im Vorfeld der Kundgebung von „rechtsextremen Strukturen“ gesprochen, die in der Versammlung von „Der Pott erwacht“ steckten. So was dürfe man nicht abdrucken: Es sei „eine absolute Frechheit, was man in der Zeitung über friedliche Demonstranten“ lesen müsse, kritisierte eine Organisatorin am Mikrofon.

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Nach Rede- und Musikbeiträgen machten sich die 130 Querdenkerinnen und Querdenker - diesen Begriff nutzen sie am Mikrofon selbst - auf den Weg durch Wanne. Dabei zeigten sie Plakate wie „Die Politik ist krank - Die Medien gekauft“, „Und stellst du dich gegen das System, bist du sofort rechtsextrem“ oder „Stoppt die Machtergreifung durch die WHO.“ Getrommelt wurde auf der Strecke kräftig, auch aus Scheles Lautsprecher schallte es wie gewohnt lautstark. Die Demonstrantinnen und Demonstranten kamen zum Teil von weiter angereist. Die „Freie Düsseldorfer“ gingen mit auf die Strecke, ebenso die „Corona-Rebellen Bergisch Land“ oder die „Freiheitstrommeln Lünen“.

„Rote Karte gegen Schwurbler“: Das Bündnis Herne veranstaltete eine Gegendemo in Wanne-Mitte.
„Rote Karte gegen Schwurbler“: Das Bündnis Herne veranstaltete eine Gegendemo in Wanne-Mitte. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Wie schon vor zwei Jahren veranstaltete das Bündnis Herne eine Gegendemo. Auch daran beteiligten sich etwa 130 Menschen. Los ging es parallel zur Kundgebung in Crange mit einem interreligiösen Friedensgebet vor der Christuskirche an der Hauptstraße, daran schlossen sich Wortbeiträge an. Dass die „Demokratiefeinde“ - so Bündnis-Vorsitzender Markus Vordenbäumen - in Herne Station machten, sei allein dem Umstand geschuldet, dass diese Stadt mitten im Ruhrgebiet liege, sagte er zur WAZ. So versuchten die Organisatoren, einen „lokalen Patriotismus“ aufzubauen. Darüber hinaus gebe es keinen Bezug zu Herne: Eine entsprechende Szene vor Ort gebe es nicht, auch die „Besorgten Bürger“, die 2019 und 2020 unterwegs waren, spielten keine Rolle mehr. Dennoch sei es wichtig, Flagge gegen „Der Pott erwacht“ zu zeigen. „Das sind ganz klar Volksverhetzer“, so Vordenbäumen. Seine Frau Cordula, die bei der Gegendemo die Rede hielt, betonte: „Wir verurteilen niemand einfach so für eine andere Meinung. Aber wer Nazisachen sagt und Nazisachen tut, ist halt ein Nazi.“

An der Christuskirche war es auch, dass beide Gruppierungen für kurze Zeit aufeinandertrafen. „Schande“ oder „Schämt euch“ riefen Gegendemonstrantinnen und -demonstranten den „Pott erwacht“-Teilnehmerinnen und -teilnehmern entgegen. Michael Schele revanchierte sich und fragte über seinen Lautsprecher, ob sie nicht etwas vergessen hätten zu rufen - und spielte „Nazis raus“ vom Band.

Die Polizei, die die Kundgebungen mit zahlreichen Mannschaftswagen begleitete, hatte einen ruhigen Nachmittag. Es gebe „keinerlei Probleme“, so ein Polizeisprecher zur WAZ.