Herne. Frank Neukirchen-Füsers, Geschäftsführer der Agentur für Arbeit, geht in den Ruhestand. Für Herne hat er eine erstaunliche Vorhersage.
Die Zahl der Akten auf dem Schreibtisch werden langsam übersichtlich, ganze Schränke sind bereits leer - Frank Neukirchen-Füsers, Geschäftsführer der Agentur für Arbeit, bereitet seinen Abschied in den Ruhestand vor, letzter Arbeitstag: Gründonnerstag. Im Gespräch mit der Herner WAZ blickt er zurück, aber auch nach vorn. Und wagt für Herne eine erstaunliche Prognose.
Der (Fach)-Kräftemangel werde die größte Herausforderung für die Zukunft. „In den nächsten acht bis neun Jahren werden in Herne etwa 10.000 Arbeitsplätze nicht besetzt sein.“
Was für ein Kontrast zu früher: Neukirchen-Füsers kann sich noch gut an die Probleme der 90er-Jahre erinnern, die Jahre des harten Strukturwandels im Ruhrgebiet. Er selbst erlebte diese Zeit in Dortmund, wo er auch lebt: Hoesch sei damals weggebrochen, jedes Jahr seien Tausende Arbeitsplätze abgebaut worden. „Wir mussten schauen, dass sich die Menschen nicht in der Langzeitarbeitslosigkeit wiederfinden.“ Das sei bei dem Arbeitsplatzangebot damals eine wirklich große Herausforderung gewesen.
Neukirchen-Füsers war auch maßgeblich am Aufbau des Jobcenters in Dortmund beteiligt, ein riesiges Unterfangen, weil es keine Vorbilder gegeben habe. Tagelang hätten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Seminaren durchgespielt, wie ein Fall gestaltet wird, bis hin zur Antragsformularerfindung. Am Eröffnungstag hätten sie versucht, die Menschen irgendwie in die richtigen Bahnen zu lenken. „Diese Zeit hat micht sehr geprägt“, erzählt der 65-Jährige.
Im Laufe der Jahrzehnte hat er die verschiedenen Umwälzungen auf dem Arbeitsmarkt miterlebt. So sei man bei der Agentur bis 2010 davon ausgegangen, dass es keinen Arbeitsmarkt mehr für Ungelernte geben wird. Doch dann kam die Digitalisierung und wischte mit ihrer Dynamik diese Prognose weg. Viele Helferarbeitsplätze seien ohne Digitalisierung gar nicht denkbar, man denke nur an die Lager der großen Versandhändler. „Das ist in den Jobcentern ein Stück weit eine Rettung gewesen“, so Neukirchen-Füsers. Doch er sieht bereits eine neue Entwicklung: Die Automatisierung in den Lagern werde dazu führen, dass die vielen Plätze in dem Bereich wieder wegfallen.
Bis zum letzten Tag voller Ideen
Und wenn man mit Neukirchen-Füsers spricht, bekommt man nicht den Eindruck, dass dort jemand ein paar Tage vor dem Ruhestand steht. „Ich bin so lange drin, wie ich drin bin, und wenn ich Ideen habe, erzähle ich auch davon. Das wird auch bis Gründonnerstag anhalten.“ Das werde am 2. April vorbei sein - aber nicht so ganz. Es seien eben Themen, die ihn schon immer interessiert hätten, etwa wie sich eine Stadt oder eine Region entwickelt. Eigentlich ist er diplomierter Stadt- und Landesplaner, und das sei gar nicht so weit weg vom Thema Arbeitsmarkt, weil der zur Entwicklung einer Stadt dazugehört. Schon während des Studiums habe er sich bei einer Arbeitsloseninitiative engagiert.
Trotz immer neuer Herausforderungen hat er sich nie wie Sysiphos gefühlt
Vor dem Hintergrund der Massenarbeitslosigkeit in den 80ern und 90ern sei die jetzige Zeit zwar entspannter, aber es gebe neue Herausforderungen, etwa die Integration von Geflüchteten. Eine andere sei die Qualifizierung von Beschäftigten. Trotz der immer neuen Herausforderungen habe er sich nie als Sysiphos gefühlt. Es gebe zwar keine Massenarbeitslosigkeit mehr, aber eine viel komplexere Lebenswelt. Das erfordere viel individuellere Suchen nach Lösungen.
Herne war mit viereinhalb Jahren nicht die längste berufliche Station (das war mit 18 Jahren Dortmund), aber eben die letzte. „Herne hat Spaß gemacht“, betont Neukirchen-Füsers. Herne habe zwar eine arbeitsmarktpolitische Herausforderung, doch in Herne gebe es mit dem Bündnis für Arbeit ein Netzwerk, in dem es Spaß gemacht habe, an diesen Herausforderungen zu arbeiten. „Herne kann wirklich stolz sein auf dieses Netzwerk, mit dem wir viel erreicht haben.“ Das sei nicht selbstverständlich. Der Erfolg sei auch stark vom Oberbürgermeister getrieben.
„Wir sind in Herne auf dem richtigen Weg“
Ohne den Ukrainekrieg läge die Arbeitslosenquote in Herne wohl unter zehn Prozent. Das steht für Neukirchen-Füsers fest: „Wir sind in Herne auf dem richtigem Weg mit unseren Maßnahmen.“ Das spiegele sich auch in der Tatsache, dass die Stadt eine super Dynamik beim Beschäftigungsaufbau habe. Um in einigen Jahren eben jene rund 10.000 Stellen zu besetzen, brauche es strategische Zuwanderung - und dazu müsse Deutschland für sich werben. Das Ruhrgebiet habe gute Chancen, weil es ein Schmelztiegel ist und deshalb relativ aufgeschlossen, was Zuwanderung anbelangt.
Als Geschäftsführer der Agentur habe er versucht, Herne als Agenturstandort zu stärken. Dazu gehöre sicher die Revitalisierung der alten Geschäftsstelle. Dies habe viel mit Wertschätzung der Kundinnen und Kunden zu tun, aber auch mit der Frage, wie wichtig der Agentur der Standort Herne ist. Bei der Frage der Revitalisierung sei er sehr hartnäckig gewesen. Die Sanierung sei auch ein Bekenntnis zur Herner Innenstadt.
Noch wichtiger sei es gewesen, dass es nun eine hauptberufliche Geschäftsstellenleitung gebe. Zuvor sei all die Jahre Arbeitsmarktpolitik für Herne von Bochum aus gemacht worden. Nun habe der Geschäftsstellenleiter eine ganz andere Position. Damit soll die arbeitsmarktpolitische Selbstständigkeit Hernes wachsen. Mit spezifisch auf Herne zugeschnittenen Förderangeboten. „Wir wollen Angebote aus Herne für Herne.“