Frank Neukirchen-Füsers ist neuer Geschäftsführer der Agentur für Arbeit. Im Interview spricht er über Herausforderungen und Chancen für Herne.
Die Agentur für Arbeit hat seit wenigen Wochen einen neuen Geschäftsführer. Frank Neukirchen-Füsers hatte zuvor das Jobcenter in Dortmund geleitet. Im Gespräch mit WAZ-Redakteur Tobias Bolsmann erläutert der 60-Jährige, welche Herausforderungen und Chancen er für den Arbeitsmarkt in Herne sieht.
Herr Neukirchen-Füsers, Sie haben lange das Jobcenter in Dortmund geleitet und leben seit vier Jahrzehnten in Dortmund, sind also fest im Ruhrgebiet verwurzelt. Ist in dieser Zeit Ihr Blick auch auf Herne gefallen?
Neukirchen Füsers: Ja, denn die Ruhrgebietsstädte gleichen sich in vielen Dingen, auch, was die Herausforderungen für den Arbeitsmarkt anbetrifft. Da gibt es Unterschiede, aber je nördlicher Städte und Stadtteile liegen, desto stärker sind sie noch vom Strukturwandel und von der Problematik der Arbeitslosigkeit betroffen. Dazu gehört auch Herne. Herne als Stadt kenne ich natürlich durch die Cranger Kirmes. Dort war ich selbst schon. Ansonsten habe ich Herne jetzt sehr gut kennengelernt durch ein sehr intensives Gespräch mit dem Oberbürgermeister.
Welche Herausforderungen sehen Sie in Herne?
Die statistischen Zahlen sind natürlich bekannt. Jede Stadt mit einer Arbeitslosenquote von mehr als zehn Prozent hat noch genügend Herausforderungen wie einen hohen Anteil von Langzeitarbeitslosigkeit, oder viele Einfach-Qualifizierte. Das kenne ich aus Dortmund auch. Ich glaube, dass die Herausforderungen in jeder Stadt spezifisch sind, sich aber in den Ruhrgebietsstädten ähneln.
Wo sehen Sie die spezifischen Probleme in Herne?
In der verfestigten Langzeitarbeitslosigkeit. Da müssen wir sehen, wie man den Menschen helfen kann. Das kann keine Institution alleine, kein Jobcenter, keine Arbeitsagentur, keine Stadt, keine Wirtschaftsförderung. Deshalb finde ich es richtig gut, dass wir hier in Herne das Bündnis für Arbeit haben. Ich glaube, dass es eine Stadt voranbringen kann, wenn alle Institutionen, die mit dem Thema Arbeit zu tun haben, sich austauschen und versuchen, gemeinsame Projekte zu initiieren.
Wie sehen Sie die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in Herne?
Herne kommt von fast 19 Prozent Arbeitslosigkeit. Das war in den Jahren 2005 und 2006. Jetzt ist Herne annähernd bei zehn Prozent. Das ist eine richtig große Entwicklung, und in den vergangenen vier, fünf Jahren haben wir einen Anstieg der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, einen Rückgang der Arbeitslosigkeit, einen Rückgang der Langzeitarbeitslosigkeit, einen Rückgang der Unterbeschäftigung und einen leichten Rückgang der Jugendarbeitslosigkeit. Das sind alles positive Trends. Deshalb glaube ich, dass Herne auf dem richtigen Weg ist.
Zur Person
Frank Neukirchen-Füsers studierte Raumplanung an der Universität in Dortmund und war an verschiedenen Forschungsarbeiten zur Arbeitsmarkt- und Strukturpolitik im Ruhrgebiet an den Universitäten Dortmund und Duisburg beteiligt.
1992 kam er zur Bundesagentur für Arbeit. Nach verschiedenen Tätigkeiten und Stationen wechselte er 2002 zur Dortmunder Agentur und wurde dort bald in die Geschäftsführung berufen. Mit Einführung der Jobcenter im Jahr 2005 wurde er Geschäftsführer des Jobcenters Dortmund.
Oberbürgermeister Frank Dudda hat Anfang des Jahres als Ziel genannt, unter zehn Prozent bei der Arbeitslosenquote zu kommen. Halten Sie das für realistisch?
Auf jeden Fall. Erstens muss man sich Ziele setzen, um zu wissen, wo man hin will. Aber Ziele müssen auch erreichbar sein. Wir sind jetzt bei 10,1 Prozent. In den vergangenen Jahren ist es immer etwas weniger geworden. Der Zeitraum lässt sich nicht sagen, wann es einstellig wird, aber ich bin der festen Überzeugung: Wenn es keine Weltwirtschaftskrise gibt, kann es vielleicht schon in diesem Jahr passieren, dass es für ein oder zwei Monate einstellig wird. Dann haben wir ein erstes Ziel erreicht, und dann müssen wir sehen, dass wir möglichst lange unter zehn Prozent bleiben und können uns dann das nächste Ziel setzen.
Was ist der Grund für Ihren Optimismus?
Die großen Dellen Ende 2008 und 2009 aufgrund der Finanz- und Wirtschaftskrise und die Tatsache, dass einige hundert Opelaner aus Herne kamen, hat Herne nahezu ausgleichen können. Wenn jetzt noch Neuansiedlungen dazu kommen, dann schafft das neue Arbeitsplätze. Hinzu kommt, dass in Herne Arbeitsplätze entstehen, die unabhängig von der Weltwirtschaft sind, wie im Gesundheits- und Pflegebereich. Und die Abhängigkeit von großen Betrieben ist deutlich geringer geworden. Das macht unabhängiger von Branchenrisiken. Und damit die Situation stabiler.
Die Frage ist aber, ob es für die Neuansiedlungen genug Fachkräfte gibt.
Das ist eine schwierige Situation. Auf der einen Seite brauchen wir Fachkräfte, auf der anderen Seite haben wir unter den Arbeitslosen viele einfach qualifizierte Menschen. Da müssen Agentur und Jobcenter alle Möglichkeiten nutzen, um bei jenen, wo noch noch eine berufliche Qualifizierung möglich ist, diese anzubieten und zu schauen, welche Leute man erreichen kann. Es gibt aber genug Menschen, die gut arbeiten können auf einfacheren Arbeitsplätzen, wenn diese Arbeit da wäre.
In dieser Hinsicht gibt es ja seit Jahresbeginn den sozialen Arbeitsmarkt. Wie bewerten Sie dieses Instrument?
Das ist ein wichtiger Baustein zur Bekämpfung der verfestigten Langzeitarbeitslosigkeit. Es gibt ja viele Menschen, die gut arbeiten können, es bietet sich ihnen aber nicht die Gelegenheit. Über diese Förderung können wir Gelegenheiten schaffen. Die Menschen entwickeln sich vielleicht in den Betrieben. Vielleicht finden sie auch den Mut, sich zu qualifizieren. In dem Moment, in dem Menschen eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufnehmen, wachsen die Leute. Ihr Selbstbewusstsein steigt enorm an, weil sie einen richtigen Arbeitsvertrag haben. Damit gehören sie dazu in der Belegschaft. Parallel dazu haben sich zunehmend einfache Arbeitsplätze in den vergangenen drei, vier Jahren etabliert, die wir als Experten vor fünf sechs Jahren noch gar nicht vorhergesehen haben. Damals hätten alle Experten gesagt, dass es immer mehr Richtung höherer Qualifizierung geht. Doch durch die Digitalisierung ist ein Boom in der Logistik ausgelöst worden, mit dem tausende Einfach-Arbeitsplätze entstanden sind. Und da ist im Moment keine Ende abzusehen.
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Die Frage ist, wie gut diese Arbeitsplätze bezahlt sind.
In einer sozialen Marktwirtschaft muss es ein Ringen um einen guten Arbeitslohn geben. Und der muss deutlich über dem jetzigen Mindestlohn liegen. Der jetzige Mindestlohn reicht nicht dafür aus, dass die Menschen davon eigenständig leben können. Sie müssen immer noch aufstocken.
Wie hoch muss denn ein Mindestlohn sein?
Er muss bei 12 Euro liegen. Es ist ja nicht ausreichend, wenn man bei unter zehn Euro ist und eine alleinstehende Person kaum über das Existenzminimum kommt. Als alleinerziehende Person reicht das schon nicht mehr. Es ist wichtig, dass die Menschen von ihrem Lohn leben können. Wenn ich 40 Stunden arbeite, muss ich auch von den 40 Stunden leben können ohne ergänzende Leistungen des Jobcenters.
Sie haben von einer positiven Entwicklung auch bei der Jugendarbeitslosigkeit gesprochen. Was ist nötig, damit mehr Jugendliche mit einem Ausbildungsplatz versorgt sind?
Die Entwicklung in Herne geht auch in dieser Hinsicht in die richtige Richtung. Die Statistik ist faktisch unterzeichnet, denn es gibt eine ganze Reihe an schulischen Ausbildungsplätzen, gerade in den Pflegeberufen, die in der Statistik der dualen Ausbildung nicht auftauchen. Wichtig ist, nicht auf jene Betriebe einzuwirken, die schon ausbilden, sondern dort Plätze zu schaffen, wo noch gar nicht ausgebildet wird. Wir müssen neue Ausbildungsbetriebe dazu gewinnen. Beim Handwerk sehe ich keinen großen Nachholbedarf, das versucht ja, junge Leute zu gewinnen. Die Arbeitsplätze im Handwerk sind attraktiv und sicher.