Herne. Das jüdisch-muslimische Ehepaar Meron Mendel und Saba-Nur Cheema war zu Gast in Herne. Warum sie für ihre Positionen viel Beifall erhielten.

132 Tage nach dem Massaker der Hamas in Israel sowie des dadurch ausgelösten und bis heute anhaltenden Angriffs Israels auf den Gaza-Steifen hatte die Islamische Gemeinde Röhlinghausen zur Diskussion eingeladen. Mit dem jüdisch-muslimischen Ehepaar Meron Mendel und Saba-Nur Cheema waren am Freitag zwei wichtige Stimmen der deutschen Nahost-Debatte zu Gast an der Rheinischen Straße. Doch vor Beginn hieß es erst einmal: Schuhe aus.

Das Interesse an der Veranstaltung war groß. Knapp 100 Paar Schuhe stapelten sich im Eingangsbereich des auch als Gebetsraum genutzten Saals der Islamischen Gemeinde. Um der Vorgabe - niemand wird abgewiesen - gerecht werden zu können, wurde die Diskussion per Live-Stream zusätzlich in den Nebenraum übertragen. Mit zehnminütiger Verspätung („die Deutsche Bahn war unpünktlich“) nahmen Mendel und Cheema unter Applaus Platz vor dem Bild zu Artikel 1 des Grundgesetzes, „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.

Meron Mendel und Saba-Nur Cheema sprechen von einer „Fußballstadion-Mentalität“ in Deutschland in Bezug auf den Nahost-Konflikt.
Meron Mendel und Saba-Nur Cheema sprechen von einer „Fußballstadion-Mentalität“ in Deutschland in Bezug auf den Nahost-Konflikt. © WAZ | Lars-Oliver Christoph

Der Wertekanon der Terrororganisatin Hamas sei das genaue Gegenteil, sagte Meron Mendel., der in Frankfurt die Bildungsstätte Anne Frank leitet. Er erzählte von November 2023, als er Verwandte und Freunde in Israel besucht habe. „Einige konnte ich nicht mehr lebend antreffen, sondern auf dem Friedhof.“ Die Ideologie der Hamas sei menschenverachtend. Das werde aber häufig verwischt, indem von einem Konflikt zwischen Religionen gesprochen werde. Es gehe jedoch um einen Konflikt über grundlegende Werte. Mendel warb um Differenzierung: Sowohl auf der israelischen als auch auf der palästinensischen Seite gebe es Menschen, die sich der Menschenwürde verpflichtet fühlten.

So etwas wie das Gegenmodell sei die Parole „From the river to the sea“. Dieser Gebietsanspruch werde ebenfalls auf beiden Seiten propagiert - so auch von Israels Ministerpräsident Netanjahu in einer ähnlichen Formulierung. Den Israelis werde es aber nie gut gehen, so lange die Palästinenser keine sichere Heimat hätten: „Sie haben das Recht auf einen eigenen Staat“, so Mendel. Er stellte aber klar: Die nicht nur in Deutschland aufgestellte Behauptung, die Hamas sei eine Befreiungsorganisation oder zähle zur globalen Linken, sei inakzeptabel und völlig falsch.

Saba-Nur Cheema sprach von einer in Deutschland herrschenden „Fußballstadion-Mentalität“ - Pro Israel oder Pro Palästina - mit zugespitzter Freund-Feind-Logik. In Medien und in Social Media werde ein Bild vermittelt, das an der Realität des Jahrzehnte alten Konflikts in Nahost vorbei gehe. In Deutschland könne natürlich keine Lösung gefunden werden, so Cheema, doch man müsste sich zumindest die Frage stellen: „Wie können wir eine Resonanz sein für die friedlichen Kräfte vor Ort? Das sind wir aber leider bis heute nicht.“

Es durfte auch gelacht werden in der Veranstaltung der Islamischen Gemeinde Röhlinghausen.
Es durfte auch gelacht werden in der Veranstaltung der Islamischen Gemeinde Röhlinghausen. © WAZ | Lars-Oliver Christoph

Die Politologin beklagte die Zuspitzung der Debatte und eine mediale Pauschalisierung. Sie habe auf einen Zeitungsbericht der Jüdischen Allgemeinen mit der Überschrift „Warum feiert ihr den Tod von Juden, liebe Muslime?“ mit einem eigenen Bericht und einer Gegenfrage reagiert: „Wie kann es sein, dass Muslime alle in einen Topf gesteckt werden?“ Die aktuelle Debatte habe Muslime in Deutschland um 20 Jahre zurückgeworfen. Cheema räumte allerdings auch ein, dass wohl die Mehrheit der in Deutschland lebenden 5,5 Millionen Muslime eine „extrem kritische wenn nicht sogar ablehnende Haltung“ gegenüber Israel habe.

Von muslimischer Seite müsse in Deutschland in dieser Frage mehr Engagement in der Öffentlichkeit eingefordert werden, sagte sie. Es gebe zwar Kräfte wie beispielsweise die Islamische Gemeinde Röhlinghausen („sie macht eine großartige Arbeit“) oder andere Gruppen, die aber zu wenig gehört würden. Gastgeber Tuncay Nazik sprach von der religiösen Überzeugung in seiner Gemeinde, die aber leider nicht von allen Muslimen geteilt werde: Der Koran verbiete es ihnen, antisemitisch zu sein und das Existenzrecht Israels in Frage zu stellen.

Die Islamische Gemeinde Röhlinghausen - Lesen Sie auch:

Im weiteren Verlauf der Diskussion und in Fragen aus dem Publikum ging es unter anderem um Formen des Dialogs, die Rolle jüdischer und muslimischer Verbände in Deutschland, den Einfluss des türkischen Staatschefs Erdogan und den Vorwurf des Genozids gegen Israel. Die letzte Frage des Abends lautete: „Wie lange hält sich Netanjahu noch im Amt?“ Meron Mendel verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, dass der israelische Ministerpräsident und seine in Teilen rechtsradikale, aber demokratisch gewählte Koalition bald abgelöst würden. Er erinnerte daran, dass Hunderttausende Israelis wöchentlich gegen die Regierung auf die Straße gegangenen seien. Für Mendel zurecht, denn: „Jeder Tag, an dem sich Netanjahu an der Macht hält, ist ein schlechter Tag für Israelis, aber auch für Palästinenser.“

In der Kritik: Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.
In der Kritik: Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. © dpa | Abir Sultan

Nach 90 Minuten war die Diskussion zwar beendet, die Schuhe blieben aber zunächst stehen. Alle Gäste konnten sich an dem von der Gemeinde vorbereiteten Buffet bedienen. Mendel und Cheema signierten noch einige Bücher, bevor es für sie von Wanne-Eickel in Richtung Schauspielhaus Düsseldorf ging. Dort trafen sie noch am selben Abend in ihrer Veranstaltungsreihe „Positionen und Perspektiven“ vor ausverkauftem Haus auf Schriftsteller und Publizist Navid Kermani, um mit ihm über Europa und den Nahen Osten zu sprechen.

Bei der dritten Folge von „Positionen und Perspektiven“ begrüßen Mendel und Cheema am Donnerstag, 28. März, im Düsseldorfer Schauspielhaus die Journalistin und Autorin Nele Pollatschek (u.a. Süddeutsche Zeitung). Beginn ist um 19 Uhr.

Muslimisch-jüdisches Abendbrot mit Mendel und Cheema

  • Meron Mendel ist 1976 in Tel Aviv geboren. Der israelisch-deutsche Pädagoge und Publizist ist Leiter der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main.
  • Im August 2021 übernahm er eine Professur für transnationale Soziale Arbeit an der Frankfurt University of Applied Sciences.
  • Sein im März 2023 erschienenes Buch „Über Israel reden. Eine deutsche Debatte“ landete auf Platz 1 der Sachbuch-Bestenliste. Er schrieb und schreibt für Medien wie Süddeutsche Zeitung, taz und Die Zeit.
  • Saba-Nur Cheema, Jahrgang 1987, ist Tochter muslimisch pakistanischer Eltern, die nach Deutschland geflüchtet waren.
  • Die Politologin und Publizistin arbeitet in der politischen Bildung und beriet die Bundesregierung zur Islamfeindlichkeit. Seit Juli 2021 schreibt sie mit ihrem Mann in der FAZ die Kolumne „Muslimisch-jüdisches Abendbrot“.
  • Das Paar hat ein Kind. Saba-Nur Cheema sei schwanger und erwarte bald ihr zweiten Kind, verriet Tuncay Nazik bei der Veranstaltung in Herne.