Herne. Seit Jahren treten immer mehr Menschen aus der Kirche aus. In Herne ist die Zahl 2023 erstmal nicht so stark gestiegen wie in den Vorjahren.

Seit Jahren verlassen immer mehr Menschen die evangelische und katholische Kirchen in Herne. Im vorletzten Jahr gab es den stärksten Anstieg der Zahlen. Doch der Höhepunkt scheint nun zunächst erreicht. Erstmals sind die Kirchenaustrittszahlen in Herne nicht gestiegen: 2022 haben 992 Menschen die Herner Kirchen verlassen, 2023 waren 965. Zum Vergleich: 2021 waren es 685 Menschen, 2020 nur 548.

Eine Trendwende sei das aber noch nicht, betont Nils Petrat, zukünftiger Leiter der St. Dionysius-Gemeinde in Herne. „Die Zahlen sind immer noch sehr hoch.“ Für ihn und die Gemeinden habe es weiterhin hohe Priorität, die Menschen zum Bleiben zu überzeugen, sagt er. Dass die Zahlen nicht weiter gestiegen seien, sei jedoch eine kleine Ermutigung dafür, weiter dranzubleiben und weiterhin gerade vor Ort gute Arbeit zu leisten.

„Es ist schön, dass die Zahlen im Vergleich zum Vorjahr nicht gestiegen sind“, sagt auch Arnd Röbbelen, Sprecher der evangelischen Kirche in Herne. Die Gründe für den minimalen Rückgang könne er nur vermuten. Das sei immer nur Spekulation, da die Menschen, die aus der Kirche austreten, keine Gründe dafür liefern müssten.

„Vielleicht gab es im vergangenen Jahr keinen handfesten Skandal“, sagt er. Denn die Skandale der letzten Jahre hätten vermehrt zu Austritten geführt. Und auch wenn diese Skandale meist aus der katholischen Kirche kämen, beträfen sie immer auch die evangelische Kirche. Zudem sei 2023 ein Krisenjahr gewesen. Der Krieg in Europa und ein Klima, das sich für alle spürbar verändere, seien nur zwei der großen Katastrophen. Die Leute fragten sich in dieser Situation, was ihnen in ihrem Leben noch Halt gebe, so Röbbelen. Und das sei bei einigen noch die Kirche. „Das kann eine Rolle spielen.“

Wir sollten uns auf unsere Kernkompetenzen konzentrieren.
Arnd Röbbelen - Sprecher der evangelischen Kirche in Herne

Es habe auch im vergangenen Jahr Menschen gegeben, die sich dafür entschieden haben, wieder in die Kirche einzutreten. Der Ablauf sei häufig ähnlich, erklärt Röbbelen. Diese Menschen hätten nicht viel mit der Kirche zu tun. Wenn sie dann das erste eigene Geld verdienen, verließen viele die Kirche aufgrund der Kirchensteuer. Wenn sie dann aber bei einem kirchlichen Arbeitgeber arbeiteten, merkten viele, „dass Kirche mehr ist als nur Gebäude und Gottesdienst“, so Röbbelen. Die Beratungs- und Seelsorgearbeit, die Flüchtlingshilfe oder auch die Schuldnerberatung: „‘Was wäre, wenn es das nicht gibt?‘ fragen sich vielleicht einige“, so Röbbelen.

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Damit die Zahlen in diesem Jahr nicht wieder steigen und im besten Fall weiter sinken, wolle die evangelische Kirche in Herne weiter präsent und selbstbewusst sein. „Wir haben was zu bieten“, ist Röbbelen überzeugt. So vieles sei unsicher in der aktuellen Zeit, mit der Kirche habe man etwas, das bleibt. „Wir sollten uns auf unsere Kernkompetenzen konzentrieren.“

Herner Pfarrer: Es muss eine Offenheit entstehen

Die Zahlen seien noch immer sehr hoch, betont Ludger Plümpe, Dechant des Dekanats Emschertal und Leiter der katholischen Großpfarrei St. Christophorus in Wanne-Eickel. „Es wäre natürlich schön, wenn der Peak jetzt erreicht ist.“ Er starre nicht auf die reinen Zahlen, sondern schaue darauf, wie Kirche offen gehalten werden könne, sodass jemand nicht darüber nachdenken muss: Bin ich hier noch gewünscht? Es müsse eine Offenheit entstehen, sodass zur Geltung komme, dass alle Menschen vor Gott gewünscht seien. „Wir müssen uns auf die wirkliche Qualität unseres Glaubens besinnen und nicht irgendwelche Luftschlösser bauen.“ Laut Plümpe gibt es genug Dinge, wo Kirche sagen müsse: „Da müssen wir uns ändern, da müssen wir uns noch mal neu aufstellen.“

Beim Kirchenaustritt muss kein Grund genannt werden. „Ich habe aber ein paar öffentliche Diskussionen mitbekommen mit Leuten, die sich in den letzten Jahren auf Distanz mit der Kirche begeben haben“, so der Pfarrer. „Sie sehen jetzt aber auch, dass Kirche an der einen oder anderen Stelle Ansätze bietet, wo man dann vor allem im Erlebnis der Distanz sagt: Ich vermisse da was.“