Herne. Mehr als 20 Prozent der Herner Kinder können nicht gut lesen. Der Stadt bereitet das große Sorgen: „Auch Eltern stehen in der Verantwortung.“

Mehr als 20 Prozent der Herner Kinder und Jugendlichen können nicht gut lesen. Das hat jetzt Schuldezernent Andreas Merkendorf bekanntgegeben. „Diese Zahlen geben uns Anlass zur Sorge“, sagt er. Wer nicht lesen kann, könne nicht schreiben und dadurch erschwere sich die Teilhabe am öffentlichen Leben. „Mir ist der Aufschrei nicht groß genug“, so Merkendorf. „Wir haben ein riesendickes Problem.“

Um genau zu sein: 21,6 Prozent der Schülerinnen und Schüler erreichten nicht den Mindeststandard beim Lesen. 12,7 Prozent verließen in Herne ohne Abschluss die Schule. Dazwischen bestehe ein Zusammenhang. Die Stadt sei hier in der Verantwortung, das voranzubringen. Aber Merkendorf betont auch: Die Lesekompetenz fange zu Hause an. Alle Studien, die es zu dem Thema gebe, sagten das Gleiche: Vorlesen fördere das Interesse am Buch und damit die Lesekompetenz.

Deshalb seien auch Eltern in der Verantwortung. Ein „weiter so“ könne es in diesem Zusammenhang nicht mehr geben. „Wenn es so weitergeht, haben wir bald ein dickes Demokratieproblem.“ Aber so, wie das Bildungssystem derzeit aufgebaut sei, könne sich nicht viel an der prekären Lage ändern. Es gebe zu wenig Lehrerinnen und Lehrer und zu große Klassen. Da sei das Land gefragt, betont Merkendorf.

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Problem hat sich in den letzten Jahren verschlechtert

NRW liege im Vergleich zu den anderen Bundesländern im Mittelfeld – oder sogar etwas darunter, sagt Jasmin Schwanenberg, Leiterin des Kommunalen Bildungsbüros. Auch sie sagt, dass die Lesekompetenz deutlich zurückgegangen sei. Das generelle Problem bestehe schon länger. Schon 2001 sei die Lesekompetenz nicht gut gewesen, so Schwanenberg. Aber in den vergangenen zwei, drei Jahren habe sie sich noch einmal signifikant verschlechtert. Dafür gebe es nicht nur einen konkreten Grund. „Da kommt viel zusammen“, sagt Claudia Heinrich, Leiterin des Kommunalen Integrationszentrums. Zum einen seien die Klassen zu groß, zum anderen müssten viele Kinder erst einmal Deutsch lernen, bevor sie mit dem Lesen starten könnten. Aber auch die Corona-Pandemie und der Einfluss von Social Media spielten eine Rolle.

Ist wütend und besorgt: Schuldezernent Andreas Merkendorf.
Ist wütend und besorgt: Schuldezernent Andreas Merkendorf. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Zudem brauche Lesen Raum und Zeit, sagt Merkendorf. Der gesellschaftliche Stellenwert fürs Lesen sei weggebrochen. In der schnelllebigen Zeit holten sich viele ihre Informationen bei Tiktok und Co. Da sei das Lesen eines Buches hintenrübergefallen. „Kann das Bildungssystem das noch auffangen?“, stellt sich Merkendorf selbst die Frage. „Bei der derzeitigen Lage sage ich ,Nein’.“ Deshalb gebe es einen Erziehungsauftrag für alle. Und die Möglichkeiten seien da, betont der Schuldezernent. Als ein Beispiel nennt er die kostenlose Stadtbibliothek.

Mehrsprachigkeit ist eine Herausforderung

Die Mehrsprachigkeit in den Schulen sei für die Lesekompetenz natürlich eine große Herausforderung, sagt Claudia Heinrich. „Aber sie hat auch ein großes Potenzial.“ Die Leseförderung müsse weiter auf der Tagesordnung stehen, betont sie. Genau dafür gab es am Mittwoch eine Bildungskonferenz in der VHS in Wanne-Eickel, bei der Akteurinnen und Akteure aus verschiedenen Bereichen in Workshops und Vorträgen über das Thema Lesekompetenz ins Gespräch kommen konnten. So gab es unter anderem einen Markt der Möglichkeiten, Fachvorträge und Workshops, wie beispielsweise „Analoge und digitale Methoden der Texterschließung“, „Lesen mit Hörbuch im Kontext von Mehrsprachigkeit“ oder auch „Neurophysiologische Grundlagen des Lesens – oder: Was passiert eigentlich im Gehirn, wenn wir lesen?“.