Herne. Wie man mit zertrümmerten Blaubeeren und Preiselbeeren kapitalistische Auswüchse anprangert: eine neue Ausstellung im Herner Rathaus.
Heiraten kann man im Herner Rathaus. In Sprechstunden mit dem Bürgerbeauftragten über wilde Müllkippen sprechen. In Ratssitzungen Debatten über das Für und Wider von 32 Millionen teuren Seilbahnen verfolgen. Und man kann sich dort ab sofort mit Luther, Birken, Bibelzitaten und Chagall befassen, den Beerenkapitalismus kennenlernen oder Zeuge einer großen Frechheit werden.
Diese Themen und Referenzen und noch einige mehr finden sich in Hans-Jürgen Jaworskis Ausstellung „Zur Zeit und zur Unzeit“, die auf den Fluren des Rathauses zu sehen sind. Gut 60 überwiegend in den vergangenen Jahren entstandene Bilder stellt der Herner Künstler und ehemalige Pfarrer dort aus, darunter auch bisher nicht gezeigte Werke. Kleinster gemeinsamer Nenner: Alle Arbeiten des 75-Jährigen sind „auf Papier und Pappe“ entstanden, so auch der Untertitel der Schau. Womit sich die Gemeinsamkeiten aber auch (fast) schon erschöpft haben.
Da ist zum Beispiel Jaworskis Serie „Beerenkapitalismus“. Der funktioniert so: Blaubeeren und Preiselbeeren auf Papier legen, mit dem Hammer draufhauen und den Wert der so entstandenen Bilder nach der Zahl der darauf zertrümmerten Früchte berechnen. „Hundert Blaubeeren“ ist demnach mit dem Preisschild 500 Euro versehen. Lustig? Nein. Die Serie nimmt Bezug auf die Ausbeutung thailändischer Erntehelfer in Schweden.
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In einigen Bildern tauchen Worte, einzelne Buchstaben oder christliche Symbole auf, andere kreisen um Luther-Kritzeleien über Zeitgenossen wie Melanchthon oder nehmen Vornamen schwedischer Krimiautorinnen zum Ausgangspunkt. Ein „Plan“ stecke nicht dahinter: „Ich greife Dinge auf, die mir gerade in den Kopf kommen“, sagt der amtierende Vorsitzende des Herner Künstlerbundes. Dass er als Theologe vom Wort komme, könne er nicht verleugnen.
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Die stilistische Vielfalt der ausdrucksstarken Bilder beeindruckt. Auf klassische Malerei setzt der in Herne und Schweden lebende Künstler ebenso wie beispielsweise auf Skizzen, Collagen oder Monotypien (eine besondere Drucktechnik).
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Und was hat es mit der eingangs erwähnten Frechheit auf sich? Als solche bezeichnet Jaworski augenzwinkernd sein Bild „Großer Arbeitsbeweis“: eine Pappe, die er als Hobby-Handwerker beim Anstreichen als Abdeckung auf den Boden gelegt hat, um tropfende Farbe aufzufangen.
„Zur Zeit und zur Unzeit“ wird am Donnerstag, 26. Oktober, im Rathaus, Friedrich-Ebert-Platz 2, eröffnet. Die Vernissage beginnt um 17.30 Uhr in Raum 212. Zur Einführung spricht der Künstler Thomas Stüke, den musikalischen Rahmen setzt ein Marching-Jazz-Duo. Die Schau ist bis zum 26. November montags bis freitags von 9 bis 18 Uhr zu sehen.