Herne. Ex-Ruhrbischof Franz Hengsbach ist wegen der Missbrauchsvorwürfe in Verruf geraten. Für seine neun Jahre in Herne wurde er verehrt – bislang.

Der wegen Missbrauchsvorwürfen in Verruf geratene frühere Ruhrbischof Franz Hengsbach war zu Beginn seiner kirchlichen Karriere neun Jahre in Herne als Priester tätig. Während der Kriegszeit galt er als Vorbild im Widerstand gegen die Nazi-Diktatur. In Baukau wurde er geehrt und geschätzt. Dort war er von 1937 bis 1946 als Vikar tätig – bislang ohne kritische Einordnung.

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Im Herner Buch schildert Hengsbach seine Zeit unter den Nazis in Herne

Stadtarchivar Jürgen Hagen hat noch einmal im Archiv geblättert und unter anderem eine persönliche Erinnerung von Hengsbach entdeckt, niedergeschrieben im Buch „Bewährungsprobe, Herne und Wanne-Eickel 1933-1945“. Hengsbach schildert sich darin selbst als jemand, der gegen die Nazis den Mund aufmachte. Die Kirche habe unter Beobachtung gestanden: „Fast jeden Sonntag stand unten in der katholischen Kirche, neben mir oder hinter einer Säule, ein Beauftragter der NSDAP, der sich während der Predigt Notizen machte.“

Hengsbach hatte nach dem Abitur das Priesterseminar in Paderborn besucht. Er wurde am 13. März 1937 zum Priester geweiht. Noch im gleichen Monat trat er nach den Recherchen von Jürgen Hagen eine Stelle als Vikar in St. Marien in Herne-Baukau an.

Hengsbach: „Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass ich nur der Gewalt weiche“

Die Franz-Hengsbach-Straße in Herne: Sie soll verschwinden, fordern unter anderem die Herner Grünen.
Die Franz-Hengsbach-Straße in Herne: Sie soll verschwinden, fordern unter anderem die Herner Grünen. © WAZ | Arne Poll

Hengsbach erinnert sich in den alten Aufzeichnungen, wie 1938 der katholische Jungmännerverein verboten wurde. „Zwei Vertreter der Geheimen Staatspolizei kamen zu mir, beschlagnahmten das Vermögen des Jungmännervereins, das aus einer wertvollen alten Fahne und Büromaterial sowie einer ganz geringen Geldsumme bestand“, schreibt Hengsbach. „Ich hatte vorher von der bevorstehenden Beschlagnahme gehört und entsprechend Vorsorge getroffen.“ Die Mitglieder des Jungmännervereins sollen das eigentlich vorhandene Banner versteckt haben. Am Tag nach der Befreiung sei es hervorgeholt worden – aus dem Altar.

1938 soll auch die Pfarrbücherei von St. Marien beschlagnahmt und versiegelt worden sein. „Zwei Beamte der Geheimen Staatspolizei kamen und forderten mich auf, die Akten herauszugeben, versiegelten den Bücherschrank und die Bücherregale. Wie bei der Beschlagnahme des Vereinsvermögens des Jungmännervereins habe ich gegen die Beschlagnahme protestiert und mich bei der Beschlagnahme der Bücherei geweigert, die Akten herauszugeben, worauf die Beamten mir wörtlich erklärten: Dann werden wir Sie verhaften. Meine Gegenerklärung lautete: Dann nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass ich nur der Gewalt weiche.“ Zur Einordnung: Die Aussage ist eine nicht belegte Erinnerung Hengsbachs.

Biografie über Hengsbach im Stadtarchiv bereits ergänzt

Der 1991 verstorbene spätere Ruhrbischof schildert ein stark vom Bergbau geprägtes Baukau. Er habe viele Kommunisten gegeben, die sich unter den Nazis „sehr stark zurückhalten mussten“. Stadtarchivar Jürgen Hagen beschreibt, wie Hengsbach mit „seinen Baukauern“ den Untergang des Dritten Reiches erlebte und „mit dem Kommandanten der einmarschierenden amerikanischen Truppen“ verhandelt habe, „um die Unversehrtheit der im Bunker Einsitzenden zu gewährleisten“.

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Die Biografie über den bislang geschätzten Hengsbach hat Jürgen Hagen bereits um ein neues Kapitel ergänzt: Er schildert, wie die katholische Kirche die Missbrauchsvorwürfe gegen Hengsbach öffentlich machte. Hengsbach steht unter Verdacht, in mindestens zwei Fällen in den 1950er und 1960er Jahren sexuelle Übergriffe auf Minderjährige verübt zu haben. „Das Bistum Essen nannte die Übergriffe gravierend und betonte, nicht leichtfertig an die Öffentlichkeit gegangen zu sein“, schreibt Hagen.

Wie muss man Hengsbachs Leben – auch vor dem Hintergrund solcher Erinnerungen wie aus Herne – in der Summe bewerten? Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck erklärte im Interview, dass sich noch nicht absehen lasse, „wie eine angemessene Erinnerungskultur an Kardinal Hengsbach“ langfristig aussehen werde. „Dafür braucht es jetzt die Aufarbeitung und eine breite Debatte.“ Die Herner Grünen fordern, dass die Franz-Hengsbach-Straße in Herne verschwindet. Auch die Stadtverwaltung will das zum Thema im Ältestenrat machen.