Herne. Die Belegschaft der Herner Sinterwerke will die angekündigte Schließung Ende 2024 nicht hinnehmen. Und es gibt auch ein Zeichen der Hoffnung.

Der Schock war groß im März, als der japanische Sumitomo-Konzern den Mitarbeitern und dem Betriebsrat mitteilte, dass das Sinterwerk in Herne bis Ende 2024 geschlossen werden soll. Rund 140 Arbeitsplätze stehen auf der Kippe. Doch seit ein paar Tagen glimmt für die Belegschaft ein Funken Hoffnung auf eine Rettung. Die Belegschaft zeigt seit Dienstagmorgen mit einer Mahnwache vor dem Werkstor Flagge und gibt sich kämpferisch.

Der Grund für die Hoffnung auf Rettung: „Es hat sich ein Interessent gemeldet, der gerne mit Sumitomo Gespräche über die Möglichkeit eines Kaufs führen möchte“, so IG-Metall-Sekretär Torsten Lankau im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion. Durch dieses Interesse sehe er sich in der Einschätzung bestärkt, dass eine Fortführung der Produktion möglich ist. Lankau weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Sinterwerke einen Technologievorsprung hätten. Produkte, die in Herne produziert würden, gebe es in dieser Form nicht woanders. Das Unternehmen stellt Teile für den Automobilbereich, aber auch andere Branchen her. Beim Sintern wird das Werkteil aus einem Pulver in Form gepresst.

Fortführung hätte finanzielle Vorteile für den Sumitomo-Konzern

Eine Fortführung des Unternehmens unter anderer Flagge könnte für den bisherigen Eigentümer neben einem potenziellen Verkaufserlös einen ganz anderen finanziellen Vorteil bedeuten. Wer sich im produzierenden Gewerbe auskennt, weiß, dass zwischen Kunden und Produzent Lieferverträge geschlossen werden, in den Stückzahlen, Lieferfristen und Laufzeit festgelegt sind. Kann ein Produzent diesen Vertrag nicht erfüllen, drohen ihm happige Konventionalstrafen.

Dieses Szenario ist bei den Sinterwerken nicht ausgeschlossen. Mit dem Damoklesschwert der Schließung über dem Kopf könnten die Mitarbeiter sich schon jetzt auf die Suche nach neuen Arbeitsplätzen machen. In Zeiten des Fachkräftemangels womöglich schnell mit Erfolg. Eine ausgedünnte Belegschaft bei den Sinterwerken ist dann womöglich nicht mehr in der Lage, die bestehenden Aufträge vertragsgemäß abzuarbeiten.

IG Metall: Stilllegung vernichtet Zukunftsperspektiven

Diese Gefahr sieht auch Lankau: „Wir hoffen bei allem nötigen Respekt für das Engagement Sumitomos in den vergangenen Jahren am Standort, dass man sich anderen Ideen öffnet und wir gemeinsam daran arbeiten können, unnötigen Schaden zu verhindern. Allerdings muss dies schnell erfolgen, bevor alle Beteiligten sich neu orientieren, dann ist eine Schließung tatsächlich die letzte aller Möglichkeiten. Im Moment sind Alternativen möglich.“ Man hätte es zu schätzen gewusst, wenn man frühzeitig in die Überlegungen zur Schließung eingebunden worden wäre. Denn: „Eine Stilllegung vernichtet nicht nur Zukunftsperspektiven der derzeit rund 140 betroffenen Belegschaftsmitglieder und ihrer Familien, sondern kostet auch maximal viel Geld.“

Lankau betont vor dem Hintergrund eines bestehenden Standortsicherungstarifvertrags bis Ende 2024 die Erwartungshaltung an Sumitomo, alles zu versuchen, um die Arbeitsplätze vor Ort zu erhalten. „Wir fordern eine Zukunft für die Sinterwerke und den Erhalt von Arbeitsplätzen.“ Was den Gewerkschaftssekretär wundert: die zögerliche Haltung des Unternehmens. Seit der Verkündung der Schließungspläne im März habe es keine Gespräche mit den Arbeitnehmervertretern gegeben. Erst jetzt stünden die Verhandlungen zum Interessenausgleich und zu einem Sozialplan vor dem Beginn.

Belegschaft an der Mahnwache wird deutlich: „Wir werden angelogen.“

Schimmert durch Lankaus Worte eine ordentliche Portion Diplomatie, werden die Mitarbeiter vor dem Werkstor deutlich. Der Betriebsratsvorsitzende Tim Hölzer spricht von einem Nervenkrieg, dem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch die japanische Geschäftsführung ausgesetzt seien. Offenbar habe die Geschäftsführung hinter dem Rücken von Belegschaft und Betriebsrat schon im vergangenen Jahr Gespräche mit Kunden geführt und die Schließungsabsichten mitgeteilt. Da stelle sich die Frage, ob das mit dem deutschen Betriebsverfassungsgesetz vereinbar sei. Klaus Neumann, der in der Entwicklung arbeitet, nimmt kein Blatt vor den Mund: „Wir werden angelogen.“ Die Geschäftsführung versuche Fakten zu schaffen. Und dabei kümmere sie sich nicht um die eigene Unternehmensphilosophie, die an mehreren Stellen im Werk ausgehängt sei. Dort sei etwas von Respekt und Wertschätzung geschrieben, doch davon könne keine Rede sein.

Tim Hölzer beklagt zudem, dass die Kommunikation mit der Geschäftsführung schwierig bis unmöglich sei, weil diese kein Deutsch könne. Das bedeute auch, dass es so gut wie keine Informationen für die Belegschaft gebe. Hölzer: „Das ist unerträglich. Das Nervenkostüm der Kolleginnen und Kollegen ist zum Reißen angespannt, manche stehen schon vor dem vierten Sozialplan.“ Allerdings sei die Stimmung auch kämpferisch. Die Mahnwache soll zunächst bis zum 26. Mai, jeweils von 6 bis 18 Uhr, gehalten werden, um auf die Situation aufmerksam zu machen.

Auch OB und Wirtschaftsförderung haben sich eingeschaltet

Einer der ersten Gäste an der Mahnwache war am Dienstagmorgen Hernes Wirtschaftsförderungschef Dirk Drenk. „Wir werden alles tun, um einen Investor für die Sinterwerke ins Spiel zu bringen“, sagte er den Belegschaftsmitgliedern. Auch der Oberbürgermeister habe die Geschäftsführung angeschrieben, um sie zu motivieren, sich mit der Möglichkeit einer Investorenlösung auseinanderzusetzen.

Die Herner WAZ hat die Geschäftsführung um eine Stellungnahme gebeten, doch ein Fragenkatalog blieb zunächst unbeantwortet.

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Mit der Schließungsankündigung setzt sich die jahrelange Ungewissheit für die Mitarbeiter fort. Schon im Jahr 2009 wurden 110 von damals 450 Stellen gestrichen. In den Folgejahren wechselte das Unternehmen, das früher unter BTMT firmierte, mehrfach den Besitzer. Und immer war der Besitzerwechsel mit dem Abbau von Arbeitsplätzen verbunden. Das änderte sich auch mit der Übernahme durch die Sumitomo-Gruppe nicht. Im Jahr 2020 einigten sich Eigentümer, Betriebsrat und IG Metall auf den Wegfall von 58 Stellen, verbunden mit einem Sozialplan.